© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/16 / 18. März 2016

Zeitschriftenkritik: Traditio et Innovatio
Luthers Sprache erhalten
Werner Olles

Kulturelle Wendezeiten werfen diffuse Probleme auf, die nicht umstandslos mit neuen Forschungsergebnissen gelöst werden können. Dann findet die Philosophie Gehör, wenn es ihr gelingt, treffende Fragestellungen zu entwickeln und fundierte Antworten zu geben, auch wenn die nicht immer den Erwartungen entsprechen. Traditio et Innovatio, das Magazin der Universität Rostock, berichtet in der aktuellen Ausgabe (1/2016) über das Forum der deutschen Gesellschaft für Philosophie das vom 8. bis 10. Oktober 2015 in Rostock über „Macht und Ohnmacht der Reflexion“ diskutierte. Viele Vorträge dort behandelten gesellschaftlich hochaktuelle Themen. So widmete sich der Kieler Ethik-Philosoph Konrad Ott dem Thema „Migration zwischen Moral und Politik“. Für einige Besucher überraschend, widersetzte er sich jedoch mit einer minutiösen Gegenüberstellung von Argumenten dem Anspruch auf eine „perfekte Sofortlösung“ der Krise. Die Forderung aus dem Publikum nach einer konkreten Handlungsanweisung wies er – nicht ohne Verständnis für diese Position – zurück. Deutliche Stellungnahmen fehlten auf der Tagung dennoch nicht. So beantwortete Simone Dietz (Düsseldorf) die Leitfrage ihres Vortrags, ob das Internet das Nachdenken ersetze, mit einem klaren „Ja“. Ihre Analyse der Funktionen und Strukturen reflexiver Öffentlichkeit sowie ihre Bewertung öffentlicher Kommunikation setzten resignativen Tendenzen allerdings die Forderung nach rechtlicher und technischer Regulierung entgegen.

Traditio et Innovatio befaßt sich außerdem mit der revidierten Fassung der Lutherbibel, die im Oktober 2016 erscheint, wenn mit einem Staatsakt der Beginn des Reformationsjahres gefeiert wird. Der Rostocker Theologe Martin Rösel, der seit seiner Dissertation Bibelübersetzungen zu seinem Forschungsschwerpunkt zählt, erklärte nach fünf Jahren akribischer Arbeit: „War man am Ende des Textes angelangt, fing man wieder von vorne an.“ Doch sind sprachliche Überarbeitungen der Bibel keinesfalls ungewöhnlich. So war in der Neuzeit jeder Neudruck mit Textänderungen verbunden, eine gesicherte Rechtschreibung gab es nicht. Bis in das 19. Jahrhundert existierte ein mannigfaltiger Wirrwarr an Bibelfassungen, dem erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch eine erstmalige Revision ein Ende bereitet wurde. Entfernte man im Zeitalter des Pietismus die umfangreichen Anmerkungen und Erläuterungen aus den Bibeln, da die Anhänger dieser Reformbewegung die Ansicht vertraten, das Wort Gottes wirke unmittelbar, stammt die letzte revidierte Lutherbibel aus dem Jahr 1984. Die aktuelle Revision soll hingegen den „Sprachklang Luthers“ soweit wie möglich erhalten: Daher griff man auch auf Luthers Satzbau zurück, weil dieser der biblischen Sprache angemessen sei. 

Weitere Beiträge befassen sich mit den Wechselwirkungen zwischen Land und Meer, der akademischen Kultur in China und der Entwicklung eines neuen Elektrotherapiegerätes durch Rostocker Forscher.

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