© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/16 / 25. März 2016

Zeitschriftenkritik: Exit! 13
Die Geschäftsidee Europa scheitert
Jens Knorr

Die weltweite Migrationsbewegung, als „Flüchtlingskrise“ verniedlichtes Krisensymptom des warenproduzierenden Systems, hat dessen Kernländer erreicht – und der waren- und wertkritische Begriff des „failed state“ den BWL-Mainstream. Wenn nun Bundeskanzlerin Angela Merkel meint, allein in die große Welt hinein reisen zu müssen, um das Flüchtlingsproblem dort zu lösen, wo seine Ursachen liegen, dann verwechselt sie Erscheinung und Wesen, Wirkung und Ursache.

In Zeiten der Notstandsverwaltung dürften sich sowohl Rüstungs-Keynesianismus als auch Asylindustrie-Konjunktur als untaugliche Mittel erweisen, aus der abschmelzenden absoluten Mehrwertmasse auf Dauer nennenswert nationale Anteile herauszuschinden. Wo die aus den realwirtschaftlichen Kreisläufen Ausgeschlossenen außerhalb der Grenzen zu halten und innerhalb der Grenzen durch Bespaßung wie Repressionen bei der Stange zu halten bzw. jene durch diese bekriegen zu lassen sind, bieten allein Exekutive und Mafia noch krisensichere Vollzeitstellen. Der Ausnahmezustand verschmilzt mit dem Normalzustand, die Gewaltenteilung existiert nur noch formal, das „Lager“ wird in verschiedensten Varianten von allen und für alle durchexerziert.

Anlaß genug für die Redaktion der unregelmäßig erscheinenden Zeitschrift Exit! – Krise und Kritik der Warengesellschaft, im aktuellen Heft zwei Abschnitte aus Robert Kurz’ Buch „Weltordnungskrieg“ aus dem Jahre 2008 wieder abzudrucken: Gegen Carl Schmitt und mit Giorgio Agamben dechiffriert Kurz den Ausnahmezustand als Kern und äußerste Grenzposition der liberalen Demokratie. Eine kritische Revision von Kurz’ verkürzter und nicht ganz neidloser Agamben-Lektüre steht weiter aus.

Mit „Landnahme“-Konzepten (Klaus Dörre, Silvia Federici), neuerdings in linken Debatten aufgekommen, setzt sich Roswitha Scholz auseinander. Entgegen den Annahmen dieser Konzepte lasse sich die gegenwärtige globale und nationale Krisenverwaltung nicht als Mobilisierung von Ressourcen und Arbeitskraft für eine erneuerte kapitalistische Akkumulation beschreiben, sondern im Gegenteil als beider Demobilisierung. Leih- und Wanderarbeiter wie Flüchtling seien keine „neue Ausgabe“ des Proletariers, Arbeiters, sondern stillgelegtes „Humankapital“, das eben genau das nicht sei, sondern schlichtweg überflüssig.

Daniel Cunha unterzieht den Begriff des „Anthropozäns“ einer Ideologiekritik – nicht ohne in Anmerkungen und redaktionellem Nachsatz geschulmeistert zu werden. Gerd Bedszent schildert am Beispiel „Nigeria – vom Ölparadies zum zerbrechenden Staat“, einem „failed state“, der seine kapitalistische Modernisierung und Demokratisierung längst hinter sich hat, die Auflösungsszenarien in der Peripherie der Weltwirtschaft. Im Rezensionsteil rät Bedszent zu dem Buch des Stadtsoziologen Mike Davis „Planet der Slums“. 

Kontakt: Exit! Krise und Kritik der Warengesellschaft“, hrsg. vom Verein für kritische Gesellschaftswissenschaften e.V., Horlemann-Verlag, Lindenallee 9, 16278 Angermünde. Das Heft kostet 13 Euro.

 www.exit-online.org