© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/16 / 25. März 2016

Deutschland auf Rädern
Fahrbare Untersätze in allen Variationen: Mit dem Frühling kommt der Bewegungsdrang – Straße frei den Inlinern und Bretterkünstlern!
Bernd Rademacher

Die Schneeglöckchen blühen, endlich Frühlingsboten. Damit beginnt auch die Straßensaison für Rollschuhfahrer aller Art. Inliner und Skateboards erobern Bürgersteige und Fußgängerzonen zurück.

Doch es sind nicht die Kinder, die auf Rollen unterwegs sind, sondern überwiegend Studenten, junge Familien bis hin zu agilen Jack-Wolfskin-Senioren. Man könnte über eine Infantilisierung der Gesellschaft spötteln, doch andererseits wird ständig über Bewegungsmangel und Medienkonsum geklagt, darum sollte man die rollenden Scharen im Sinne der Volksgesundheit begrüßen!

Wie hält man auf so einem Ding das Gleichgewicht?

Zwischen März und Oktober finden in ganz Deutschland Inliner-Großveranstaltungen statt, an denen Tausende teilnehmen. Von Bremen bis Freiburg, von Münster bis Berlin, selbst in Käffern wie Seligenstadt (bei Offenbach) oder Dieburg (bei Darmstadt) sperren Polizei und kommunale Behörden die Straßen für Pulks auf Rädern.

Was für nichtinformierte Autofahrer zur Tortur wird, ist für die Skater ein herrliches Vergnügen: ungestört von Verkehr und roten Ampeln mitten über die Hauptverkehrsstraßen zu fahren. Da die Marketingabteilungen der Kommunen den Reklamewert solcher „Events“ lieben, werden den Veranstaltern selten Steine in den Weg gelegt.

Doch während sich die Rollsportler bislang mit Inlinern oder Skateboards begnügten, hat die Vielfalt der Gefährte stark zugenommen. Die Deutschland-Tour der Youtuber um Simon Unge von Sylt nach Schloß Neuschwanstein hat das Longboard zum Kultgegenstand der Jugend gemacht. Das lange Brett garantiert sicheren Stand mit weit auslaufendem Schwung. Das wesentlich kleinere Pennyboard ist dagegen der schnelle Flitzer, der sich jederzeit im Rucksack mitnehmen läßt und wendigere Manöver erlaubt.

Das neueste Spielgerät ist der iOHawk, eine Art motorisiertes Zwischending aus Waveboard und Segway-Roller, nur ohne Haltegriff. Die verrückten Elektroflitzer mit der coolen Beleuchtung sind immer häufiger auf den Straßen zu sehen. Doch wie kann man auf so einem Ding bloß das Gleichgewicht halten?

Im Sportgeschäft darf man einen iOHawk probefahren. Allerdings nur mit Anleitung und unter Aufsicht eines Verkäufers. Ich traue mich. Das Schwierigste ist, erst einen Fuß nur leicht aufzusetzen und dann schnell mit dem zweiten aufzusteigen, denn das Gefährt setzt jede Belastung der Trittflächen sofort in einen Bewegungsimpuls um. Füße nach vorne neigen – vorwärts fahren, Gewicht auf die Fersen – rückwärts fahren. Beides gegenläufig – Kurve. Die ersten Versuche enden kläglich. Mein Sohn lacht mich aus: „Papa, du bist voll peinlich!“ Aber ich lache zuletzt, denn wer versteht, daß man nicht nachdenken, sondern einfach intuitiv losfahren muß, rollt schon nach wenigen Minuten erstaunlich souverän durch die Kaufhausgänge. Allerdings kommen einem dabei die zehn Kilometer pro Stunde mindestens fünfmal so schnell vor.

Als reale Anwendungsmöglichkeit sind große Warenlager oder Archive denkbar, wo Mitarbeiter lange Wege über Flure zurücklegen müssen. Als Hobbygerät zu teuer und zu empfindlich gegenüber einem strapazierfähigen Skateboard.

Und solange die Techniker noch kein Luftkissenbrett wie in „Zurück in die Zukunft II“ erfunden haben, sind die guten alten Kugellagerrollen immer noch erste Wahl. Wer Kinder hat, kann zudem heimlich den Fuhrpark des eigenen Nachwuchses nutzen, ohne sich beim Kauf eines „Titus“-Brettes als alter Sack zu blamieren.