© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/16 / 18. März 2016

Ahmet Davutoglu. Der sanfte Professor flankiert Erdogans Machtambitionen
Ankaras Dr. Jekyll
Günther Deschner

Auf den ersten Blick wirkt er mit seiner zierlichen Gestalt, seiner Brille und seinem zurückhaltenden Wesen manchmal wie ein weltfremder Fachmann für ein „Orchideenfach“. Doch der kleine Professor ist nicht zu unterschätzen: Schon bevor Ahmet Davutoglu 2009 zum türkischen Außenminister ernannt wurde, galt er mit seinem Werk „Strategische Tiefe“ (2001) als Experte für Außenpolitik. Ein US-Botschafter in Ankara nannte ihn respektvoll den „Henry Kissinger der Türkei“.

Im Sommer 2014 wurde der Politologe und Politiker als einziger Kandidat mit absoluter Mehrheit zum Vorsitzenden der regierenden Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (AKP) gewählt – kurz darauf bestätigte das Parlament den jetzt 57jährigen auf Vorschlag Staatspräsident Erdogans als Premierminister. Eine beispiellose politische Karriere, die Davutoglu in gleich zwei der wichtigsten politischen Ämter der Türkei katapultierte.

Der Sohn eines Schusters, geboren 1959 im religiös geprägten zentralanatolischen Konya, besuchte auch eine deutsche Auslandsschule, weshalb er neben Arabisch und Englisch sehr gut Deutsch spricht, bevor er an der Bosporus-Universität Ökonomie und Politik studierte.

Davutoglus Loyalität zu Erdogan, dem er viel zu verdanken hat, ist bekannt: Die Regierungspresse lobt seine „intellektuelle Ausstrahlung“ und seine Fähigkeit zur „harmonischen Zusammenarbeit mit dem Präsidenten“. Wie Erdogan sieht auch er  sein Land als „Ordnungsmacht, die die Verhältnisse in der Region formt“. Beide Männer ergänzen sich. Hier der emotionale Vollblutpolitiker Erdogan, der manchmal übers Ziel hinausschießt, dort der nüchterne Stratege Davutoglu, der stets rational zu handeln scheint.

Beide personifizieren auf unterschiedliche Art eine zunehmend selbstbewußt auftretende Türkei, die sich als die dominierende Regionalmacht sieht und die der EU, den USA und dem Rest der Welt in den gegenwärtigen Konflikten, sei es in Syrien, dem Konflikt mit den Kurden oder dem Islamischen Staat, oder in der Flüchtlingskrise, auf Augenhöhe begegnen will. Bei einem Vortrag äußerte Davutoglu, der Türkei sage man bisher „starke Muskeln, einen schwachen Magen, ein krankes Herz und mittelmäßigen Verstand nach“. Diesen Stereotypen setzt er das Bild einer neuen Türkei entgegen, die „maximale Kooperation“ mit ihren Nachbarn suche und „eine Schlüsselrolle in der Region übernimmt“.

Daß die Türkei gleichzeitig engere Beziehungen zum „Westen“ und zugleich zu ihren islamischen Nachbarn sucht, ist für den langjährigen Außenminister in Ankara kein Widerspruch: „Die Türkei kann in Europa europäisch sein und im Orient orientalisch“, sagt er, „denn sie ist beides.“ Doch Vorsicht, mit solchen Sätzen gibt Davutoglu für den immer mehr als „Mr. Hyde“ auftretenden Erdogan den sanften „Dr. Jekyll“.