© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/16 / 18. März 2016

Durchkreuzt
Landtagswahlen: In Stuttgart, Mainz und Magdeburg haben die Wähler die bisherigen Regierungen abgewählt und alte bundesdeutsche Gewißheiten beendet
Christian Schreiber

Der Mann, der sich vor drei Jahren anschickte, das deutsche Parteiensystem auf den Kopf zu stellen, spielte am Wahlabend keine Rolle. Gerüchten zufolge soll sich Bernd Lucke in Stuttgart aufgehalten haben, wo seine neu gegründete Allianz für Fortschritt und Aufbruch (Alfa) eine kleine Wahlparty abgehalten hat. Mit 1,0 Prozent hat die Partei in Baden-Württemberg immerhin ihr Minimalziel erreicht und kommt in den Genuß der staatlichen Wahlkampfkostenerstattung. In Sachsen-Anhalt hat sie dieses Ziel knapp (0,9) und in Rheinland-Pfalz (0,6 Prozent) klar verfehlt. 

Dabei war es Lucke, der im Frühjahr 2013 Motor der Gründung der Alternative für Deutschland (AfD) war und durch seine zahlreichen Talkshow-Auftritte zum Gesicht der Eurokritiker wurde. Doch die Eurokrise ist in den Hintergrund gerückt, die Asylwelle spielte seiner ehemaligen Partei in die Hände. 24,2 Prozent erzielte die AfD in Sachsen-Anhalt, 15,1 Prozent in Baden-Württemberg, und in Rheinland-Pfalz, jenem Verband, den es während der Spaltung im vergangenen Sommer fast in zwei gleiche Teile zerriß, waren es immer noch 12,6 Prozent. 

Die AfD ist damit zu einem Machtfaktor in der deutschen Parteienlandschaft geworden. Schon jetzt wird es für die Etablierten immer schwieriger, gegen sie zu regieren.  In Sachsen-Anhalt bleibt der CDU mit dem Ministerpräsidenten Reiner Haseloff nichts mehr anderes übrig, als eine Koalition mit SPD und Grünen einzugehen. „Wir werden als stärkste Kraft die Regierung bilden“, sagte Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) am Montag. „Wir werden die Grünen einladen zu Koalitionsgesprächen und mit einer stabilen Regierung dieses Land weiter regieren.“ 

Nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis der Landtagswahl verfügen nur CDU, SPD und Grüne zusammen über eine Mehrheit im Landtag. Die SPD, die bisher Juniorpartner des schwarz-roten Bündnisses war, brach derart ein, daß beide Parteien zusammen nur noch auf rund 40 Prozent kommen. Für Schwarz-Rot-Grün reicht es auch nur deshalb, weil die FDP mit 4,9 Prozent äußerst knapp scheiterte, ansonsten hätte dem Land ein Patt gedroht. Da auch die Linkspartei, deren Spitzenkandidat Wulf Gallert sich zum Wahlkampfauftakt bereits als designierter Ministerpräsident wähnte, kräftig Federn lassen mußte, wird die AfD im Magdeburger Landtag künftig als stärkste Oppositionspartei fungieren. Für Ministerpräsident Haseloff ein Alptraum. Er forderte Konsequenzen aus den Erfolgen der AfD: „Rechts von der CDU/CSU darf es keine demokratische Alternative geben.“

Etwas einfacher hat es mit Winfried Kretschmann einer der wirklichen Wahlgewinner vom vergangenen Sonntag. Seine Grünen legten deutlich zu und kamen am Ende auf 30,3 Prozent der Stimmen. Herausforderer Guido Wolf kassierte mit 27,0 Prozent das schlechteste CDU-Ergebnis in der Geschichte des Bundeslandes. Zu einem Desaster wurde der Wahlabend für die SPD. Unter Wirtschaftsminister Nils Schmid kam sie nur noch auf 12,7 Prozent und landete damit noch hinter der AfD. Neben den Senkrechtstartern um Jörg Meuthen sowie den Grünen gab es noch einen dritten Gewinner: Die FDP verbesserte sich um rund drei Punkte und kam auf 8,3 Prozent. Die bisherige Regierung aus Grünen und SPD hat damit keine Mehrheit mehr.

