© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/16 / 01. April 2016

In Berlin herrscht wortreiche Hilflosigkeit
Islamistischer Terrorismus: Nach den Anschlägen in Brüssel reagieren deutsche Spitzenpolitiker seltsam teilnahmslos
Paul Rosen

Seltsam teilnahmslos, ja beinahe hilflos wirken die Stellungnahmen deutscher Politiker zu den Anschlägen islamischer Terroristen in der belgischen Hauptstadt Brüssel. Der Ruf nach Konsequenzen erschöpft sich in einem besseren Datenaustausch zwischen  europäischen Polizeibehörden. Auf den Gedanken, die Ausweisung wenigstens der schon bekannten islamistischen Gefährder und die Schließung ihrer Rekrutierungseinrichtungen zu fordern, kommt niemand.

Wie groß das Gefährdungspotential und das Anschlagsrisiko in Deutschland ist, machte der Berliner Innensenator Frank Henkel (CDU) deutlich. Henkel steht im Wahlkampf und entwickelt plötzlich einen Hang zur deutlichen Aussprache: „Eine Herausforderung ist, daß der relevante Personenkreis sehr dynamisch wächst. Vor allem im salafistischen Bereich, dem derzeit etwa 710 Personen angehören. Davon rechnen wir etwa 360 dem gewaltorientierten Teil zu.“ 

Deutschland als Beispiel empfohlen

Übersetzt aus dem politverquasten Deutsch des Senators heißt das: Den Behörden sind allein in Berlin 360 Personen bekannt, von denen anzunehmen ist, daß sie konkrete Vorstellungen entwickelt haben könnten, was man mit Maschinenpistolen und Sprengstoff anstellen könnte. 100 Kämpfer sind aus Berlin nach Syrien abgereist, 50 angeblich wieder da. Henkel gibt sich überzeugt, daß die Überwachung „ganz gut“ gelingt. Und was ist, wenn sie nicht gelingt? Die ehrliche Antwort des Innensenators: „Die Polizei hat im vergangenen Herbst geübt, wie Berlin mit einem Szenario wie bei Charlie Hebdo umgeht.“ 

Armin Schuster (CDU), innenpolitischer Experte der Unions-Fraktion im Bundestag, blieb im Deutschlandfunk unpräzise: Europa brauche jetzt eine Sicherheitsagenda. Schuster kritisierte, daß bestehende Richtlinien wie das Schengener Informationssystem nur extrem nachlässig umgesetzt würden. Andere Länder sollten sich in der Sicherheitspolitik ein Beispiel an Deutschland nehmen. Hier sei man deutlich weiter als im übrigen Europa, so Schuster recht vollmundig. Denn die letzten Versuche, Anschläge in Deutschland zu verüben, konnten aufgrund der Hinweise ausländischer Geheimdienste verhindert werden. Und vergessen wird oft der vollendete Anschlag eines islamischen Terroristen am Frankfurter Flughafen 2011, der mehrere amerikanische Soldaten erschoß beziehungsweise schwer verletzte. 

In einer gemeinsamen Erklärung äußerten sich der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Axel Schäfer und der europapolitische Sprecher Norbert Spinrath nicht viel anders als CDU/CSU: „Die EU muß gemeinsam handeln und koordiniert gegen den Terror vorgehen.“ Man habe kein Verständnis, daß die Zusagen zum polizeilichen Informationsaustausch auch nach den Anschlägen in Paris im vergangenen Jahr Lippenbekenntnisse geblieben seien. 

Die Grünen argumentieren ähnlich: „Die Attentäter von Brüssel scheinen den Sicherheitsbehörden zumindest teilweise bekannt gewesen zu sein. Wie sie sich bei ihren Anschlagsvorbereitungen unterhalb des Radars der Sicherheitsbehörden bewegen konnten, muß exakt analysiert werden. Es muß zum Beispiel geklärt werden, ob der Austausch von Informationen zwischen den Sicherheitsbehörden in der Europäischen Union im Vorfeld der Anschläge funktioniert hat“, ist auf der Webseite der grünen Bundestagspartei zu lesen. Ein Hinweis zum „Kampf gegen Rechts§ darf nicht fehlen: „Wir dürfen auch nicht zulassen, daß Rechtspopulisten nun die mörderischen Anschläge dazu ausnutzen, um gegen die vielen Millionen Muslime in Europa zu hetzen, die über die Angriffe der dschihadistischen Terroristen genauso entsetzt sind wie alle anderen friedlichen Menschen auch.“

Völlig weltfremd lesen sich die Forderungen der Linkspartei. Deren Innenexperte Jan Korte verkündete, solchen Anschlägen könne effektiv entgegenwirkt werden, „indem man daran arbeitet, Terroristen die Grundlage zu nehmen. Wo Menschen sich als gleichberechtigter Teil einer Gesellschaft fühlen, wo Frieden herrscht, wo Aufklärung und Bildung selbstverständlich sind, da gibt es keinen fruchtbaren Boden für Terrorismus. Das klingt utopisch, aber an all diesen Stellschrauben können die Regierungen, auch die Bundesregierung, drehen – tun es aber nicht.“

Die Bürger sind weiter als ihre Politiker. Im letzten „Deutschlandtrend“ der ARD vertraten 77 Prozent die Ansicht, daß die Sicherheitsmaßnahmen in Deutschland dauerhaft verstärkt werden sollten – auch wenn dies zusätzliche Kosten und Zeitverzögerungen bedeuten würde.