© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/16 / 01. April 2016

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

Die Auseinandersetzung zwischen Gilles Kepel und Olivier Roy um die Deutung des Dschihadismus mag persönliche Hintergründe haben und auch mit dem Streit um intellektuelle Claims zu tun haben, geht aber doch auf den Kern des Problems. Kepel sieht die Radikalisierung als eine dem Islam inhärente Möglichkeit an und macht die gescheiterte Integration in Europa geborener Muslime für den Weg in den Terror verantwortlich. Dagegen betont Roy, daß von fehlender Eingliederung bei jenen Jungen keine Rede sein könne, die Französisch, Englisch oder Deutsch sprechen und den Paß ihres europäischen Geburtslandes besitzen. Er spricht von einer „Islamisierung des Radikalismus“ und meint damit, daß die zweite oder dritte Generation der hier lebenden Muslime von demselben Nihilismus infiziert sei, der auch die Nichtmuslime ihres Alters ergriffen habe. Nur die Reaktion falle anders aus, führe nicht zu besinnungslosem Konsum, Drogenexzessen oder Libertinage. Sie ähnele aber jener Mordtat zweier Italiener, verübt an einem Gleichaltrigen, die die Täter damit begründeten, daß es ihnen allein um die Erfahrung gegangen sei. Roys Argumentation hat sicher Schwächen, ist aber eine Überlegung wert.

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Wenn schon sonst kein Abenteuer, dann wenigstens die Urwalddusche zum Hotelzimmer.

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Mark Siemons hat einen nachdenklichen Essay über die Spannung zwischen Universalismus und Partikularismus im Grundgesetz geschrieben. Was seine Ausführungen so unbefriedigend macht, ist die fehlende Konsequenz und der Mangel an historischer Tiefe. Was den ersten Punkt angeht, könnte Josef Isensees Forderung einer „zweiten Aufklärung“ helfen, die endlich klarstellt, welche fatalen Folgen die doktrinäre Vorstellung von Menschenrechten als letzter Legitimationsbasis von Politik – geboren aus der ersten Aufklärung – haben muß. Was den zweiten betrifft, wäre auf die Tatsache hinzuweisen, daß es in Deutschland seit mehr als hundert Jahren eine sehr gut begründete Kritik der Ideologisierung der Menschenrechte gibt. Dafür ist nicht einmal Carl Schmitt zu bemühen. Der von Siemons zitierte Satz „Wer Menschheit sagt, will betrügen“, stammt von Bismarck.

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„Wir schaffen das nie, Frau Merkel“ (Sgraffito, Nähe Stralsund)

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Während der Selbsthaß des weißen Mannes angesichts der Anschläge in Brüssel schweigt, hatte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker den traurigen Mut, zu behaupten, daß der Schuldige im Grunde auch hier wir selbst sind. Die Schulen hätten versagt, in denen es nicht gelungen sei, die Attentäter auf den hiesigen Wertekanon zu verpflichten, äußerte er.

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Die Entscheidung der Neuseeländer, an ihrer Nationalflagge festzuhalten, ist erstaunlich. Als die Kanadier 1965 darüber abstimmen sollten, ob man bei der alten Symbolik mit dem Union Jack bleiben sollte oder nicht, kam es zu heftigen Auseinandersetzungen, Schwerbewaffnete mußten durch die Straßen der großen Städte patrouillieren, um Schlimmeres zu verhüten. Der Grund war vor allem die Bedeutung, die die britische Flagge für die Veteranen des Ersten wie des Zweiten Weltkriegs hatte. Trotzdem entschied sich die Mehrheit für das Ahornblatt. Vielleicht liegt die Erklärung einfach im vorherrschenden Zeitgeist. Dem neuerungssüchtigen damals, dem zögerlichen heute.

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Den immer wiederkehrenden Hohn über Kohls Versprechen „blühender Landschaften“ in den neuen Bundesländern kann man eigentlich nur auf bösen Willen oder Ignoranz zurückführen. Wenn man mit großem Zeitabstand in eine Region der ehemaligen DDR zurückkehrt, wird einem das besonders deutlich. So auf Rügen, wo sich Anfang der neunziger Jahre kaum jemand vorstellen konnte, daß etwas vom alten Glanz der Seebäder zurückkehren werde. Heute geht der Besucher an den eleganten weißen Häusern in Binz oder Sellin vorbei und stellt mit Erstaunen fest, was sich zum Guten gewendet hat.

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Zuerst wünscht der Moderator einen „schönen Karfreitag“ und dann droht er mit der „passenden Musik“.

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Wer wissen möchte, wie man Vergangenheit entsorgt, muß das Ernst-Moritz-Arndt-Museum in Garz besuchen. Der schöne Klinkerbau von 1937 diente ursprünglich der Erinnerung an einen nationalen Heros. Als der galt Arndt unter schwarz-rot-goldenen wie schwarz-weiß-roten wie braunen oder roten Vorzeichen. Bis man irgendwann darauf kam, daß seine Franzosenfresserei und seine abfälligen Bemerkungen über Juden (Die Zeit: „Vordenker des Holocaust“) gar nicht ins politisch-korrekte Bild passen. Deshalb tobt im benachbarten Greifswald periodisch der Kampf um den Universitätsnamen, während man in Garz der Peinlichkeit zu entkommen sucht, indem man die Biographie aufs Heimattümliche und ganz und gar Unverfängliche reduziert.

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 15. April in der JF-Ausgabe 16/16.