© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/16 / 11. März 2016

Germanistik: Zur vermeintlichen „Dunkelheit“ der Gedichte Hölderlins
Gewollte Verschattung des Sprechens
(wm)

Der Heidelberger Germanist Roland Reuß, lange Leiter der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanzierten Brandenburger Ausgabe der Werke Heinrich von Kleists, ist weit über die Grenzen seines Faches hinaus durch wissenschaftspolitische Wortmeldungen bekannt geworden, etwa zur undurchsichtigen Projektbegutachtung bei der DFG oder zur notorischen ministeriellen Mißachtung von Urheberrechten im Rahmen von „Open Access“-Regelungen. In seiner sich Modeströmungen wie „Gender Mainstreaming“ bedenkenlos öffnenden Disziplin gilt der bewährte Editor Reuß zudem als unbequemer Verteidiger strenger philologischer Tugenden, die er in dem 1994 von ihm mitbegründeten Institut für Textkritik pflegt. Welche Leistungen solche philologische Präzisionsarbeit erbringt, führte Reuß zuletzt anhand der als „dunkel“ geltenden, vor der „Umnachtung“ des Dichters entstandenen späten Gedichte Friedrich Hölderlins (1770–1843) aus (Ruperto Carola, 7/2015). Ihre „Dunkelheit“ sei als Antwort auf die abgegriffene Alltagssprache eine beabsichtigte „Verschattung“ und als kommunikative „Irritation“ gewollt. Sie entspringe nicht Hölderlins „Krankheit“, sondern ihre „konstitutive Dunkelheit“ spiegele den „Augenhintergrund der Verständigungsverhältnisse“ seiner Zeit. 


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