© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/16 / 18. März 2016

Nur noch ein privates Bundespresseamt
Ein früherer Chefredakteur der Bild-Zeitung beklagt Leserverlust und politische Hofberichterstattung seines Blattes unter der 15jährigen Ägide von Kai Diekmann
Andreas Harlaß

Das Telefon am „Balken“ einer Bild-Redaktion: „Ja, Herr Diekmann – machen wir, ja, wir rücken das gerade …“ Wenige Stunden nach dem Chef-Anruf  fliegt die Bürotür des lokalen Redaktionsleiters auf, ein kleiner Mann, sichtlich aufgebracht, erstürmt den Raum. „Sie sind der Geschäftsführer des Müll-Unternehmens. Unser Chefredakteur hat Sie avisiert. Kaffee?“ Um es kurz zu machen: Am nächsten Tag stand die Richtigstellung über den Protest einer Bürgerinitiative gegen eine Deponie im Blatt. Obwohl am Bericht vom Vortag nichts falsch war. Diekmann hatte es nach einer Beschwerde angeordnet. Das genügte. 

Mit 15 Dienstjahren als Chefredakteur ist Kai Diekmann der am längsten gediente Blattmacher des Springer-Flaggschiffes. Er durfte immer weiterwurschteln, obwohl Bild mit ihm an der Spitze 2,5 Millionen Leser verlor. Peter Bartels, ebenfalls Bild-Chef, von 1989 bis 1991, zieht nun Bilanz. Bilanz über Diekmann, dessen Bild-Zeitung und warum beiden die Leser scharenweise davonliefen und es noch immer tun. Als Hauptursache sieht Bartels die politische und persönliche Eitelkeit des Chefredakteurs, der im Dezember 2015 „freiwillig“ den Sessel räumte. Die Eitelkeit, Politikern zu gefallen, gepaart mit politischer Korrektheit und dem damit einhergehenden Verrat an den Interessen der Leser. 

Bartels schreibt dazu: „Es ist die Geschichte einer Zeitung, die Jahrzehnte an der Seite ihrer Leser stand, ihre Stimme war. Es ist aber auch die Geschichte einer Presse, die sich in atemberaubender Weise zur ‘Deutungsmonarchie’ hochlog, indem sie gemeinsam mit der Politik verschwieg, was sie hätte rausschreien und schreiben müssen.“

Tatsächlich war es auch die Bild-Zeitung, die – wenn überhaupt – nur verdruckst nach den Folgen der Masseneinwanderung fragte und nicht vor grassierender Islamisierung, prekären Verteilungskämpfen oder dem Niedergang sozialer Standards warnte. Im Gegenteil! Diekmann rief die Willkommenskultur aus. Neue Leser erreichte er damit freilich nicht.

Bartels offenbart, daß Bild mehrere Exklusiv-Geschichten in der Schublade hatte, aber die Erstveröffentlichung durch andere Medien abwartete, um dem Ruf eines politischen Henkers zu entgehen. „Nein, der Kai ließ die Kastanien lieber von anderen aus dem Feuer holen, da war er doch eher der in Bonn gestählte ‘Schranze’, dessen Merkmale von jeher Gefallsucht, Schmeichelei und eine Prise Heuchelei waren“, urteilt der Alt-Chefredakteur. So soll bei Diekmann laut Autor der Fall Friedman (Koks und Prostituierte) im Jahr 2003 druckfertig in der Bild-Schublade gelegen haben, ebenso wie die Geschichte um VW-Personalvorstand Hartz (Huren auf Kosten des Hauses). Für alte Bild-Chefredakteure wie Bartels ein journalistischer Offenbarungseid. Sie wollten noch, daß die Mächtigen vor Bild „zitterten“. Heute seien „Diekmann und Bild längst so etwas wie ein privates Bundespresseamt geworden“.   

Bartels erzählt noch einmal das Versagen der Bild bei der Sebnitz-Berichterstattung, wo sich herausstellte, daß nicht Neonazis ein Ausländerkind im Bad ertränkt hatten, sondern es sich um einen Badeunfall handelte. „Alle waren auf sie reingefallen. Weil es für alle die politisch ‘richtige’ Schlagzeile war?“ Diesen Medien-GAU hatte zwar nicht Diekmann zu verantworten, sondern noch dessen Vorgänger Udo Röbel – aber er soll Beleg dafür sein, daß auch Bild längst den politisch korrekten Weg begonnen hatte einzuschlagen. Bartels widmet sich zudem ausführlich der Berichterstattung über die Kölner Silvesternacht, die seiner Meinung nach ein einziges bewußtes, politisches und journalistisches Versagen war.   

Freunde werden Bartels und Diekmann wohl nicht mehr. „Lieber Kai“, schrieb Bartels zuletzt am 9. Juli 2014, „es war ein großer Sieg – es ist eine große Zeitung, die Du gemacht hast; vielleicht die größte!“ Es war der Tag nach dem spektakulären 7:1-Kantersieg der deutschen Nationalmannschaft über Brasilien. Auf dem Titel stand damals lediglich: „Ohne Worte“. Bebildert mit einem Jubelfoto deutscher Spieler. Nun schreibt Bartels über statt an Kai. Das kann er gut. Gelernt ist gelernt.

Peter Bartels: Bild. Ex-Chefredak-teur enthüllt die Wahrheit über den Niedergang einer einst großen Zeitung. Kopp Verlag, Rottenburg 2016, gebunden, 255 Seiten, 19,95 Euro