© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/16 / 01. April 2016

Pankraz,
M. Crawford und die Ökologie der Seele

Nichts geht über gute Buchtitel. „Ich schraube, also bin ich“ heißt ein Buch des gelernten Chicagoer Motorradmechanikers und Philosophen Matthew B. Crawford (50), das man auch in deutscher Übersetzung (von Stephan Gebauer) erwerben kann. Der Untertitel, „Vom Glück, etwas mit den eigenen Händen zu schaffen“, erübrigt sich eigentlich nach dem Paukenschlag des Obertitels, ja beinahe brauchte man das ganze folgende Buch nicht mehr zu lesen, es ist von Anfang an sofort klar, wohin die Reise gehen soll. Aber man würde etwas versäumen, denn es ist ein sehr witziger, gut zu lesender Text.

Crawford macht sich Sorgen um die gegenwärtige Generation der Schulabgänger und leidenschaftlichen Internetsurfer, die nun Jobs oder Studienplätze sucht, jedoch durch die moderne Informationsflut gar nicht mehr richtig weiß, wo ihr der Kopf steht. Es gäbe heute, sagt Crawford, bei jungen Menschen flächendeckend eine „zerstückelte Aufmerksamkeit“. Statt auf den Straßenverkehr aufzupassen, würden sie mit ihren Smartphones sogar noch an der roten Ampel E-Mails lesen. Ihnen käme jedes Gefühl für die Realität von Gegenständen abhanden. Für sie sei die Welt nur noch ein Tanz von Apps.

Als Gegenmittel bietet Crawford eine „Ökologie des Bewußtseins“ an. So wie jeder vernünftige Zeitgenosse, der sich Sorgen um das Überleben der Natur mache, einen strikt ökologischen Umgang mit ihr empfehle, so komme es heute darauf an, auch mit unserem Inneren, mit dem Bewußtsein und den Seelen insbesondere junger Menschen umzugehen. Man solle „Aktivitäten entwickeln, die unsere Aufmerksamkeit wirklich strukturieren und uns zwingen, aus uns herauszutreten und uns endlich wieder mit konkreten Dingen statt mit bloßen Virtualitäten abzugeben“.


Letztlich läuft die „Ökologie des Bewußtseins“ von Matthew B. Crawford auf eine gloriose Feier und Wiedererinnerung der Handarbeit hinaus. Es sei keineswegs so, poltert er, daß der Zug der Moderne zu einem Verschwinden der Handarbeit führe, welche man voll den Robotern überlassen könne. Wer solches glaubt, sei drauf und dran, unser bestes Teil an hirn- und seelenlose Maschinen zu verschieben. Natürlich könne mittlerweile auch ein Roboter ein feines Musikinstrument zusammenschustern, aber eine Stradivari komme dabei nie heraus. Dazu bedürfe es von Anbeginn an des mitfühlenden menschlichen Meisters.

Übrigens, so weiter Crawford, dürfe man den Begriff der Handarbeit nie und nimmer auf mechanische Routine reduzieren. Auch das Erlernen einer fremden Sprache sei beispielsweise reine Handarbeit. Ob Geigenbau oder eine Sprache erlernen – beides „versetzt uns durch die Konzentration, die sie durch ihre originären Regeln erzwingen, in einen Zustand leib-geistiger Angespanntheit, der sich äonenweit von Roboterarbeit fernhält. Sie erinnern uns daran, daß wir ‘verortet’, durch unsere Umwelt konditioniert sind und genau auf diesem Weg Handlungsfreiheit und Selbstachtung erreichen.“

Wäre nun aber, wagt Pankraz hier einzuwenden, durch derlei Ökologie des Bewußtseins à la Crawford der von diesem so ausführlich beklagten Zerstreuung und Ratlosigkeit junger Berufsanfänger tatsächlich abzuhelfen? Wäre also ein Schlosser, welcher – um einen direkten Bezug zum Titel des Crawford-Buches herzustellen – seine Lebenserfüllung im „Schrauben“ findet, tatsächlich glücklicher? Und würde er durch bloßes Schrauben – auch danach darf man ja fragen – seine Selbstachtung tatsächlich steigern, welche schließlich auch von der Achtung abhängig ist, die ihm die anderen entgegenbringen?

Bei weitem nicht jeder ist ja, bei aller existentiellen Konzentration, ein Künstler, ein Meister des Geigenbaus oder des Sprachenlernens, dem die Kunden und die Fachmedien gleichsam zu Füßen liegen und dessen Ruhm sich im Nu verbreitet. Die allermeisten haben statt dessen eine Menge Zeitgenossen um sich und über sich, außer Kunden und Medien schlichte, möglicherweise neidische Kollegen, anspruchsvolle Chefs, ungeduldige Gläubiger. „Handwerk hat vielleicht goldenen Boden“, schreibt Nietzsche in seiner „Fröhlichen Wissenschaft“, „aber es hat auch eine bleierne Decke über sich, die andere wegschieben müssen.“


Das gilt sogar für die oben genannten Meister ihres Fachs, für große Künstler und Könner.  Sie sind abhängig von Moden und Gönnern, von Macht- und Absatzkonstellationen. Sie warten auf Aufträge, sie sind, um mit Hannah Arendt zu sprechen, pure „vita activa“, und vermögen nur in eng begrenzten Fachdiskussionen zu überzeugen. Das eigentliche Leben, wußte schon Aristoteles, beginnt erst in der Polis, und es ist Zerstreuung, wenn auch „hochgemute“ Zerstreung, Theater, hektisches Suchen nach aktuellen Formeln, Maskenspiel, auf jeden Fall mehr Außen als Innen.

Die Job und Lebensaufgabe suchenden Eleven der modernen Medien- und Eventgesellschaft wissen das, sie haben ja von Anfang an nichts anderes erfahren. Daß sie neuerdings der ewigen Jagd nach Apps per Smartphone vernehmbar zu mißtrauen beginnen und ihre Irritiertheit thematisieren, ist eher ein gutes Zeichen. Der Ruf nach Rückkehr zu mehr innerer Konzentration und solider Handarbeit macht sich ja auch in anspruchsvollen etablierten Kreisen immer lauter vernehmbar; Crawford ist nicht allein. 

Beispielsweise hat kürzlich der eminente Theatermann Peter Stein in einem Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung bewegt darüber Klage geführt, daß auf deutschen Bühnen „eine richtiggehende Rebellion gegen jede Art von Handwerklichkeit“ abrolle. Das sei ein Übel und sollte bald geändert werden. Und der amerikanische Soziologe Richard Sennett blies in seinem vielbeachteten Buch „The Craftsman“ („Der Handwerker“) genau in das gleiche Horn und stimmte einen großen Lobpreis produktiver Sorgfalt und individuellen Kunstwillens an.

Die Ökologie des Bewußtseins und der Seelen scheint also auf gar nicht schlechtem Wege. Sie sollte sich nur vor allzu prächtigen Buchtiteln hüten.