© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/16 / 08. April 2016

„Hier werden Grenzen aufgezeigt“
AfD: Der Streit um die Auflösung des saarländischen Landesverbands geht in eine neue Runde
Marcus Schmidt

Die Vorwürfe wiegen schwer, die Maßnahme war drastisch. Auch zwei Wochen nach dem Überraschenden Beschluß des AfD-Bundesvorstands, den saarländischen Landesverband aufzulösen (JF 14/16), weil die dortige Parteiführung Kontakt zu Rechtsextremisten aufgenommen hatte, sorgt die Entscheidung über die AfD hinaus für Aufsehen. Denn in der Parteiengeschichte der Bundesrepublik finden sich nicht viele Fälle, in denen eine Parteispitze so rabiat durchgegriffen hat. AfD-Bundesvorstandsmitglied Dirk Driesang fällt nur ein vergleichbares Beispiel ein. „1985 haben die Grünen in West-Berlin einen Landesverband aufgelöst“, berichtete er der jungen freiheit. Die Begründung damals: Der Verband sei von Rechtsradikalen unterwandert worden. 

Driesang ist im Bundesvorstand der AfD für das Saarland zuständig und hat die parteiinternen Untersuchungen geleitet, die vor zwei Wochen zur Auflösung des Landesverbandes führten.

Bundesparteitag hat das letzte Wort

Mittlerweile hat der abgesetzte Vorstand um Landeschef Josef Dörr und dessen Stellvertreter Lutz Hecker seine Verteidigung organisiert und das Bundesschiedsgericht eingeschaltet. „Wir sind derzeit kaltgestellt und haben nur noch eine Funktion – wir dürfen uns wehren“, sagte Dörr der jungen freiheit.

Dörr und seine Mitstreiter weisen die Vorwürfe des Bundesvorstands, sie hätten gezielt Kontakt zu Rechtsextremisten gesucht, entschieden zurück. Davon unabhängig halten sie die Auflösung des gesamten Landesverbandes für unverhältnismäßig. Schließlich richteten sich  die Vorwürfe, die AfD habe im Saarland gemeinsame Sache mit der unter Rechtsextremismus-Verdacht stehenden NPD-nahen „Freien Bürger Union“ machen wollen, konkret nur gegen Dörr und Hecker. 

Doch zur Auflösung habe es nach Angaben von Driesang keine Alternative gegeben. „Wir haben auch geprüft, ob weniger harte Maßnahmen zum Ziel führen.“ Doch dies sei nicht möglich gewesen. „Dörr und Hecker haben im Landesverband eine deutliche strukturelle Mehrheit. Hätten wir die beiden abgesetzt, wären sie beim nächsten Landesparteitag wieder ins Amt gewählt worden“, erläutert Driesang. Das liegt nicht zuletzt daran, daß es im saarländischen Landesverband nur noch Delegierten- und keine Mitgliederparteitage mehr gebe. Das sei ein klarer Vorteil für die alte Führungsriege, heißt es aus der Partei. Über die von den Vorstandsmitgliedern oder ihren Vertrauten geführten  Kreisverbände – die auch nach der Auflösung des Landesverbandes weiterhin  bestehen – lassen sich leicht Mehrheiten organisieren.

Driesang gibt sich überzeugt, daß der Beschluß des Bundesvorstandes Bestand haben wird. Er weist den Eindruck zurück, die AfD-Spitze sei erst aktiv geworden, nachdem der Stern kurz vor Ostern Belege für die Kontakte des saarländischen Landesverbands mit Rechtsextremisten präsentiert hatte. „Bereits im September vergangenen Jahres gab es erste Hinweise, denen ich nachgegangen bin“, berichtet Driesang. Der Verdacht habe sich aber zunächst nicht erhärten lassen, und die Beschuldigten hätten die Vorwürfe weit von sich gewiesen. Erst das vom Stern veröffentlichte Material habe dann den Beweis gebracht, daß der Bundesvorstand von den Verantwortlichen der Saar-AfD in dieser Frage belogen worden sei.

