© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/16 / 11. März 2016

Staatlich organisierter Betrug
Altersvorsorge: Kapitallebensversicherungen machen die Assekuranzen und Vermittler reich und die Sparer arm
Jörg Fischer

Dwight D. Eisenhower verabschiedete sich mit einem Paukenschlag: „Wir in den Regierungsinstitutionen müssen uns vor ungerechtfertigtem Einfluß durch den militärisch-industriellen Komplex schützen“, mahnte der kampferfahrene Fünf-Sterne-General in seiner Abschiedsrede als US-Präsident. „Wir dürfen es nie zulassen, daß die Macht dieser Kombination unsere Freiheiten oder unsere demokratischen Prozesse gefährdet.“

80 Prozent der Kunden werden Geld verlieren

55 Jahre später regiert die Finanzindustrie – auch in Deutschland. Die Politiker überbieten sich darin, dem neuen Machtkomplex zu gefallen. Im Oktober 2015 warnte der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) das Bundesfinanzministerium eindringlich, den sogenannten Garantiezins generell abzuschaffen. Kurz vor Weihnachten wurde geliefert: Die Abschaffung ist vom Tisch. Der „Höchstrechnungszins“ von 1,25 Prozent gelte weiter, teilte eine Ministeriumssprecherin mit. Ab 2017 werde die Höhe an die „Marktgegebenheiten“ angepaßt. Erst 2018 stünden Änderungen im Zuge einer Bewertung des Lebensversicherungsreformgesetzes zur Disposition.

Wie Kapitallebens- und Privatrentenversicherungen (JF 30/15) im allgemeinen und das Verkaufsargument „Garantiezins“ im speziellen die Assekuranzen und ihre Aktionäre sowie den Staat reich und die Altersvorsorgesparer arm machen, schildern anschaulich die Wirtschaftsautoren Holger Balodis und Dagmar Hühne in ihrem jüngsten Buch. Schon dessen provokanter Titel, „Garantiert beschissen – Der ganz legale Betrug mit den Lebensversicherungen“ dürfte der Finanzindustrie nicht gefallen. Die darin getroffenen Aussagen sind vernichtend: „Die Qualität der Lebens- und Rentenversicherungen ist ein Desaster, heute noch mehr als früher. Über 80 Prozent der Kunden werden damit effektiv Geld verlieren. Die versprochene Altersvorsorge entpuppt sich als Geldvernichtungsmaschine.

Gäbe es einen Finanz-TÜV, fielen die meisten Produkte glatt durch“, schreibt das seit Jahren im Verbraucherschutz engagierte Journalistenehepaar. Auch die gesetzlich geförderten und via Steuerzahler bezuschußten Riester-Renten, das Selbständigen empfohlene Rürup-Pendant und vermeintliche Betriebsrenten kriegen ihr Fett weg: Hinter letzteren stünden nicht mehr Unternehmer wie Krupp oder Thyssen, die einst für ihre Arbeiter vorsorgten, sondern all das werde meist von Lebensversicherungen organisiert.

In 13 Kapiteln und mittels anschaulicher Fallbeispiele erläutern die Autoren, wie es Allianz, Axa, Ergo und Co. schaffen, Jahr für Jahr fünf bis sechs Millionen Neuverträge zu verkaufen und aus den mehr als 90 Millionen Verträgen Milliarden abzuzocken. Doch wer nach der Lektüre plant, vor Ende der Laufzeit auszusteigen, erhöht oft seine Vermögensschäden: Allein die gekündigten Verträge sorgten bei den Privatversicherten für einen jährlichen Verlust von etwa 15 Milliarden Euro.

Das Geschäftsmodell funktioniert allerdings nur deshalb so gut, weil Finanzindustrie, Politik – von rot-grün bis schwarz-gelb – sowie käufliche Wissenschaftler und Medien informell eng zusammenarbeiten. Die Politik hat „ein geniales Versorgungssystem“, auch Chefredakteure oder Professoren müssen sich keine Sorgen um die Altersvorsorge machen. Daß in Zeiten von Niedrigzinsen Lebensversicherungen und Riester/Rürup-Modelle eigentlich ein „totes Produkt“ sind, läßt sich nicht mehr leugnen – und nun? Einfach mehr fürs Alter zurücklegen, um die „Versorgungslücke“ auszugleichen, empfehlen unternehmernahe „Finanzexperten“. Höhere staatliche Zuschüsse fordern „Sozialexperten“. Die Finanzindustrie ist in beiden Fällen der Gewinner, der Sparer der sichere Verlierer.

