© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/16 / 01. April 2016

Sozialdemokratische Drehtürpolitik
Berlin: Die Hauptstadt-SPD steht im Verdacht, einen Genossen mit einem lukrativen Beratervertrag für den Senat ausgestattet zu haben
Ronald Berthold

Schwere Filzvorwürfe gegen Berlins Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) erschüttern den rot-schwarzen Senat ein halbes Jahr vor den Abgeordnetenhauswahlen. Hat der erste Mann der Stadt über Umwege einem Genossen ohne Ausschreibung einen lukrativen Auftrag zugeschanzt? 

Die Geschichte, die die Opposition auf die Palme bringt, hat viele Facetten. Die erste ist eine Personalie: Lutz Diwell, der seit 27 Jahren mit seinem Parteibuch Karriere in SPD-geführten Landes- und Bundesministerien macht, bot Müller an, die Landesregierung in Flüchtlingsfragen zu beraten. Er könne 25 Stunden in der Woche tätig sein. Gleichzeitig forderte er dem Vernehmen nach für diese Teilzeitstelle ein außergewöhnlich hohes Honorar.

Während seine Partei mit dieser merkwürdigen Offerte offenbar kein Problem hatte, lehnte der Koalitionspartner CDU ab. Die Herausforderungen der Einwanderungsfrage, die im Warteschlangen-Chaos rund um das Lageso ihren bildhaftesten Ausdruck finden, verlangten, so die Union, nach einem Fulltime-Job. Letztlich konnte sich die Große Koalition nicht einigen und entschied, diesen Posten im Range eines Staatssekretärs dem ehemaligen Polizeipräsidenten Dieter Glietsch (SPD) zu übertragen.

Doch so schnell war Müllers Parteifreund Diwell nicht aus dem Rennen. Angeblich arbeitete er jetzt honorarfrei und bekam Zugriff auf die Akten. Die darbende Zeit des SPD-Mannes als ehrenamtliche Kraft sollte aber nur kurz dauern. Der Regierende Bürgermeister beauftragte die Unternehmensberatung McKinsey mit der Arbeit an einem Masterplan zu der Problematik. Und der McKinsey-Mann, der sich der Aufgabe annahm, heißt – Lutz Diwell. Letztlich berät er also doch den Senat genau zu dem Thema, zu dem er es wegen des Neins der Hauptstadt-Union nicht tun sollte. Haben Müller und seine SPD den Genossen durch die Hintertür doch wieder ins Spiel gebracht? Auf jeden Fall scheinen sie ein schlechtes Gewissen gehabt zu haben, denn noch Mitte März verschwiegen sie dieses „Schelmenstück“ (Tagesspiegel) den Abgeordneten, als sie den McKinsey-Deal verteidigten.

Der zweite Aspekt dieser Affäre ist unstrittig: Der Senat verheimlichte die Beauftragung der Unternehmensberatung vor dem Parlament. Erst sechs Wochen später wurde die Konstellation bekannt, die bei der Opposition auch die Frage aufwirft, ob die Regierung nicht genug eigene Kompetenz aufweise. Wie auch immer: Diese Hinterzimmerpolitik verstieß klar gegen die Richtlinien. Die Information hätte sogar vor der Vergabe erfolgen müssen.

Dem von SPD und CDU dominierten Hauptausschuß des Abgeordnetenhauses blieb nichts anderes übrig, als Müllers Senatskanzlei zu einer Strafe von 75.000 Euro zu verdonnern, die diese in den Haushalt zurückzahlen muß. In einer fünfstündigen Fragerunde vor diesem Ausschuß wies der Leiter der Senatskanzlei, Björn Böhning, den Vorwurf der Vetternwirtschaft zurück: „Es gibt keinen Filz.“ Allerdings verschwieg er wiederum einen Beratervertrag mit dem Medienanwalt Christian Schertz, über den Müller verfügt. Dies führte über Ostern zu neuer Empörung bei CDU und Opposition.

Doch mit all dem ist die Geschichte immer noch nicht zu Ende erzählt: Als dritter Punkt kommt hinzu, daß 

McKinsey ohne jede Ausschreibung den 238.000-Euro-Auftrag erhielt. Auch das steht unumstritten fest. Lediglich bei der Personalie Diwell streiten Müller und Böhning ab, etwas von dessen merkwürdiger Rotation gewußt zu haben. Böhning behauptete, daß sowohl er als auch der Senatschef überrascht gewesen seien, daß Diwell durch die Drehtür plötzlich doch wieder im Spiel gewesen sei. Das hätten die beiden erst einige Tage nach Vertragsabschluß mit McKinsey erfahren.

CDU und Vertreter der Opposition hegen Zweifel

Die CDU nimmt das ihrem Partner nicht ab: Der für McKinsey relativ kleine Betrag werde genutzt, um „Müllers Vertrauten Lutz Diwell zu finanzieren“. Müller schweigt. Tatsächlich bleibt die Frage: Wie glaubwürdig ist Böhnings Aussage, der anstelle seines Chefs vor dem Ausschuß die Kastanien aus dem Feuer holen sollte? Vertreter von Opposition und CDU hegen starke Zweifel. Ihnen scheint plausibel, daß unter Genossen, die über einen Deal verhandelten, der am Koalitionspartner und damit letztlich am politischen Gegner scheiterte, weiter mit offenen Karten gespielt werde – erst recht, wenn Diwell zwischendurch trotzdem, wenn auch angeblich pro bono, arbeite.

Es spreche bei der dubiosen Diwell-Geschichte laut Kritikern aus Koalition und Opposition sogar viel dafür, daß Müller und Böhning bei der diskreten Auftragsvergabe an McKinsey die Personalie selbst ins Spiel brachten. Sie mutmaßen, diese habe nur stattgefunden, um den Genossen finanziell zu versorgen. Seine Staatssekretärstätigkeit im Bundesjustizministerium endete 2009. Welche besondere Qualifikation Diwell für die Bewältigung der Einwanderungskrise mitbringt, bleibt auch im Ungefähren.

Laut Böhning habe dieser einen „Unterauftrag“ von McKinsey erhalten. Hier drängt sich in der Tat die Frage auf: Warum wohl?