© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/16 / 18. März 2016

Selbstbestimmt wieder in Form kommen
Der Briefwechsel von Ernst Jünger mit seinem „Secretarius“ Armin Mohler bis zum Zerwürfnis 1961 und das Dilemma der deutschen Rechten nach 1945
Lutz Englert

In der Nacht vom 8. auf den 9. Februar 1942 passierte der 21jährige Baseler stud. phil. Armin Mohler illegal die Schweizer Grenze, um sich zur Waffen-SS zu melden und am Rußlandfeldzug teilzunehmen. Retrospektive eigene Sondierungen seiner Motivlage vermittelten letztlich keine Klarheit darüber, was ihn zu diesem lebensgefährlichen Unternehmen bewog. „Reichsromantik“ habe dabei jedenfalls keine Rolle gespielt, auch nicht der Wunsch, das Abendland oder die „Zivilisation Europas“ gegen „Asien“ und die „bolschewistische Barbarei“ zu verteidigen. Um derart Ideologisches restlos auszuscheiden, wollte Mohler schließlich („Der Nasenring“, 1991) nur gelten lassen, er habe den Schritt riskiert, um dem von Adolf Hitler, dem Mann „an der Spitze des Reiches, der Nation“, geführten Deutschland in seinem Kampf um die „bare Existenz“ beizustehen.

Weltanschaulich ganz so asketisch stellte Mohler sein Abenteuer in einem früheren Selbstbekenntnis nicht dar. Denn in einem Brief an Ernst Jünger vom 2. April 1959 erinnert er den Verfasser des „Arbeiters“ (1932) daran, wie es gerade die Wucht gewesen sei, mit der dieser Text „ins Metaphysische vorstößt“, die ihn den Entschluß fassen ließ, das Buch zuzuklappen, „um in der nächsten Nacht schwarz die Grenze nach Deutschland zu überschreiten“. Auch diese Aussage provoziert mehr Fragen als eine schlüssige Antwort, da der am Vorabend der NS-Machtergreifung erschienene „Arbeiter“ nicht zwingend dazu einlud, seine „metaphysische“ Botschaft vom verdienten Untergang der bürgerlichen Zivilisation und der planetarischen Etablierung eines technokratisch organisierten „Arbeiterstaates“ auf das Dritte Reich zu projizieren.

Wie auch immer: für Mohler ist Ernst Jünger jedenfalls zum wichtigsten biographischen Weichensteller geworden. Ohne den „Arbeiter“ kein Grenzwechsel, kein 1942 in der Berliner Staatsbibliothek der nationalistischen Publizistik aus Jüngers Weimarer „Kampfzeit“ gewidmetes Studium. Und erst recht kein dadurch entflammter Enthusiasmus, den es brauchte, um nach der Rückkehr in die Schweiz mit der literarischen Hinterlassenschaft jener vielgestaltigen deutschen Partei im „Weltbürgerkrieg“ vertraut zu werden, um daraus eine Doktorarbeit zu formen, mit der Mohler dieses Gewusel monarchistischer, völkischer, jungkonservativer, nationalrevolutionärer Zirkel, Sekten und Seilschaften 1948 endlich auf den Begriff brachte: „Konservative Revolution“.

Auf Recherchereisen ins Nachkriegsdeutschland, zu den überlebenden Exponenten der KR, seinen „Zeitzeugen“, lernte der Doktorand Mohler sein Idol Jünger auch persönlich kennen. Wobei der Meister abermals Schicksal spielte und Mohler einlud, ihm als „Secretarius“ zu dienen. Ein Posten, den das keinesfalls als serviler Eckermann auftretende, sondern überaus selbstbewußte, seinen „Chef“ oft respektlos überfahrende, oberlehrerhaft traktierende Rauhbein von 1949 bis 1953 versah, bevor er als Pariser Korrespondent der Züricher Tat und der damals rechts von der CDU angesiedelten Hamburger Zeit zum Chronisten der Dritten und Vierten Republik wurde. 

