© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/16 / 25. März 2016

Helikoptergeld im Anflug
EZB: Chef Mario Draghi schließt Geschenke an die Euro-Bürger nicht mehr aus
Bruno Hollnagel

Die Szene erinnerte an Günter Schabowskis Mauerfall-Pressekonferenz am 9. November 1989: Damals verriet der SED-Pressesprecher erst auf Journalistennachfrage, das die DDR-Grenze „sofort, unverzüglich“ offen sei. Der 10. März 2016 könnte in der Euro-Geldpolitik eine ähnliche Wirkung entfalten, denn Mario Draghi antwortete auf die Frage, gehöre „Helikoptergeld“ auch „zum Instrumentenkasten“ der Europäischen Zentralbank (EZB), nicht mit Kopfschütteln, sondern zur Verblüffung der anwesenden Wirtschaftsjournalisten mit dem Hinweis, dies sei ein „sehr interessantes Konzept“, das momentan in akademischen Zirkeln diskutiert werde.

„Wir müssen das beobachten“, sagte der EZB-Chef vielsagend zum Schluß – und seither sind FAZ, Welt, Handelsblatt oder Focus in Aufruhr. Jens Weidmann wurde vergangenes Wochenende noch deutlicher: „Statt immer waghalsigere geldpolitische Experimente ins Spiel zu bringen, wäre es sinnvoll, einmal innezuhalten“, zürnte der Bundesbankpräsident. Geldgeschenke an die Bürger seien „eine hochpolitische Entscheidung“, die Notenbanken hätten „dazu kein Mandat, auch weil damit eine massive Umverteilung verbunden wäre“.

Gigantisch wäre Draghis möglicher Hubschraubereinsatz allemal: Milton Friedman hatte 1969 von 1.000 Dollar gesprochen – in heutiger Kaufkraft entspricht das etwa 6.000 Euro pro Kopf. Bei 339 Millionen Einwohnern wären das zwei Billionen Euro, die die EZB direkt unter die Leute bringen müßte.

Selbst am praktischen Beispiel aus der Bush-Zeit orientiert, wären das immer noch 300 Euro bzw. über 100 Milliarden Euro, die die EZB drucken müßte. Die Verteilung des Geldes ist dank der neuen IBAN-Kontonummern kein Problem. Und angesichts von 89 Milliarden Euro Wohlstandsverlust, die die EZB-Niedrigzinspolitik laut Ifo-Chef Hans-Werner Sinn Deutschland allein 2015 gekostet hat, wäre die Aktion vielleicht nur ein kleiner Ausgleich?

Was einleuchtend klingt, hat einen Fehler: Die Euro-Geschenke ohne Gegenposten – wenn die Empfänger nicht zu Schuldnern der EZB werden sollen – haben zur Folge, daß das Eigenkapital der Notenbank sinkt. Das dann negative Eigenkapital würde das Vertrauen in die Geldwertstabilität unterminieren und schließlich die von Draghi gewünschte Inflation anheizen. Und ist seit der Finanz- und Eurokrise „Helikoptergeld“ nicht schon gang und gäbe?

Es geht darum, Banken und Staaten billig zu finanzieren

Nur indirekt, denn bislang profitierten nur Banken und Staaten. Die Auswirkungen betrügerischer Machenschaften von Finanzinstituten verschwanden unter riesigen Mengen von Dollar und Euro. Notorische Versager, die den Markt längst hätten räumen müssen, wurden mit Geldinfusionen künstlich am Leben erhalten und wieder zu alter Größe aufgepäppelt. Auch die ungebremste Staatsüberschuldung ist mittels der EZB-Druckerei möglich.

Das Billiggeld ist Gift für die Wirtschaft, weil es zu Kapitalfehlleitungen und Blasenbildungen führt, die eines Tages mit lautem Krach platzen werden. Und es wirkt wie Rauschgift für Finanzminister, die dazu verleitet werden die Staatskredite aufzublasen, weil Schulden fast nichts kosten. Die natürliche Schuldenbremse – hohe Zinsen – hat die EZB demontiert. Also rast der Schuldenzug der meisten Euro-Staaten ungebremst weiter. Man darf gespannt sein, was geschieht, wenn die Konjunktur demnächst einmal lahmen sollte.

