© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/16 / 08. April 2016

„Das ärgert mich!“
Mit seinem „Wutbrief“ wird der Landwirt und Blogger „Bauer Willi“ 2015 schlagartig bekannt. Die Medien reißen sich um ihn. Nun veröffentlicht er ein Buch: In „Sauerei!“ geht Willi Kremer-Schillings mit uns Konsumenten hart ins Gericht
Moritz Schwarz

Lieber Bauer Willi, am Sonntag war ich im Café und hatte ein reichhaltiges Frühstück: Brot, Butter, Wurst, Käse, Eier für 7,50 Euro – da kann man nicht meckern!

Bauer Willi: Sie nicht, ich aber schon!

Also mir hat es geschmeckt. 

Willi: Freut mich für Sie, Sie sind also auch so ein Schnäppchenjäger. Das ärgert mich. Ich will nicht wieder sagen, daß es mich wütend macht, sonst heißt es gleich wieder: „Wutbauer“.

„Wutbauer“, „Wutbrief“ – damit wurden Sie 2015 bundesweit bekannt.

Willi: Hören Sie auf! Dieser Brief kam eigentlich eher zufällig zustande. Eines Morgens hatte ich die Abrechnung meines Nachbarn über 25 Tonnen Pommes-Kartoffeln – das ist eine Lkw-Ladung – gesehen. Dafür bekam er, jetzt halten Sie sich bitte fest, 250 Euro. Für alle, die nicht rechnen können: das ist ein Cent pro Kilogramm! Da habe ich mich spontan an den Rechner gesetzt, um auf unserem Blog den Verbrauchern mal die Meinung zu sagen. Aber dann ging es los: Die Medien haben verrückt gespielt. ARD, WDR, NDR, Sat.1, RTL – alle waren sie entweder hier auf dem Hof oder haben mich eingeladen, auch Radiosender und Printmedien. Das hat mich echt überrascht und meinen Alltag auch stark verändert. 

Tenor Ihres Briefes: „Du, lieber Verbraucher, hast keine Ahnung, davon aber ganz viel!“ Und: „Du willst doch nur noch eines: billig!“

Willi: Ich bin mit meinem Brief vielleicht etwas übers Ziel hinausgeschossen. Aber es gibt Tage, da bekommt man nur schlechte Nachrichten, und der Frust über die niedrigen Erlöse hatte mein Nervenkostüm arg strapaziert. Für einen Cent pro Kilogramm Kartoffeln kann kein Bauer produzieren!

Also: Die Landwirtschaft ist großer Mist, wenn du deutscher Bauer bist?

Willi: Nein, ich liebe die Landwirtschaft – aber sie muß eine Familie ernähren. Von Ihren 7,50 Euro für das Sonntagsfrühstück zum Beispiel sind vielleicht gerade mal 1,20 Euro bei uns Bauern angekommen. 

Kaum zu glauben. 

Willi: Eben!

Was müßte das Frühstück kosten, damit der Bauer auch zu seinem Recht kommt? 

Willi: Ich weiß ja nicht, was Sie als verwöhnter Hauptstadtjournalist alles auf  dem Teller hatten. Nehmen Sie zum Beispiel ein Ei. Der Bauer bekommt dafür nur sieben oder acht Cent. Für das Glas Milch haben Sie bestimmt einen Euro abgedrückt. Der Bauer bekommt für einen Liter gerade mal 26 Cent. Der Handel schlägt also mächtig drauf. Das neide ich ihm gar nicht. Nur, daß der Bauer oft weniger bekommt, als ihn die Herstellung kostet – das geht nicht!

Sprich, der Verbraucher soll zahlen?

Willi: Der Verbraucher will gute Lebensmittel, am liebsten biologisch und fair – wählt im Supermarkt aber bevorzugt die Produkte zu Niedrigpreisen. 

Natürlich, und zwar weil die teureren oft nicht besser sind als die günstigen, wie Stiftung Warentest immer wieder nachweist.

Willi: Ja, da verstehe ich den Verbraucher sogar. Ich habe selbst erlebt, daß günstige No-Name-Produkte und teurere Markenprodukte aus der gleichen Fertigungsstraße kamen. Das heißt, mitunter ist tatsächlich das gleiche Produkt in der Verpackung – dennoch kostet das eine doppelt soviel wie das andere.

Neulich bei Stiftung Warentest: Lachs. Das Premium-Produkt in der Feinkostabteilung eines Berliner Nobel-Kaufhauses war so schlecht, daß es nach dem Test aus dem Verkauf genommen wurde. Testsieger dagegen: Aldi. Das erzieht den Verbraucher doch geradezu dazu, billig zu kaufen!

