© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/16 / 18. März 2016

Gefrorenes aus der Kameraperspektive
Aasgeier und Beute: Kriegsfotografen des „Bang-Bang-Clubs“ unterwegs in Südafrika
Sebastian Hennig

Unser Weltbild ist größtenteils eine Bilderwelt. Unsere Empfindungen werden von inszenierten Fotos gelenkt, die mit dem Anspruch von Dokumenten lanciert werden. So prägen Bilder auch die öffentliche Meinung über den Krieg. Inmitten des Konflikts regiert die Richtung der Gewehrläufe. Darüber hinaus aber bestimmt oft die Perspektive der Kameraobjektive, was zur Wirkung kommt. Erst wird ein Foto gemacht. Dann machen wir uns mit ihm ein Bild vom Geschehen. Vorinformationen, die häufig Vorurteile sind, begleiten und verstärken den Eindruck der schockierenden Abbilder. Das Auge des Fotografen sucht Illustrationen der Wirklichkeit zu erhaschen. Die Ereignisse halten dafür nur den Rohstoff bereit. Ein gefrorener Augenblick steht als Symbol für eine undurchsichtige Situation.

In einer derart verwickelten Lage befand sich Südafrika in der unmittelbaren Nach-Apartheid-Zeit. Die Freilassung von Nelson Mandela wurde weltweit als begeisterndes Symbol der Veränderung des Landes wahrgenommen. Doch die wuchs sich in den folgenden vier Jahren zu einem grausamen Gemetzel aus. Entlang der politischen Trennlinien traten ethnische Verwerfungen zutage.

Die resultierenden Grausamkeiten lichteten die vier Johannesburger Fotografen Greg Marinovich, João Silva, Ken Oosterbroek und Kevin Carter ab. Als eine Illustrierte sie als „Bang-Bang-Paparazzi“ titulierte, übernahmen sie die Prägung zur makabren Selbstbezeichnung.

Der Ausruf „Laßt uns etwas Bang-Bang sammeln gehen!“ ist von Kevin Carter überliefert. Der willensschwache und drogenabhängige Mann nahm sich das Leben bald nach seinem größten fotografischen Triumph. Gemeint ist die Fotografie eines Aasgeiers, der hinter einem nahezu verhungerten sudanesischen Mädchen lauert. Carter erhielt 1994 dafür den Pulitzerpreis. Rasch erliegt er jedoch dem Fluch seiner Inszenierung und der scheinheiligen Diskussion danach. Es läßt sich nicht feststellen, ob er die abgründigen Fotos machte, weil er den Boden schon unter den Füßen verloren hatte, oder ob die Fotos es waren, die ihn aus dem Tritt brachten.

Sein Kollege Marinovich erleidet während eines Einsatzes, bei dem Ken Oosterbroek getötet wird, schwere Schußverletzungen. Seinen Mitautor Silva trifft es viele Jahre später. Er büßt 2010 in Kandahar durch eine Landmine beide Beine ein. In diesem Jahr wurde die Geschichte des „Bang-Bang-Clubs“ verfilmt. Jetzt, zehn Jahre nach dem Erscheinen der Erstausgabe, ist der Bericht der beiden Überlebenden des Quartetts, Marinovich und Silva, auch in einer deutschen Übersetzung erschienen.

Mit Macheten attackiert und lebendig verbrannt

Zugunsten eines einheitlichen Erzählstrangs berichten die Autoren das Geschehen aus der Perspektive von Marinovich. Der wurde als Sohn katholischer Kroaten in Südafrika geboren und sagt über sich: „Ich war einer dieser blinden Taubstummen, die dafür sorgten, daß Südafrika genug Geld machte, um die Apartheid zu bezahlen, ohne daß ich mir jemals die Hände schmutzig machte, indem ich jemanden direkt unterdrückte.“ Zum Fotografen wurde er nicht zuletzt aus Neugier und Abenteuerlust, da die Kamera ihm den Zugang zu Milieus ermöglichte, die er sonst nie hätte betreten können. Doch im Augenblick seines Eintritts fliegen diese gerade auseinander.