In der seit langem erwarteten, nun von Erik Lehnert präsentierten und akkurat annotierten Edition des Mohler-Jünger-Briefwechsels ist diese konfliktreiche Beziehung zwischen diesen beiden, bundesrepublikanische Ideengeschichte prägenden Gestalten mit all ihren Facetten vergegenwärtigt. Allerdings ist dabei eine kuriose Einschränkung hinzunehmen: Den Inhalt der Briefe Jüngers durfte Lehnert nur regestenhaft verkürzt mitteilen. Womit indes jene Leser gut umgehen können, die den introvertierten bis autistischen Autor zur Genüge als schlechten Briefschreiber kennen.

Trotzdem bietet die kupierte Korrespondenz einen echten Dialog, der Jünger zwar notgedrungen zum Stichwortgeber degradiert, während Mohler das Wort führt, der aber gleichwohl „Begriffe und Positionen“ des in der Adenauer-Ära parteipolitisch, aber nicht intellektuell marginalisierten rechten Lagers scharf konturiert. Vor allem in der Kritik des zu radikaler „Systemopposition“ neigenden Mohler an Jüngers Rückzug auf einen apolitischen „Gärtnerkonservatismus“ treten Frontlinien hervor, die die bundesdeutsche Rechte bis heute prägen. 

Mohler erbte von Nietzsche und Spengler ein Faible für „große Politik“, die „monumentale Bedürfnisse“ in einem neuen „heroischen Zeitalter“ befriedigen sollte. Von „Westdeutschland“, diesem „unsauberen Gemisch aus ‘freier Marktwirtschaft’, Kaugummi und Pfaffenherrschaft“, sei, wie der erklärte Heide Mohler bereits im November 1954 klagte, in dieser Hinsicht nichts zu erwarten. 

Jünger hingegen, von Carl Schmitt früh als status-quo-seliger „Anpasser“ an die westalliierten Besatzer verhöhnt, spekulierte nicht mehr darauf, Deutschland wieder weltpolitisch „ins Spiel“ zu bringen. Er horchte darum nicht wie Mohler das Tagesgeschehen der 1950er daraufhin ab, ob nicht von Frankreich aus, oder mit Hilfe der „Blockfreien“, vielleicht mit Unterstützung Chinas, das im Kalten Krieg zweigeteilte, fellachische Deutschland erneut selbstbestimmt „in Form“ kommen könne. Denn Jünger, so der versteckte, 1960 brutal offen geäußerte und ein lange währendes Zerwürfnis besiegelnde Vorwurf Mohlers, habe nach 1945, mit der quietistischen, wirklichkeitsfremden Hinwendung zu „Universalismus und Christentum“, seine analytische Kraft als zeitdiagnostischer Autor eingebüßt. Daher berührte den „von der Tat zur Gelassenheit“ (Daniel Morat, 2007) abgerutschten, einen eskapistischen Bildungskonservatismus pflegenden einstigen Nationalrevolutionär nicht mehr, was Mohler bis ins Alter in den Bann schlug: die Frage, wie Deutschland sich von einem Objekt wieder zu einem Subjekt der Politik wandeln könne. 

Es bezeugt den Wert der Edition, wenn sie die Brisanz dieser nationalen Schicksalsfrage im Spiegel einer sechzig Jahre alten, vermeintlich antiquierten Korrespondenz als immer noch aktuell erweist. Sie konfrontiert den Leser allerdings zugleich mit dem ebenso unvermindert aktuellen Dilemma von Mohlers Nationalismus, dem die politische Klasse der Bundesrepublik entsagt hatte und dem der Massenanhang fehlte. In seiner jüngsten Fassung bringen diese Crux Aussagen des Bundesfinanzministers Wolfgang Schäuble auf den Punkt, der seit Beginn der „Eurorettung“ wie ein Wiedergänger Ernst Jüngers mit triumphierendem Unterton gern und oft zu Protokoll gibt, die Deutschen seien seit 1945 nicht mehr souverän gewesen, und sie „leben gut“ damit.

Erik Lehnert (Hsrg.): Armin Mohler. „Lieber Chef …“ Briefe an Ernst Jünger 1947–1961. Verlag Antaios, Schnellroda 2016, gebunden, 556 Seiten, Abbildungen, 44 Euro