Unverantwortliches Handeln wird – siehe Euro-Rettung von Griechenland & Co. – nicht etwa bestraft, sondern belohnt. Zudem ist es äußerst bequem, Schulden zu machen, wenn andere dafür zahlen müssen. Und wer zahlt? Fatalerweise gerade diejenigen, die verantwortungsvoll handeln, die Vorsorge treffen und umsichtig wirtschaften. Renten- und Pensionsfonds nämlich sind es, die unter Negativzinsen und finanzieller Repression leiden. Als Stanley O’Neal im Zuge der Immobilienkrise 2007 die US-Investmentbank Merrill Lynch mit einem Milliardenverlust an die Wand fuhr, bekam der frühere GM-Manager noch eine Abfindung von 161,5 Millionen Dollar. Als die Euro-Finanzminister ihre Staaten in die Krise steuerten, billigten sie sich wechselseitig hohe Finanzspritzen (Rettungsfonds EFSF, ESM) zu.

Die Banken müssen nun bezahlen, wenn sie ihr EZB-Geld nicht verleihen. Doch jede Bank verleiht nur Geld, wenn die Zinsen so hoch sind, daß mindestens die Risiken gedeckt sind. Doch die EZB drückt die Zinsen künstlich, indem sie auf dem Kapitalmarkt im großen Stil Anleihen kauft. Warum sollten Banken derzeit in Europa Geld verleihen? Es ist also nicht verwunderlich, daß „Buchkredite an nichtfinanzielle Unternehmen nach wie vor schwach“ ausfielen. Die Banken werden die höheren Kosten vermutlich vermehrt auf die Kunden abwälzen. Und wieso sollten sich potentielle Investoren Geld leihen, wenn sie keine neuen Märkte, Produkte oder Ideen haben? Konjunkturschwankungen werden nur zum Teil von der Geldmenge und deren Zinsen beeinflußt.

Im Februar lag die Inflation im Euro-Raum offiziell bei minus 0,2 Prozent – es gab also Deflation. Aber die hausgemachte Inflation lag bei über null Prozent Warum? Weil die Rohstoff- und Ölpreise gesunken sind. Diese Importe drücken die Inflation, ganz gleich, was die EZB macht. Was ist daraus zu schließen? Es geht gar nicht um Preisstabilität und Konjunktur, sondern darum, Banken und Staaten billig zu finanzieren – zu Lasten Dritter. Das ist das wahre Ziel von „Helikopter-Mario“.





Geldgeschenke der US-Regierung

Was kann die US-Zentralbank Fed tun, wenn trotz Zinssenkung weiter Deflation und Wirtschaftsmisere herrschen? Im Notfall müsse ein Hubschrauber losfliegen, der Dollarscheine rauswirft und so unter den Konsumenten verteilt. Dieses Gedankenexperiment beschrieb 1969 der spätere Wirtschaftsnobelpreisträger Milton Friedman in seinem Essay „The Optimum Quantity of Money“, aber nicht ohne zu warnen, eine Geldmengenausweitung führe zu Inflation. Anläßlich der New-Economy-Rezession rief der spätere Fed-Chef Ben Bernanke 2002 die Idee wieder in Erinnerung. Doch erst Präsident George W. Bush versuchte sich angesichts des drohenden Crashs im Rahmen des Economic Stimulus Act an der Umsetzung: Jeder US-Steuerzahler sowie legale Ehegatten und Kinder erhielten im Mai 2008 per Überweisung oder Scheck mindestens 300 Dollar Steuergutschrift. Das entsprach kaufkraftbereinigt aber nur einem Zwanzigstel dessen, was Friedman vorschlug. Und das Geschenk kam nicht direkt von der Fed, sondern belastete den US-Bundesetat und führte zu einem Anstieg der Inflation.

Economic Stimulus Act of 2008: www.irs.gov/