Willi: Wenn das wirklich so ist, dann ist das fatal. Aber ich kritisiere ja keineswegs nur die zu niedrigen Preise, sondern vor allem auch das Anspruchsdenken der Verbraucher. Denn der fordert, seine Lebensmittel sollen am besten gentechnikfrei, glutenfrei, lactosefrei, cholesterinfrei und kalorienarm sein, möglichst nicht gedüngt werden und wenn, dann organisch. Und vor allem natürlich ungespritzt müssen sie sein – aber top aussehen, ohne Flecken. Haben sie kleine Macken, läßt der Kunde sie liegen. Überhaupt: Die Landschaft sollte aus vielen kleinen Parzellen bestehen, mit bunten Blumen und Schmetterlingen. Am liebsten hätte es der Verbraucher wohl, wir pflügten noch mit Pferden. Dann würden ihn unsere Trecker auch nicht mehr beim Joggen oder Spazierengehen auf – unseren – Wirtschaftswegen stören. Gleichzeitig aber kauft er Lebensmittel am liebsten zum Schnäppchenpreis. So wie Sie Ihr Frühstück. 

Mal ehrlich, ist Ihre Klage wirklich fair?

Willi: Das ist keine Klage, sondern die Erfahrung vieler Landwirte. Die Leute wollen, daß wir organisch düngen, beschweren sich aber, wenn es stinkt. Oder sie spazieren einfach quer über die Felder durch die Saat. Fahren wir mit dem Trecker über unsere Wirtschaftswege und läßt es sich nicht vermeiden, daß diese dabei staubig werden, zeigt uns mancher Spaziergänger den Vogel. Müssen wir witterungsbedingt nachts mähen, rufen die Leute sogar die Polizei. Hab ich alles selbst erlebt. Irgendwann läuft einem da die Galle über.  

Man könnte die Vorwürfe aber auch umkehren: Während die Verbraucher „bio“, „fair“ und „regional“ kaufen, betreiben die Bauern Gentechnik und Massentierhaltung, spritzen Pestizide und Antibiotika und verseuchen uns mit Glyphosat.

Willi: Das ist eben das, was nicht stimmt. Natürlich, wenn ich mich umhöre, dann kaufen alle Verbraucher unheimlich bewußt. Tatsächlich aber liegt etwa der Marktanteil an Biofleisch bei 1,5 Prozent, bei Geflügel sogar nur bei einem Prozent. Wo ist denn die Kaufbereitschaft für echte Bioprodukte? So herum wird doch ein Schuh daraus!  Und dann werden wir Bauern, ganz so wie Sie das eben in Ihrer Frage skizziert haben, unterschwellig als Verkörperung allen Übels betrachtet. Dabei sind wir sozusagen nur der Spiegel der Gesellschaft. Doch wir werden für alles verantwortlich gemacht, was die Leute in diesem Spiegel sehen. Junge Landwirte und Landwirtinnen erzählen mir, daß sie nicht mehr auf Feste gehen, auf denen sie als Landwirt alleine sind. Denn „outen“ sie sich dort, werden sie sofort in Diskussionen verwickelt. Das gleiche höre ich vom Landfrauenverband: „Wir werden in der Gesellschaft nur noch angegriffen, müssen uns ständig rechtfertigen und wissen nicht einmal wofür!“

Der Verbraucher zahlt also zu geringe Preise und macht obendrein die Bauern schlecht?

Willi: Ich sage keineswegs, daß an den Problemen nur die Verbraucher schuld sind. Aber Sie wollten mit mir ja über meinen Wutbrief an die Verbraucher sprechen. Und da sage ich, ja, ich halte es für eine unheimliche Sauerei – daher auch „Sauerei!“ als Titel meines Buches –, daß die Konsumenten höchste Ansprüche an uns Bauern stellen und uns bevorzugt für Mißstände in der Lebensmittelwirtschaft verantwortlich machen. Uns gleichzeitig aber durch ihre Billigheimer-Mentalität die Luft abschnüren – und dafür offenbar gar kein Bewußtsein haben. Sehen Sie, achtzig Millionen Bürger erwarten von uns, nachhaltig, fair, gesund, artgerecht und biologisch zu produzieren. Achtzig Millionen Verbraucher aber wollen vor allem eines: billig! Wer aber ein Hähnchen für 2,79 Euro kauft, der gibt das Recht ab, sich über Massentierhaltung zu beschweren. Die Leute kaufen sich einen originalen Weber-Grill für achthundert Euro – und braten dann darauf das Würstchen für 79 Cent. Das paßt nicht zusammen. Um dann noch, nach dem Genuß dieses Würstchens, über Massentierhaltung den Kopf zu schütteln und sich zu empören: „Das gehört doch verboten!“ – Ja, geht’s noch? 