Für das Bild des Zulu Lindsaye Tshabalala, der als vermeintlicher Spion von ANC-Mitgliedern erst mit Macheten attackiert und schließlich lebendig verbrannt wurde, erhielt Marinovich 1991 einen Preis. Detailliert berichtet er die technischen Bedingungen der Aufnahme. Schwierig waren die Umstände der Belichtung des Motivs einer menschlichen Fackel vor der aufgehenden Sonne von Soweto: „Der Helligkeitsmesser der Kamera funktionierte nicht, und deshalb drehte ich die Blende weit auf: f5,6 sollte passen.“ Einen Monat zuvor hatte er bereits einen willkürlichen Mord mit umgekehrter Adresse fotografiert. In beiden Fällen genügte die Stammeszugehörigkeit als Anhaltspunkt für einen ungeprüften politischen Verdacht, der rasch den Tod des Opfers nach sich zog.

Der Bildteil in der Mitte des Bandes enthält gut fünfzig kleine Fotos in Schwarzweiß. Sie sind nichts weiter als visuelle Gedankenstützen. In beinahe mächtigeren Sprachbildern ergeht sich die Beschreibung in der Mitte des Buches über die Unruhen im Homeland Bophuthatswana im März 1994.

Lucas Mangope stemmt sich als Präsident von Pretorias Gnaden gegen die Wiedereingliederung der von der Apartheidspolitik in die Selbstverwaltung überstellten Homelands in den südafrikanischen Staat. Dazu verbündet er sich mit der radikalen Afrikaner Weerstandsbeweging gegen die eigenen Leute. Während dieser Pakt völlig aus dem Ruder läuft, sind die Fotografen mittendrin. Bophuthatswana-Soldaten exekutieren vor ihren Augen weiße Siedler, welche zuvor wahllos auf Passanten gefeuert hatten. Im entscheidenden Moment hat keiner die Kamera bereit. Die Erzählung hält fest, wie der Ablauf jenseits der Bilder wahrgenommen wird. Eines der wenigen Bilder wurde unmittelbar vor dem tödlichen Schuß aufgenommen. Von einem weißen Soldaten bedroht, fliehen die Fotografen. Marinovich kommt später zu den hingestreckten Leichen. Im Hintergrund seiner Aufnahme sind die rennenden Kollegen zu erblicken. In dieser Verschlingung der Zeitebenen erweist sich eine magische Potenz des Lichtbildes.

Es ist ein Bericht aus einer vergangenen Zeit. Fotografiert wird mit einer damals schon altmodischen Nikkormat-Kamera. Die analoge Technik erforderte das Spulen der Filme, Verschlüsse klappten, und entwickelt wurde über Nacht in Hotelbadezimmern. Nebenbei erfährt der Leser einiges aus dem Nähkästchen der Kriegsreporter, beispielsweise über die wechselseitige Aushilfe mit Aufnahmen. Erfolglosen Kollegen wurden oftmals nachrangige Aufnahmen des bedeutenden Augenblicks zur Verfügung gestellt. Die konnten sie unter ihrem Namen publizieren. Heute kann jede Helmkamera Bilder des unmittelbaren Geschehens direkt an nahezu jeden Ort übermitteln. Aber die Fotos mit der kompakten Handkamera waren trotz allem Gestaltungen und als solche höchst subjektiv.

Auf die allgemeinen Hintergründe des Geschehens in Südafrika, jenen verborgenen Krieg, fällt nur in Ausschnitten etwas Licht. Der Bericht von der Entstehung der Lichtbilder verweist den Betrachter auf die Finsternis des verwüsteten menschlichen Herzens.

Greg Marinovich, João Silva: Der Bang-Bang Club. Schnappschüsse von einem verborgenen Krieg. Wunderhorn, Heidelberg 2015, gebunden, 280 Seiten, 26,80 Euro