© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/16 / 25. März 2016

„Uns droht ein Islamistenstaat“
Der Bestsellerautor Boualem Sansal beschreibt in seinem Roman „2084. Das Ende der Welt“ die Herrschaft einer totalitären Religion
Katharina Puhst

Herr Sansal, Ihr Buch fand in den Medien große Beachtung und wurde mit dem Grand Prix der Académie française ausgezeichnet. Was erhoffen Sie sich dadurch?

Sansal: Das Bewußtwerden von wichtigen Themen: Zwei besonders besorgniserregende sind der Aufstieg des Fundamentalismus im allgemeinen und die moralische Schwächung der Elite.

Sie lassen in eine dunkle Zukunft blicken.

Sansal: In meiner Utopie zeige ich, wie eine totalitäre Glaubensrichtung die Bevölkerung beherrscht. Ich denke dabei an eine islamische Theokratie. Die Geschichte spielt in einem Land namens „Abistan“, das sich über den gesamten Planeten erstreckt. An der Spitze der Hierarchie steht Gott, der in Anlehnung an Allah „Yölah“ genannt wird und durch den auf Erden lebenden Propheten „Abi“ vertreten ist. Zudem gibt es eine absolute Überwachung durch die Polizei und die Abhängigkeit der Bürger von ihrem Staat, der für sie alles übernimmt – von der Zuweisung der Unterkunft bis hin zur Bereitstellung der Nahrung.

Wie erhält sich solch absolute Macht?

Sansal: Durch Zwang, mentale Manipulation, Sprachveränderung und vor allem durch Ritualisierung des Zusammenlebens. Dies geschieht unter dem Einfluß einer rund um die Uhr ausgeübten Religion, die das Bewußtsein der Menschen einschläfert.

Überdies wird die Geschichte verfälscht. Die Machthaber erzählen dem Volk eine neue Geschichte mit der Behauptung, sie sei von Gott oder einem vom Himmel Gesandten so vorgegeben. Sollten die Bürger sich dennoch an ihre „alte“ Geschichte erinnern und Zweifel gegenüber der neuen hegen, wird ihnen eingetrichtert, daß sie bislang unter falschen Annahmen lebten, die ihnen von vorigen Eroberern und Mächten aufgezwungen waren. Es ist eine Frage der Konditionierung.

Gibt es dagegen keine Revolte?

Sansal: Es gibt zwei Möglichkeiten: die kollektive Revolte und die des einzelnen. Die kollektive halte ich in diesem System für ausgeschlossen, denn die Menschen werden sich darin wie Schafe verhalten und das bis in alle Ewigkeit. Außerdem schaltet das totalitäre Regime jegliche Querdenker aus. Allein der Gedanke, daß ein Mensch nicht mehr wahrhaft gläubig sein könnte, reicht für dessen Hinrichtung aus. Es braucht viel Zeit und viele Mittel, die wir nicht haben. Die Revolte des einzelnen halte ich zwar für denkbar, wenngleich für hoffnungslos. Wie wollen Sie als einzelner gegen ein System, das die gesamte Welt erfaßt, erfolgreich aufbegehren? Mein Protagonist Ati wird sich des Gefangenseins im System bewußt. Anhand des Zweifels, der ihn von einer Frage zur anderen treibt, entdeckt er nach und nach die innere Revolte und begibt sich auf die Suche nach der Wahrheit. Verständlicherweise kommt er darin nicht weit, weil das System in sich geschlossen ist.

Wie ist es möglich, daß dasWissen in dem imaginären Abistan so begrenzt ist?

Sansal: Sobald die kleinen Bürger etwas hinterfragen, erfolgt von den Mächten der Einwurf: „Das ist uns von Gott so vorgegeben.“ So wird jeglicher Zweifel unterbunden. Natürlich gibt es noch weitere Möglichkeiten: die Menschen zu terrorisieren und zu ängstigen, ihnen Propaganda vorzuhalten oder unentwegt Leitsprüche zu wiederholen. Ebenso essentiell ist die Veränderung der Sprache. Experten haben beobachtet, daß eine Sprache, um eine Ideologie zu stützen, von mal zu mal einfacher wird. Damit die Menschen einer Diktatur folgen, müssen sie dumm gehalten werden. Dasselbe sehen wir in Kasernen: Binnen sechs Monaten lernen Soldaten mit einem Vokabular, das über keine fünfzig Worte verfügt, die Grundregeln und werden zu Kämpfern. Sie sind einander gleich, sie essen dasselbe, gehen gleichzeitig ins Bett, sind gleich angezogen und sprechen dieselbe Sprache. Schickte man sie anschließend in den Krieg, wo der Tod auf sie wartet, würden sie trotzdem losziehen. Dabei spielen Religion und Propaganda eine wesentliche Rolle. So werden die Soldaten zu „Ameisen“, die ihrem Befehlshaber – der Ameisenkönigin – hörig sind. Es ist ein Kinderspiel, aus einem freien Volk Ameisen zu formen. Im Roman besteht die Einheitssprache „Abilang“ fast nur aus ein- und zweisilbigen Wörtern.

