© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/16 / 18. März 2016

Scheinkampf gegen Links
Berlin: Innensenator Henkel geht kurz vor dem Wahlkampf gegen Extremisten vor
Ronald Berthold

Brennende Autos, körperliche Angriffe auf Andersdenkende, Terror in vermeintlich gentrifizierten Straßenzügen, Verwüstung von Gaststätten, die auch mal AfD-Mitglieder bewirten, Prügel für Streife laufende Polizeibeamte – und jetzt auch noch eine Morddrohung gegen Innensenator Frank Henkel (CDU). Linke Gewalt kennt in Berlin wenig Grenzen. Kaum eine Woche vergeht, in der die Polizei nicht mindestens eine dieser Straftaten vermeldet. Fast immer enden die Berichte mit dem lapidaren Satz: „Der Polizeiliche Staatsschutz ermittelt.“

Doch das war es dann schon. Festnahmen gibt es so gut wie keine. Die Staatsschutz-Abteilung, die diese Verbrechen bekämpfen soll, wurde ausgedünnt. „Wir können kaum noch ermitteln“, klagt ein Beamter gegenüber der jungen freiheit, „eigentlich verwalten wir nur noch.“ Neidisch blicke man ein paar Türen im Landeskriminalamt weiter – dort, wo es gegen rechte Extremisten gehe: „Die sind gut ausgestattet und können richtig arbeiten“, stellt er fest. Der Truppe, der er angehöre, fehle dagegen das Personal. Dabei verhält es sich bei den Delikten genau andersherum: Die Zahl linksmotivierter Gewalttaten lag auch 2015 deutlich über der der rechtsmotivierten: Sie ist um 252 Prozent höher.

Verantwortlich für diesen Mißstand: Innensenator Frank Henkel. Ein gutes halbes Jahr vor den Abgeordnetenhauswahlen verfällt der CDU-Landeschef allerdings in Aktionismus und entdeckt seine Leidenschaft für den Kampf gegen linke Gewalt, die er bisher verbarg. Kürzlich ließ er 200 Beamte ein von Linksradikalen bewohntes Gebäude an der Rigaer Straße in Friedrichshain durchsuchen. Zuvor hatten mehrere Personen einen Kontaktbereichsbeamten verprügelt, der einen Falschparker aufschrieb. Anschließend flüchteten die Täter in das Haus. Von den umliegenden Dächern waren vorher bereits oft Gehwegplatten und Pflastersteine auf Streifenwagen geflogen. Pikant an diesem Großeinsatz, den 300 weitere Polizisten absicherten: Die Wohnräume durften die Beamten nicht betreten. Sie konnten lediglich das Treppenhaus und den Hof unter die Lupe nehmen. Ein Durchsuchungsbeschluß lag nämlich nicht vor. Festnahmen: keine.

Bei der Opposition aus Linken, Grünen und Piraten sowie vom Koalitionspartner SPD hagelte es Kritik – allerdings weniger an der von Anfang an wegen der Umstände aussichtslosen Aktion. Vielmehr ergriffen Politiker und Journalisten Partei für die Linken. Tenor: Die Bewohner des „linken Wohnprojektes“ würden kriminalisiert. 

Kernkompetenz innere Sicherheit verloren

Der Einsatz sei eine „Provokation“. Henkel stand im Kreuzfeuer, weil er überhaupt etwas tat. Dabei ist die Gegend um die Rigaer Straße zu einem Kriminalitätsschwerpunkt geworden, und das ehemals besetzte Haus gilt als dessen Zentrale.

Darum, daß der Innensenator offenbar nur einen Scheinkampf führte, ging es weniger. Die Grünen-Abgeordnete Canan Bayram, die noch während des Einsatzes besorgt zum Ort des Geschehens geeilt war, jenen verurteilte und sich darüber beklagte, daß Polizisten sie nicht zur Rigaer Straße durchlassen wollten, hatte allerdings in einem Punkt recht: „Vier Jahre macht Henkel nichts, auf einmal muß er hier Staatsmacht beweisen.“

Der groteske Streit ging kurz darauf in eine weitere Runde, als das Kreuzberger Ordnungsamt acht linke Szenekneipen durchsuchen wollte, weil es Verstöße gegen Jugendschutz und Gewerberecht vermutete. Dafür forderte ein SPD-Stadtrat Unterstützung beim LKA an; 250 Polizisten leisteten Amtshilfe. Die Situation eskalierte, erneut brannten Autos. Schuld aus Sicht der grünen Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann: Frank Henkel. Das kommt dem 52jährigen zupaß, kann er sich doch gegen die linke Gewaltversteherin profilieren.

Denn auch in Berlin erstarkt die AfD und findet nicht nur wegen der Flüchtlingsfrage Zuspruch. Der Partei laufen die Wähler auch zu, weil die CDU ihre Kernkompetenz, die innere Sicherheit, verloren hat. Die Gewerkschaft der Polizei wirft dem Innensenator „öffentliche sicherheitspolitische Ignoranz“ vor und verlangt von ihm, dem „rechtsfreien Raum in der Hauptstadt“, den Linksradikale geschaffen hätten, „entschieden entgegenzutreten“. Sie fordert auch eine Soko gegen linke Gewalt. Diese sei „überfällig“.

Henkel bekommt Druck von überall. Auf der einschlägigen Internetplattform Indymedia drohen Extremisten für den Fall der Räumung des Hauses eine Million Euro Sachschaden in Kreuzberg an – und in offener Anspielung auf den 1977 von der RAF ermordeten Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer: „Henkel im Kofferraum“.

So besorgniserregend diese Morddrohung und so erschreckend die Verharmlosung durch einige Hauptstadt-Blätter und Landespolitiker daherkommt, so sehr spielt sie Henkel in die Karten. Er kann sich nun als unerschrockener Kämpfer gegen linke Gewalt inszenieren. Prompt sagte er: „Davon lasse ich mich nicht einschüchtern.“ Eine Einschüchterung in der Arbeit gegen linke Gewalt würde allerdings bedeuten, daß diese tatsächlich stattfindet, daß Henkel die Initiative hätte und in der Offensive wäre. Doch das gilt allenfalls verbal und auch nur in den vergangenen Wochen – je näher der Wahltermin rückt.