Kaum sichere Alternativen in Zeiten der Eurokrise

Balodis und Hühne erklären, wie hohe Kosten und Provisionen die Rendite auffressen. Sie entlarven das Märchen vom „Garantiezins“ und verraten, wie Versicherungen an fragwürdigen Sterblichkeitstabellen verdienen und weshalb die Kunden faktisch keine Überschußbeteiligung bekommen. Wer das Buch liest, spürt Wut in sich aufsteigen – vor allem dann, wenn sich gleich mehrere „Altersvorsorgeprodukte“ im persönlichem Depot befinden.

Welche Alternativen gäbe es? Hier bleiben die Autoren vage. Festgeld oder Banksparpläne seien eine „absolut sichere Variante“ – bestenfalls bis maximal 100.000 Euro vielleicht, wenn man die Erfahrungen der Eurokrise berücksichtigt. Interessant ist die Empfehlung, sein Geld nicht nur in selbstgenutzten Wohnraum, sondern auch in Wohnungsbaugenossenschaften anzulegen und dort zwischen zwei und fünf Prozent Zinsen zu kassieren. Allerdings bieten bislang nur 48 der 1.800 Genossenschaften ein entsprechendes Angebot. Aktien und speziell kostengünstige Indexfonds (ETF) seien für risikofreudige Anleger eine Überlegung wert. Auch eine Risikolebensversicherung oder eine private Berufsunfähigkeitszusatzversicherung (BUZ) sei oft eine „sinnvolle Absicherung“. Angesichts der gesetzlichen Erwerbsminderungsrente unterhalb des Hartz-IV-Niveaus (JF 38/15) mag eine BUZ unverzichtbar sein, doch das Kleingedruckte enthält oft viele Ausschlüsse. Die BUZ-Prämie ist hoch und ähnlich kalkuliert wie die von Balodis und Hühne zu Recht kritisierten Kapitallebensversicherungen.

Illusorisch dürfte die Forderung sein, das Riester-Rentensystem komplett abzuschaffen und statt dessen das umlagefinanzierte gesetzliche Rentensystem zu stärken. Um trotz des demographisch bedingten Beitragszahlerrückgangs eine über Sozialhilfeniveau liegende Rente zu garantieren, sollte der GRV-Beitragssatz bis 2030 auf 24 Prozent steigen – er läge damit „nur unwesentlich über den 22 Prozent, welche die Bundesregierung für 2030 anpeilt“. Auch die Einbeziehung von Freiberuflern, Selbständigen, Beamten und Politikern könne den lohnbasierten Beitragssatz senken.

Daß Holger Balodis trotz seines teilweise krassen Vokabulars kein Systemkritiker ist, offenbart sein nach Redaktionsschluß des Buches auf der Internetseite des Bundes der Versicherten (bdv-blog.de) veröffentlichter Beitrag zur Asylkrise: Der Flüchtlingsstrom sei ein „Gewinn für die Gesellschaft, wenn wir es schaffen, die Menschen so zu qualifizieren, daß sie Arbeitsplätze finden“, schreibt der 55jährige Ökonom. „Eine Million neue Arbeitskräfte erhöhen die Bruttolohn- und Gehaltssumme durchschnittlich um 30 bis 40 Milliarden Euro. Allein in die Rentenkasse fließen dann rund sieben Milliarden Euro mehr pro Jahr“, so Balodis, der 25 Jahre für die ARD gearbeitet hat.

Das zuwanderungsbedingte Beschäftigungsplus sorge „über die gültige Rentenanpassungsformel dafür, daß die Renten stärker steigen als ohne neue Arbeitskräfte“. Diese These könnte auch von den im Buch kritisierten wissenschaftlichen Mietmäulern stammen, die ansonsten gern der Finanzindustrie zu Diensten sind. Die Parole „Wir schaffen das!“ darf eben nicht angezweifelt werden.

Holger Balodis, Dagmar Hühne: Garantiert beschissen. Westend Verlag, Frankfurt 2015, broschiert, 256 Seiten, 17,99 Euro