In „2084“ stellen Sie „Oberflächlichkeit“ mit „Glauben“ in Zusammenhang.

Sansal: In Wirklichkeit steht doch nicht der Akt des Glaubens im Vordergrund. Dazu wird niemand jemals aufgefordert; es geht doch vielmehr darum, die Religion nach den Regeln zu praktizieren, die von der religiösen Autorität und Macht vorgegeben wurden. Wir stehen vor dem mit dem Glauben verbundenen Handeln und nicht vor dem persönlichen Verhältnis, das jemand zu Gott pflegt. Die Religion ist eine Errichtung der Macht, weiter nichts. Irrtümlicherweise denken die Europäer oft, die Islamisten sowie ihre Anhänger seien ungebildet und dumm. Doch handelt es sich hierbei um Ärzte, Ingenieure, Techniker, Beamte, die aus der ganzen Welt stammen und dem Islamismus verfallen.

Ist die Wahrscheinlichkeit eines islamistischen Gottesstaates tatsächlich so groß?

Sansal: Seit dreißig Jahren breitet sich der Islamismus erfolgreich aus und hat in vielen Ländern bereits seine Wurzeln geschlagen. „Abistan“ existiert in den arabischen Ländern, aber auch in europäischen Vorstädten wie dem Brüsseler Molenbeek bereits hier und dort. In zwei, drei Generation könnte es sich über die gesamte Welt erstrecken.

Wie erklärt sich dieses Wachstum?

Sansal: Die Menschen, die heute und morgen geboren werden, kommen mit Frust und Sehnsüchten auf eine Welt, die ihnen keine Antworten bieten kann. Die einzige Religion, die ihnen Antworten liefert, wird der Islam sein. Früher oder später werden alle Menschen diesem neuen Regime aus Angst oder Überdruß beitreten, weil sie ihre Ohnmacht feststellen. Um ein Land zu erobern, benötigt es keiner Armee an Islamisten. Beispielsweise wird sich Deutschland an dem Tag verändern, an dem es derer zehn Prozent zählt. Gesellschaftssysteme wie Demokratie oder Kommunismus werden nicht mehr existieren.

Die Flüchtlinge, die nach Europa strömen, scheinen aber vor dem Regime zu fliehen.

Sansal: Das kann ich nicht nachvollziehen. Wenn ein Land in Gefahr ist, müßten die Menschen dort bleiben und dafür kämpfen. Sowohl ihre Mütter, Geschwister und Familien sind dort, es handelt sich um ihr Land und um ihre Kultur. Wozu lohnt es sich sonst zu leben? Die Flüchtlinge reisen nach Europa und fordern die dortigen Regierungen dazu auf, ihr Land zu befreien – einfach schockierend. Dabei wäre es ihre Aufgabe – und nicht die der Europäer – dieses zu verteidigen. Diese können ihnen nur die Mittel wie Geld, Waffen und die Ausbildung im Umgang damit anbieten. Es wäre etwas anderes, wenn Frauen und Kinder nach Europa strömten, aber hier sieht man doch, daß es junge, kräftige Männer sind. Das ist inakzeptabel! Man muß diesen Menschen helfen, sich neu zu erschaffen und nicht sich zugrunde richten. 

Was verstehen Sie darunter?

Sansal: Wenn die Syrer, Iraker, Afrikaner nicht innerhalb von sechs Monaten in ihre Länder zurückkehren, sind sie komplett zerrüttet, weil sie sich aufgrund ihrer hohen Anzahl nicht integrieren können und untereinander bleiben werden. Sie werden ein paar Brocken Deutsch lernen, aber wozu taugt das?

Ist Integration also nur Wunschdenken?