Mit Zickzackkurs           Sympathien verspielt

 Dennoch bleibt Kretschmann die wohl realistische Option, mit der CDU eine stabile Mehrheit zu bilden. Ein Bündnis mit SPD und den wiedererstarkten Liberalen hatte die FDP vor der Wahl ausgeschlossen. FDP-Chef Christian Lindner sah auch zu Wochenbeginn keine Chance für ein Ampel-Bündnis im „Ländle“. Grünen-Ministerpräsident Winfried Kretschmann habe einen Politikwechsel mit der FDP ausgeschlossen: „Nach den Gesetzen der Logik kommen wir damit nicht zusammen.“ Landeschef Michael Theurer sagte allerdings, daß man sich als Demokraten einer Einladung zum Gespräch nicht entziehen werde. „Das gehört sich so.“ 

 CDU-Spitzenkandidat Guido Wolf sorgte bereits am Wahlabend für Aufsehen, als er die Bildung einer sogenannten Deutschland-Koalition mit SPD und FDP ins Gespräch brachte. Trotz schwerer Verluste bei den Landtagswahlen wolle die CDU „ihrer Verantwortung“ gerecht werden, sagte Wolf bei einer  Sitzung des CDU-Präsidiums in Berlin. „Wir reden mit allen, wir reden mit den Grünen, wir reden selbstverständlich auch mit der SPD, mit der FDP“, sagte er. „Es gibt auch Mehrheiten jenseits der Grünen“, fügte er hinzu.  Wahlverlierer Nils Schmid äußerte sich skeptisch zu solchen Gedankenspielen: „Es ist an Herrn Kretschmann, die Gespräche zu moderieren. Er hat die Wahl gewonnen, und das müssen wir akzeptieren.“ 

Beobachter der Wahlparty der SPD hatten den Eindruck, daß sich die Lust auf eine erneute Regierungsbeteiligung in Grenzen halte. Vielmehr sei es an der Zeit, in der Opposition das Profil zu schärfen, zitierte die Stuttgarter Zeitung einen Landtagsabgeordneten.  

So unterschiedlich die Resultate der einzelnen Parteien in den drei Bundesländern auch ausgefallen sind, neben dem starken Abschneiden der AfD gab es eine Gemeinsamkeit: Der jeweilige Juniorpartner in den Koalitionen verlor mehr als zehn Prozentpunkte. In Rheinland-Pfalz waren von diesem Trend die Grünen betroffen, die um Haaresbreite auch noch aus dem Parlament geflogen wären. Dennoch könnten die Grünen gemeinsam mit der FDP und den Sozialdemokraten die Regierung bilden. Mit einem fulminanten Schlußspurt hatte sich die amtierende Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) noch an ihrer Herausforderin Julia Klöckner von der CDU vorbeigeschoben. Die ehemalige Weinkönigin lag vor Monaten noch zehn Prozentpunkte vor Dreyer, verspielte aufgrund ihres Zickzackkurses in der Flüchtlingsfrage jedoch viele Sympathien.  Der Union bleibt in Mainz nur die Rolle des Juniorpartners in einer Großen Koalition. Doch darauf hat Dreyer offenbar wenig Lust. Ein solches Bündnis sei nur für „Notsituationen“, deshalb werde die SPD jetzt das Gespräch mit der FDP und den Grünen suchen. Doch auch das Zustandekommen dieses Dreierbündnisses gilt längst nicht als ausgemacht. 

Die Verhandlungen könnten sich  schwierig gestalten. Thorsten Faas, Politikwissenschaftler an der Uni Mainz, sagte gegenüber dem Südwestrundfunk, eine Ampel sei „alles andere als ein Selbstläufer“. In Umfragen sehe man, daß FDP-Wähler die Grünen eher skeptisch betrachteten und umgekehrt. Der Graben zwischen beiden Parteien sei „tief“. Die FDP sei „in einer hervorragenden Ausgangsposition“ und werde hart verhandeln. Sie werde sicher das Wirtschaftsministerium für sich beanspruchen. Dieses wurde bislang von der grünen Spitzenkandidatin  Eveline Lemke geführt. FDP-Spitzenkandidat Volker Wissing stellte klar, man sei natürlich bereit, mit anderen Parteien über Inhalte zu sprechen. „Aber wir werden unsere Überzeugung nicht irgendwelchen Ämtern opfern.“

Keine Rolle bei den künftigen Regierungsbildungen in den drei Bundesländern spielt die Linkspartei. In Sachsen-Anhalt verlor sie stark – in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg verfehlte sie den angestrebten Einzug ins Parlament abermals klar. Bernd Riexinger, einer der beiden Bundesvorsitzenden, mußte eingestehen, daß die AfD diesmal viele potentielle Protestwähler eingesammelt hatte: „Gegen die Wucht der Emotionen war es schwer anzukommen.“ 

Dies gilt um so mehr für die vielen kleineren Parteien. Die Freien Wähler schafften mit Resultaten von mehr als zwei Prozent in Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt immerhin Achtungserfolge, von denen die rechtsextreme NPD sowie die nationalkonservativen Republikaner weit entfernt waren. 

(Grafiken siehe PDF)