Mal ehrlich, wer im Supermarkt höhere Preise bezahlt, unterstützt nicht die Erzeuger, sondern zahlt für Namen, Lifestyle und Werbekampagne der Markenhersteller.

Willi: Das stimmt – leider. Diese Antwort wird Sie jetzt vielleicht überraschen, aber ich gebe zu, daß ich inzwischen schlauer bin als vor einem Jahr, als ich meinen Wutbrief schrieb. Es stimmt, daß der Verbraucher bei konventionellen Produkten im Supermarkt im Grunde wenig Chancen hat, es richtig zu machen. Hier ist es tatsächlich der Einzelhandel, der sich immer wieder gewaltig die Taschen vollmacht. 

Zum Beispiel?

Willi: Zum Beispiel die Milch: Für einen Liter bekam der Bauer vor einiger Zeit 36 Cent, heute sind es nur noch etwas mehr als zwanzig. Dennoch kostet der Liter im Supermarkt nach wie vor etwa 55 Cent. Der Handel gibt also nicht einmal den gesunkenen – für die Erzeuger fatalen – Preis an den Konsumenten weiter, sondern behält den Gewinn für sich. 

Also, was soll der Verbraucher tun, dem konventionell zu unfair, bio zu teuer ist?

Willi: Es gibt entsprechende Initiativen, zum Beispiel „Die faire Milch“. 

Was ist das?

Willi: Sehen Sie, das ist das Problem – kennen Sie gar nicht. „Die faire Milch“ ist nicht bio, aber dennoch umweltbewußt und fair produziert. Leider aber kommt sie beim Verbraucher nicht an. Oder nehmen Sie die „Privathof“-Produktreihe des Geflügel-Herstellers Wiesenhof – nicht bio, aber fair.

Tierschützer behaupten da allerdings das Gegenteil. 

Willi: Es gibt Studien, die belegen, daß es den „Privathof“-Hähnchen zumindest besser geht als den Billig-Hähnchen. Und während ein Bio-Hähnchen den Verbraucher zwischen 18 und 24 Euro kostet, bezahlt er für ein „Privathof“-Hähnchen nur etwa 4,50 Euro – das können sich doch auch Normalverdiener leisten! Dennoch, wie mir ein Aldi-Mitarbeiter vertraulich sagte, verkaufe er auf rund zwanzig Billig-Hühner zu 2,79 Euro lediglich ein „Privathof“-Huhn. 

Andererseits beweisen die Verbraucher doch, daß sie durchaus fair kaufen – etwa beim Kaffee. Sind am mangelnden Interesse nicht vielleicht doch die Bauern schuld, deren Verbände versäumen, für solche Produkte durch entsprechende Vermarktung Bewußtsein zu schaffen. Mir waren weder „faire Milch“ noch „Privathof“-Hähnchen bekannt. Drängen die Bauern zum Beispiel gegenüber der Politik darauf, ein staatliches „Fair“-Siegel zu schaffen, entsprechend dem staatlichen Bio-Siegel?

Willi: Prima, noch ein Siegel. Das wünscht sich der Verbraucher, oder? Nein, Marketing ist gefragt! Seit der Auflösung der CMA – der Centralen Marketing-Gesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft – im Jahr 2009 macht niemand mehr Werbung für deutsche landwirtschaftliche Erzeugnisse. Das sollten unsere Verbände organisieren, und das erwarte ich von ihnen. Andererseits: Unsere Verbände stellen durchaus auch Forderungen auf – und die Politiker stimmen grundsätzlich auch zu. Nur, sie tun dennoch nichts. Beispiel: CSU-Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt fordert Ernährung als Pflichtfach in den Schulen, setzt das aber bei seinen Kollegen nicht durch. Lassen Sie mich Ihnen aber doch noch ein Beispiel für ein faires Lebensmittel geben, nach denen Sie eben gefragt haben: Kennen Sie Berchtesgadener Milch?

Steht in meinem Supermarkt – lasse ich aber stehen – auch so ein Lifestyle-Produkt.  

