© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/16 / 25. März 2016

Getrennt marschieren, gemeinsam verlieren
Linkspartei: Nach dem enttäuschenden Abschneiden bei den Landtagswahlen lecken die Sozialisten ihre Wunden und streiten über die richtigen Rezepte
Paul Leonhard

Knapp zwei Wochen nach den Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt zeigt sich die deutsche Linke erneut tief gespalten. Sie hat den Einzug in beide westdeutschen Landesparlamente verpaßt und ist in dem östlichen Bundesland von 23,7 Prozent auf 16,3 Prozent abgestürzt.

Diesmal geht der Riß nicht quer durch die Landesverbände und Fraktionen, sind es nicht Reformer und Traditionalisten, die sich bekämpfen. Diesmal wird deutlich, wie sehr sich die Parteispitze von der Basis entfernt hat. Ausgerechnet an der Chefin der Linksfraktion, Sahra Wagenknecht, entzündet sich der Streit. Diese hatte kurz vor den Wahlen in einem Interview darauf hingewiesen, daß es für die Aufnahme von Flüchtlingen Kapazitätsgrenzen gibt. Sie hatte von Ghettoisierung und Parallelwelten gesprochen und gefragt, ob sich die Partei nicht „stärker von der sozial verantwortungslosen Ausgestaltung der Flüchtlingspolitik der Großen Koalition“ hätte abgrenzen müssen.

Parteichefin Katja Kipping widersprach sofort und Dutzende Vertreter der Antikapitalistischen Linken forderten Wagenknecht in einem offenen Brief auf, ihre „Positionen zu überdenken und zu korrigieren“. Sollte sich die Linke auf derartiges einlassen, laufe sie Gefahr, „als soziales, solidarisches, internationalistisches und antikapitalistisches Projekt endgültig zu scheitern“. Andererseits distanzieren sich die Briefschreiber von den „Vorwürfen Gregor Gysis und anderer“, Wagenknecht sei mit ihren Ansichten Mitschuld an der Wahlniederlage.

In den Leserkommentaren der linken Medien und sozialen Netzwerke finden die Äußerungen Wagenknechts Zustimmung. Sie sei die einzige, die Stimmungen in der Bevölkerung registriere, heißt es da. Andere warnen davor, jede Abweichung von der Vorstandslinie in die rechte Ecke zu schieben: „Mit der rechten Keule die Meinungsfreiheit in der Partei einzuschränken, wird nicht erfolgreich sein.“ Und es wird eine realistischere Flüchtlingspolitik angemahnt. Realitätsverweigerung habe noch nie Erfolg gehabt.

Ähnlich sehen es Parteistrategen in ihren Analysen. Es sei zuviel Rücksicht auf Bündnisfragen genommen worden, statt die Mitverantwortung von SPD und Grünen am Kahlschlag und der Entdemokratisierung zu benennen. So ist es der Linken nicht gelungen, Wähler zu mobilsieren, sondern dem ärgsten Gegner, der Alternative für Deutschland.

Streit über den Umgang mit der AfD

Bündnisfähigkeit sei wichtiger denn je, aber nicht so sehr mit anderen Parteien als mit der Gesellschaft, mahnt Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn. Wenn derzeit Sicherheiten schwänden, die etablierte Politik sich entdemokratisiere und zunehmend autoritärer werde und gleichzeitig reihenweise gesellschaftliche Tabus fielen, dann müsse die Partei das zur Kenntnis nehmen. Ein gesellschaftlicher Diskurs über Inhalt und Form alternativer Politik sei erforderlich, alte Muster müßten hinterfragt werden. Eine „soziale Offensive“ fordert ein Leitantrag des Vorstandes. Die Willkommenskultur müsse „mit dem Kampf gegen Armut“ verbunden werden. Wichtig sei es, eine Strategie zu entwickeln, „wie wir wieder in die richtige Spur und zu den Menschen zurückfinden“, findet Dominic Heilig, Sprecher des Forums Demokratischer Sozialismus.

Uneins sind sich die Sozialisten im Umgang mit der AfD. Es nütze nichts, diese als „faschistische Partei zu etikettieren“, so die Bundestagsabgeordneten Sevim Dagdelen, Alexander Ulrich und Heike Hänsel. Die Partei müsse die AfD „sozial stellen“. Andere fordern die Ausrichtung auf einen „demokratischen Klassenkampf“, da es rot-rot-grüne Bündnisse – abgesehen vielleicht von Berlin – vorerst nicht geben werde.

Aktuell klammern sich die Genossen an kleinste Erfolge. Immerhin konnten in Freiburg, Heidelberg, Tübingen und Stuttgart etwas mehr als fünf Prozent der Wählerstimmen erreicht werden. Hoffnungsvoll stimmt die westdeutsche Linke, daß sich ihre überschaubare Wählerschaft aus der jungen Generation speist. Im Südwesten sei der Anteil der 18- bis 34jährigen Linkswähler überdurchschnittlich, analysiert das Neue Deutschland: „Die Partei könnte so ein kleiner Anlaufpunkt für radikalisierte Jugendliche werden, wenn sie diese Neumitglieder schult und ihnen Raum für die Entfaltung und Aktivitäten bietet.“ Bedrohliches hat dagegen die Rosa-Luxemburg-Stiftung herausgefunden: eine „generell absinkende Mobilisierungsfähigkeit“ der Parteisympathisanten in den neuen Bundesländern.

Viel Zeit, sich neu zu finden, bleibt der Linkspartei nicht. Im Herbst stehen bereits die für sie wichtigen Wahlen in Berlin und in Mecklenburg-Vorpommern an.