An diesem Sonnabend könnte nun eine Vorentscheidung fallen. Das Bundesschiedsgericht der AfD hat den Landesvorstand des aufgelösten Landesverbands zur mündlichen Verhandlung nach Frankfurt am Main geladen. Die Saarländer wollen erreichen, daß die Parteirichter den Vorstandsbeschluß vorläufig aussetzen. Dadurch wäre der Landesvorstand wieder im Amt. „Es gibt ja eine Menge Arbeit, die getan werden muß“, sagt Dörr. Doch die Entscheidung des Schiedsgerichts ist nur ein Zwischenspiel. Das letzte Wort im Streit hat der AfD-Bundesparteitag Ende April in Stuttgart. Laut Satzung muß der Parteitag über den Auflösungsbeschluß des Bundesvorstandes abstimmen. Der AfD-Kreisvorsitzende von Saarbrücken-Stadt, Rudolf Müller, kündigt bereits an, daß die abgesetzte Spitze der Saar-AfD in Stuttgart gegen den Beschluß der Parteispitze kämpfen wird. „Dann gibt es Rabatz“, kündigte er an. 

Driesang glaubt trotzdem, daß die Mehrheit der Mitglieder der harten Linie des Bundesvorstandes folgen wird. „Wir können jede unserer Entscheidungen gut begründen“, sagt er und weist der Entscheidung eine grundsätzliche Bedeutung zu. Die AfD sei eine „kernbürgerliche“ Partei, die sich aber noch auswachsen müsse. „Am Fall des saarländischen Landesverbands zeigt sich, was geht und was nicht geht“, verdeutlicht Driesang: „Hier werden Grenzen aufgezeigt.“

Mittlerweile hat die AfD-Bundesspitze ein fünfköpfiges „Aufbauteam“ eingesetzt, um die Neugründung des Landesverbandes vorzubereiten. Darunter sind mit Olaf Vieweg, Michael Schettle und Christian Wirth drei saarländische AfD-Mitglieder als „Emissäre“ der Bundesspitze. Viel Zeit für den Neuanfang ist nicht. Bereits in einem Jahr stehen im Saarland Landtagswahlen an. Und der Neuaufbau der Saar-AfD ist für den Bundesvorstand nicht ohne Risiko. Denn trotz der Auflösung des Landesverbandes hat sich an der Mitgliedsstruktur bislang nichts geändert. Auch die geschaßten Vorsitzenden Dörr und sein Stellvertreter Hecker sind nach wie vor Mitglieder der Partei. Zwar heißt es aus der AfD, gegen beide werde ein Parteiausschlußverfahren angestrengt. Doch offiziell in die Wege geleitet worden ist es offenbar noch nicht. „Ich weiß davon nichts“, sagt Dörr.

Abstimmung über von Storch und Pretzell

So besteht bis auf weiteres die Möglichkeit, daß die alten Machtstrukturen, denen der AfD-Bundesvorstand mit seinem Auflösungsbeschluß eigentlich ein Ende bereiten wollte, auch im neuen Landesverband bald wieder die Fäden in der Hand halten. „Diese Gefahr sehen wir auch. Derzeit überlegen wir, wie wir das verhindern können“, sagt Driesang.

Nicht weit vom Saarland entfernt, in Straßburg, fällt in der kommenden Woche eine weitere wichtige Entscheidung für die AfD. Am Dienstag stimmt die Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) im Europäischen Parlament darüber ab, ob die beiden verbliebenen AfD-Abgeordneten Beatrix von Storch und Marcus Pretzell Mitglieder bleiben dürfen. Anfang März hatte der Fraktionsvorstand die beiden zum Austritt aufgefordert. Zuvor hatte die Fraktionsspitze einen Antrag auf Ausschluß der beiden AfD-Politiker kurzfristig zurückgezogen, nachdem sich abgezeichnet hatte, daß es dafür in der Fraktion keine Mehrheit geben würde. Ob sich dies mittlerweile geändert hat, gilt in Straßburg als offen.