Willi: Falsch! Die Berchtesgadener Molkerei bezahlt den Bauern 38 Cent pro Liter, also rund zwölf Cent mehr. Die Berchtesgadener haben es einerseits geschafft, ihrer Marke einen Wert zu geben und so auch mit ihrem höheren Preis vom Kunden akzeptiert zu werden, beteiligen andererseits aber die Erzeuger fair an ihrem Markterfolg.

Das Problem ist nur, daß das nicht zu erkennen ist. Was ist denn von dem Modell „Ein Herz für Erzeuger“ des Discounters Netto zu halten, bei dem ein Aufdruck kenntlich macht, daß das Produkt zugunsten der Bauern zehn Cent teurer ist? 

Willi: Konkret kann ich Ihnen dazu leider nichts sagen, da ich keine Hintergrundinformation über diese Aktion habe. Die Idee an sich scheint mir aber gut, wenn es tatsächlich mehr ist als nur ein Aufkleber. Ich möchte Ihnen aber noch ein weiteres Modell nennen, das mich persönlich sehr überzeugt: Einige Rewe-Supermärkte haben eine Ecke eingerichtet, die „Landmarkt“ heißt: Diese bestücken Landwirte aus der Region mit ihren Produkten – eine Art Hofverkauf, nur daß der „Hof“ in den Supermarkt kommt. Den Preis der Produkte bestimmt der Bauer selbst, muß allerdings etwa dreißig Prozent an Rewe abführen. Das ist legitim, denn Rewe stellt ja die komplette Infrastruktur für den Verkauf. Leider gibt es noch viel zu wenige dieser „Landmärkte“, in NRW zum Beispiel meines Wissens erst 18, in Hessen dagegen immerhin schon rund 150. 

1998 zogen die Grünen in die Bundesregierung ein und bereits 1995 in die Regierung Ihres Bundeslandes NRW – wo sie heute sogar das Landwirtschaftsressort besetzen. Haben die Grünen – angetreten mit dem Versprechen Gesundheit, Tierschutz und Ökologie – nicht für eine faire Situation für Bauern und Tiere gesorgt?

Willi: Leider nein. Die damalige grüne Bundeslandwirtschaftsministerin Renate Künast hat sogar Dinge in die Welt gesetzt, von denen sie heute nichts mehr wissen will. Etwa hat sie den Bauern das Feld der Bioenergie eröffnet. Wörtlich prophezeite sie damals: „Bauern sind die Ölscheichs von morgen!“ Heute aber geht es bei Erneuerbaren nur noch um Wind und Solar. Mit Bioenergie wollen die Grünen – obwohl sie das überhaupt erst in die Welt gesetzt und staatlich gefördert haben – heute nichts mehr zu tun haben. Pardon, aber mir drehen die Grünen ihr Fähnchen zu schnell in den Wind. Übrigens: Wir Bauern waren schon lange grün, als es die Grünen noch gar nicht gab. Wir Bauern sind die echten, wahren Grünen! Darum heißt er ja auch der „Grüne Beruf“!

Was ist mit der CDU/CSU, nach eigenem Verständnis traditionell die Schutzmacht der Bauern?

Willi: Ach, die Union steht heute – ebenso wie die SPD – auf dem Standpunkt: Laß das mal die Grünen machen. Die FDP ist immerhin für einen sinnvollen Einsatz grüner Gentechnik – das ist doch mal was anderes. Aber ansonsten, das muß ich Ihnen ehrlich sagen, sind wir Bauern von den etablierten Parteien alle mehr oder weniger enttäuscht.








Dr. Willi Kremer-Schillings, studierte Landwirtschaft mit Fachrichtung Pflanzenbau, arbeitete in der Zuckerindustrie und bewirtschaftet seit 1983 einen Hof bei Neuss in Nordrhein-Westfalen. Seit 2015 betreibt er als „Bauer Willi“ einen Blog, auf dem er seinen „berühmt“ gewordenen Wutbrief an die „Lieben Verbraucher“ veröffentlichte, der „Bauer Willis“ Medienerfolg begründete. Im Februar ist nun im Verlag Piper sein Buch „Sauerei! Bauer Willi über billiges Essen und unsere Macht als Verbraucher“ erschienen. Geboren wurde Kremer-Schillings 1954 im niederrheinischen Rommerskirchen.

Foto: Bauers Borstenvieh heute glücklich im Stall, morgen zu billig im Supermarkt: „Hören Sie auf! Sie sind also auch so ein Schnäppchenjäger ... Irgendwann läuft einem da die Galle über.“

 

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