Sansal: Die Frage ist doch: Ist es Deutschland möglich, eine Million Arbeitsplätze zu schaffen? Denn eine Arbeitsstelle brauchen die Flüchtlinge jetzt und nicht erst in fünf Jahren – was katastrophale Konsequenzen mit sich führen wird. Wahre Integration kann sich nur vollziehen, wenn Arbeit und Unterkunft gesichert sind. Anders werden die Migranten zu Opfern der Kriminalität und des Hasses, weil sie den Einheimischen zum Vorwurf machen werden, diese würden sie ausbeuten und verachten, ihnen nichts geben und rassistisch begegnen. Auf diese Weise entwickelt sich eine Kultur des Grolls, und die Einheimischen werden die Migranten wiederum kritisieren und feststellen, daß sie stehlen. Die Folge ist noch mehr Haß und die Spaltung der Gesellschaft. Daher ist die Integration, von der die Regierungen sprechen, eine Lüge. Damit verbinde ich auch Oberflächlichkeit, denn in Wahrheit geht es doch darum, diese Menschen für die Industrie und Wirtschaft hierzubehalten. Eine Art Entführung!

Glauben Sie an eine Rückkehr der Migranten in ihre Heimatländer?

Sansal: In zwei, drei Monaten werden sich die Flüchtlinge schuldig fühlen, weil sie ihr Land im Stich gelassen haben. Im algerischen Bürgerkrieg war es genauso: Manche sind nach Frankreich, haben sich dort Papiere beschafft und ein neues Leben aufgebaut. In Algerien werden sie jedoch dafür gehaßt, geflohen zu sein und damit ihre Landsleute verraten zu haben. Heute plagen sie enorme psychische Probleme, weil sie in Algerien auf eine mindestens so große Ablehnung treffen wie in Frankreich in der algerischen Gemeinschaft. Diese setzt sich aus Algeriern zusammen, die unter „normalen“ Umständen ausgewandert waren, das heißt die ein neues Leben in Frankreich begannen, weil sie dort leben wollten. Das ist das Dilemma, was Deutschland morgen blüht: Leute mit psychischen Problemen! Es wird Selbstmorde und andere Greueltaten geben. Darüber müssen die Menschen, die von Integration sprechen, endlich nachdenken, denn die mit der Aufnahme verbundenen psychischen, religiösen und kulturellen Probleme sind sehr kompliziert. Zumal den Menschen, die weiterhin in ihrem Land sind, trotzdem geholfen werden muß, auch weiterhin dort bleiben zu können. Dafür wurden internationale Gesetze eingeführt: damit die Menschen bei sich in Freiheit und Unabhängigkeit leben und nicht damit sie fliehen und eine weltweite Völkerwanderung hervorrufen. 

Wie ist gegen den Islamismus vorzugehen?

Sansal: Es gibt Sicherheitsmaßnahmen seitens des Militärs, der Polizei und der Geheimdienste. Die Mittel werden auch angewendet, doch handelt die Politik diesen häufig entgegengesetzt. Des weiteren muß sich die Politik in Hinblick auf die Migranten ändern. Dafür ist es aber vielleicht schon zu spät. Man hätte von Beginn an versuchen müssen, dem Islam Demokratie beizubringen. Statt dessen haben die Europäer, vor allem aber die Franzosen und Amerikaner, den Krieg manipuliert und somit das Klima des Hasses begünstigt. Für einen gläubigen Moslem stellt die Demokratie einen Widerspruch zu den im Koran gelehrten Worten dar und verweist auf einen Lernprozeß, der nie stattgefunden hat. Man möchte, daß die Menschen sich integrieren, aber man sagt ihnen nicht wie und weshalb.

Abistan beschreiben Sie als „leer“. Was assoziieren Sie also mit „Heimat“?

Sansal: Ich würde sagen, daß Heimat das Land ist, das man in seinem Herzen trägt. Dieses kann reell oder mystisch genauso wie ein bißchen hier und ein bißchen dort sein. 






Boualem Sansal, erhielt 2011 in Frankfurt am Main den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Geboren 1949 in Algerien, studierte er zunächst Ingenieurwesen und wurde in Volkswirtschaftslehre promoviert. 1996 ernannte man ihn zum Generaldirektor im Ministerium für Industrie, den Posten verlor er jedoch aufgrund seiner islamkritischen Bücher und Äußerungen. 1999 veröffentlichte Sansal seinen ersten Roman „Der Schwur der Barbaren“, der in Frankreich von großem Erfolg gekrönt war. Alle seine Romane sind bei Merlin bisher auch auf deutsch erschienen, zuletzt der Essay „Allahs Narren. Wie der Islamismus die Welt erobert“. Seine Utopie „2084. La fin du monde“ (zu deutsch: „2084. Das Ende der Welt“) wurde vergangenen Herbst in Frankreich publiziert und gilt als sein bislang bester Roman. Eine Übersetzung in deuscher Sprache liegt allerdings noch nicht vor.  

Foto: Moslems protestieren in Brüssel gegen Mohammed-Karrikaturen (Archivfoto 2006): „Die Religion ist eine Errichtung der Macht, weiter nichts“

 

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