© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/16 / 25. März 2016

Der Graphiker verdiente sehr gut
Ausstellung: Das Hessische Landesmuseum zeigt Holzschnitte und Kupferstiche Albrecht Dürers
Claus-M. Wolfschlag

Albrecht Dürer (1471–1528) war ein Ausnahmekünstler an der Schwelle zwischen Mittelalter und Neuzeit. Wissenschaft und Alchemie, Glaubensmysterium und Studium der Natur verschwimmen bei diesem Michelangelo des Nordens zur einer spannungsreichen und in die Moderne ausgreifenden Melange.

Vor allem die Drucktechnik machte den als Sohn eines Goldschmieds geborenen Nürnberger Graphiker berühmt, stellte er seine Drucke doch in für damalige Verhältnisse hohen Auflagen her und verkaufte sie erfolgreich auch außerhalb seiner Heimatstadt. In Darmstadt ist derzeit die graphische Dürer-Sammlung des späteren Großherzogs Ludwig I. von Hessen zu besichtigen, dessen Sammelleidenschaft das dortige Hessische Landesmuseum erst gründete. Ab 1802 konnte Ludwig zahlreiche originale Dürer-Drucke in gut erhaltener Druckqualität erwerben, die sich zuvor im Besitz des Pariser Kunstsammlers Pierre-Jean Mariette befunden hatten.

130 Blätter mit unterschiedlichen Drucktechniken der Dürer-Zeit sind aus dieser Sammlung ausgestellt. Groberen Holzschnitten stehen feine Kupferstiche und schließlich frühe Eisenradierungen gegenüber. Dabei entwickelte Dürer eine ausgefeilte Strichtechnik, die meisterhafte Lösungen in der kontrastreichen Lichtabstufung ermöglichte. Es ist ein Verdienst der Ausstellung, den Besuchern die verschiedenen Verfahren gründlich zu erklären. 

Die gezeigten Bilder spiegeln sehr deutlich die Übergangszeit wider, in die Dürers Schaffen fiel. Einerseits begegnen einem Bildreihen teils

kleinformatiger Andachtsbilder zu biblischen Szenen, die Passion oder das Marienleben darstellend. Andererseits finden sich in Dürers Œuvre auch ausgesprochen modern wirkende Themen und Bildlösungen. Über mehrere Lebensabschnitte beschäftigte er sich immer wieder mit dem Landleben und den Unterschichten, zeigte musizierende oder tanzende Bauern in den Trachten ihrer Zeit

 In vielen Bildern findet sich versteckte Symbolik, etwa bei einer Badehaus-Szene, in der sich Dürer mit den vier menschlichen Temperamenten beschäftigt. Teils absonderliche Geschichten verarbeitete der Künstler, beispielsweise jene des heiligen Chrysostomus, eines Eremiten, der nach einem mißglückten Vertuschungsmord gelobte, so lange am Boden zu kriechen, bis Gott ihm vergebe.

Hinzu kamen erfundene, nicht eindeutigen Quellen zuzuordnende Szenerien wie beispielsweise „Das Meerwunder“ von 1498, in dem eine leichtbeschürzte Frau von einem halbmenschlichen Seeungeheuer entführt wird. Heute würde man von „Fantasy“ sprechen. Dürer bildete die seinerzeit bekannte siamesische Mißgeburt eines Schweins ebenso ab wie fliegende Hexen oder Momentaufnahmen des Kriegswesens. Deren bekanntestes Werk dürfte der stolz in seiner Rüstung auf dem Rücken seines Pferdes sitzende „Reiter“ von 1513 sein, der auch unter dem Titel „Ritter, Tod und Teufel“ bekannt wurde.

Ausgesprochen modern wirkt wiederum das Studienblatt mit fünf Figuren („Der Verzweifelnde“) von 1515. Ein kauernder, mit Muskeln und Sehnen konturierter Mann ist von vier scheinbar nicht in Beziehung zueinander stehenden Figuren umgeben, deren Gesichter von feinstrichig eingefangener Individualität geprägt sind. Auch hier scheint der Einfluß des antiken Südens durch, den der Franke bei zwei langen Italienreisen gewonnen hatte.

Der gelernte Goldschmied war aber auch ein erfolgreicher Geschäftsmann. Dürers Fertigkeit wurde von seinen Zeitgenossen sehr geschätzt. Insofern entspricht der Kupferstecher keinesfalls dem Bild des „armen Künstlers“, das spätere Jahrhunderte prägen sollte. Modern war beispielsweise seine vom Geist der Renaissance beeinflußte Idee, 1498 mit der „Apokalypse“ als erster Künstler ein Buch selbständig zu gestalten und zu verlegen. Die Holzschnittfolge zu den Visionen des Johannes paßte gut zum damaligen Zeitgeist, der für das Jahr 1500 den Weltuntergang erwartete.

1513 wurde Dürer Nürnberger Ehrenbürger. Kaiser Maximilian I. verschaffte ihm zahlreiche Aufträge und bewilligte ihm ab 1515 eine jährliche Leibrente. Doch allein für ein Porträt, das er Kardinal Albrecht von Brandenburg 1519 mit 200 Abzügen lieferte, bekam er ein Honorar von 200 Goldgulden, was dem zweifachen Jahresgehalt entsprach, das der Künstler vom Kaiser erhielt.

Die Ausstellung „Albrecht Dürer“ ist bis zum 24. April im Hessischen Landesmuseum Darmstadt, Friedensplatz 1, täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, Mi. bis 20 Uhr, Sa./So. von 11 bis 17 Uhr zu sehen.

Der Katalog kostet im Museum 14,95 Euro. Telefon: 061 51 / 16 57 - 000

 www.hlmd.de