© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/16 / 18. März 2016

Frisch gepresst

Gruppe 47. „Nach Auschwitz nur noch Provinz.“ Was der Literaturhistoriker Jörg Magenau fast beiläufig als Motto der „Gruppe 47“ unterschiebt, einem lockeren Zusammenschluß von Schriftstellern und Kritikern, die sich seit 1947 in der Regel einmal jährlich in abgelegenen Landgasthöfen trafen, klingt doppeldeutig. Denn es kann sich nicht nur auf die Tagungsorte, sondern auch auf die Textproduktion dieser Gruppe beziehen. Dann enthielte es ein Todesurteil, das auch tatsächlich ausgesprochen wurde. Von Peter Handke, auf der einzigen Tagung, für die man sich aus der Provinz herausgetraut hatte, im Sommer 1966, in Princeton. Dort schmähte der Debütant Handke in einem denkwürdigen Auftritt die Erzeugnisse der versammelten Garde der Grass, Lenz, Enzensberger, Weiss als weniger denn provinziell – als „läppisch“. Diese Schärfe der Verachtung macht sich Magenau nicht zu eigen. Doch geschickt gewählte Kontraste, Princeton vor dem Hintergrund des Vietnamkrieges, Princeton als Exil-ort Albert Einsteins und Thomas Manns, als Zuhause des von den „Läppischen“ ignorierten Logik-Genies Kurt Gödel, eingestreute Zitate realitätsferner politischer Interventionen der vorwiegend linksliberalen Literaten, zwingen am Ende dazu, Handkes Urteil 50 Jahre später zu bestätigen. (wm)

Jörg Magenau: Princeton 66. Die abenteuerliche Reise der Gruppe 47. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2016, gebunden, 213 Seiten, Abbildungen, 19,95 Euro




Hitler. Wer in die bundesdeutsche Atmosphäre der siebziger und achtziger Jahre eintauchen möchte, um zu verstehen, warum sich die Illustrierte Stern für einen Millionenbetrag plump gefälschte „Hitler-Tagebücher“ unterjubeln ließ, schaue sich die witzigste deutsche Komödie an, die nach 1945 auf die Leinwand kam, Helmut Dietls „Schtonk!“ (1992). Mit verstörender Verwunderung registriert man daher in Rudolf Rietzlers Versuch über das „Hitlerbild der Deutschen“, genauer: der Westdeutschen, daß er zwar dem Stern-Desaster einige Absätze widmet und an die in Sachen Drittes Reich seltsam nostalgisch wirkende Meinungsführerschaft des linksliberalen Wochenmagazins erinnert, aber Dietls funkensprühendes Meisterwerk mit zwei Zeilen abtut. Was nicht verwundert, weil dem einstigen Spiegel-Redakteur, einem Schüler Fritz Fischers, promoviert mit einem grobianischen Holzschnitt zur „braunen Provinz“ Schleswig-Holstein vor 1933, eigentlicher Sinn fürs Historische abgeht. Daher bietet Rietzler nicht nur im zentralen Kapitel über die von Albert Speers Tagebüchern und Joachim Fests Biographie ausgelöste „Hitler-Welle“ der Siebziger, sondern durchgängig kaum Ansätze einer Analyse sine ira et studio. Stattdessen dominiert jene hämisch-süffisante, anödend-geistlose Rechthaberei, mit der man am führerfixierten Spiegel-Stammtisch bis zur Stunde „Vergangenheit bewältigt“. (ob)

Rolf Rietzler: Mensch, Adolf. Das Hitler-Bild der Deutschen seit 1945.  Ansichten eines Zeitgenossen. Verlag C. Bertelsmann, München 2016, gebunden, 544 Seiten, Abbildungen, 24,99 Euro