© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/16 / 08. April 2016

„Es braucht globale Lösungen“
EU-Verpackungsrichtlinie: Politik und Handelsverband haben den deutschen Plastiktüten den Kampf angesagt
Christian Schreiber

In diesem Jahr feiert die Initiative „Jute statt Plastik“ ihr 40. Jubiläum, denn 1976 kam die quadratische Einkaufstasche aus grobem Jutestoff und aufgedrucktem Bekenntnis zunächst in der Schweiz auf den Markt. Zwei Jahre später war die in Bangladesch von Billiglöhnern gefertigte Ökotasche für 1,50 D-Mark auch in Westdeutschland erhältlich, und beim Gründungsparteitag der Grünen 1980 war sie Standardausrüstung. Doch 1990 flogen die Grünen aus dem Bundestag – und die neue Generation wandte sich der leichteren Baumwolltasche zu. Gleichzeitig verdrängte die Plastiktüte nach der Währungsunion den DDR-Einkaufsbeutel und das Einkaufsnetz aus Dederon.

Ein Vierteljahrhundert später setzt die Mehrheit weiter auf das vermeintliche Symbol der Wegwerfgesellschaft: 71 Einwegtüten sollen pro Jahr und Kopf in Deutschland benutzt werden. Obwohl dieser Wert der viertniedrigste in der EU ist und deutlich unter der von Brüssel für 2019 geforderten Quote von 90 liegt, sah Umweltministerin Barbara Hen­dricks (SPD) offenbar dringenden Handlungsbedarf. Der Handelsverband HDE ließ sich nicht lange bitten, kündigte Anfang des Jahres eine Selbstverpflichtung an, wonach ab dem 1. April 60 Prozent der Plastiktüten kostenpflichtig sein würden. Bis 2018 sollen es 80 Prozent sein – das klang nach einem guten Geschäft: Zusatzeinnahmen von fast 20 Cent pro Plastiktüte, und wenn sich die Kunden beklagen, dann läßt sich die Schuld einfach auf EU, Politik oder Umweltschutz abschieben.

Doch daraus ist nun erst einmal nichts geworden. Aldi, Lidl, Netto, Penny & Co. verlangen zwar schon immer eine Tütengebühr, und 150 Unternehmen wie Rossmann, Karstadt, Kik, Media Markt oder Saturn schlossen sich der HDE-Initiative an. Doch die Mehrheit der Händler wollte sich an dem deutschen Sonderweg nicht beteiligen. „Wir haben uns dagegen entschieden, weil wir diese Form für unsere Mitglieder nicht als zielführend erachten“, erklärte der Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands des Deutschen Bäckerhandwerks, Daniel Schneider, in der Welt. Sein Verband könne für die rund 12.000 selbständigen Bäcker im Land keine Verpflichtungserklärung abgeben. Ähnlich sieht es die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände. Die Abda befürworte die Gebühren zwar, aber man könne den Landesvereinigungen keine Vorschriften machen. Zudem würden in den gut 20.200 Apotheken meist nur kleine Plastikbehälter oder Papiertütchen verwendet. Auch der Zentralverband des Tankstellengewerbes (ZTG) verweigerte sich der „freiwilligen“ Tütengebühr.

Ökobilanzen entlarven Papier und Biokunststoff

Die EU hatte voriges Jahr auch keineswegs eine sofortige Tütengebühr verlangt, sondern beschlossen, daß bei Überschreiten der 90-Tüten-Quote ab 2018 preisliche Instrumente eingeführt werden müßten. Ob das Steuern, Abgaben oder Verbote sind, bleibt den Mitgliedsstaaten überlassen. Nicht betroffen von den EU-Vorgaben sind robuste Mehrfachtüten (die es in Deutschland ohnehin nicht kostenlos gibt) oder extrem dünne Tüten, die für Obst, Gemüse oder Frischfleisch unverzichtbar sind.

Manche Händler versuchen, die herkömmliche Plastiktüte durch Papiertragetaschen zu ersetzen. Doch das ist eine Scheinlösung: „Die beste Tüte ist zwar die, die gar nicht produziert wird“, sagt Sascha Roth vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND). Damit die Papieralternative nicht reißt, würden „lange, mit Chemikalien behandelte Zellstoffasern verwendet. Die Tütenwände müssen zudem dicker sein als bei Plastiktüten“, erläutert Roth.

Der Einsatz von Recyclingpapier verbessere zwar die Ökobilanz, aber Papiertüten müßten immer noch drei- bis viermal gebraucht werden, um mit einfachen Plastiktüten mitzuhalten. „In Ökobilanzen zeigen sich weder für Papiertüten noch für Tüten aus biologisch abbaubaren Kunststoffen eindeutige Vorteile“, bestätigt auch das Umweltbundesamt (UBA). Und für die Meeresreinhaltung ist das zentrale Problem ohnehin die Müllentsorgung. Auch hier liegt Deutschland im EU-Vergleich vorne. Rund 80 Prozent aller Plastikabfälle werden fachgerecht entsorgt – sprich verbrannt. Das Problem sind die schwarzen Schafe, die Müll ins Ausland verkaufen: „Es gibt Berichte, daß deutsche Verpackungen auf Deponien in Frankreich und sogar Thailand und Singapur gelandet sind. Es kann auch sein, daß die hier gesammelten Kunststoffe nach China gehen“, klagte beispielsweise die Münchner Abfallwirtschaft.

„Es braucht globale Lösungen“, konstatiert der BUND. Aber es sei auch im ureigenen Interesse, daß die Ozeane sauber bleiben, wie die Nordseeinsel Mellum zeigt: Sie ist unbewohnt, es gibt keine Touristen. Dennoch sammeln sich Jahr für Jahr Müllberge am Strand, die aus dem offenen Meer kommen. Dabei handelt es sich neben Dosen und Getränkeflaschen vor allem um Plastikverpackungen.

Doch die optimale Verpackung der Zukunft gibt es noch nicht. So hat die Verbraucherorganisation Foodwatch bei einer Stichprobe in neun von 42 Lebensmitteln Rückstände aromatischer Mineralöle entdeckt, darunter in Reis und Cornflakes. Als Hauptquelle für solche Kontaminationen gelten Druckfarben, die in Kartons aus recyceltem Papier enthalten sind. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) wies bereits 2010 darauf hin, daß in Lebensmittelpackungen aus Altpapier unter anderem Mineralöle mit aromatischen Kohlenwasserstoffen nachgewiesen worden seien. Einige davon stehen im Verdacht, Krebs auszulösen. Foodwatch fordert von der EU, neue Wege bei der Schaffung umweltfreundlicher Verpackungen zu fördern. Eine Jute-Renaissance wird es zwar nicht geben, aber Joghurtbecher aus Milchsäure oder Teller aus Blättern dürften nicht als Spinnerei abgetan werden.





EU-Verpackungsrichtlinie von 2015

Jährlich wandern mehrere Millionen Tonnen Plastikmüll in die Weltmeere. 150 Millionen Tonnen sollen es schon sein. Wird nichts dagegen unternommen, könnte 2050 die Plastikmenge diejenige der Meeresfische übersteigen, warnt eine Studie der britischen Ellen MacArthur Foundation. Die äußert widerstandsfähigen Plastikabfälle verrotten kaum und sind nicht nur eine Gefahr für Delphine, Schildkröten oder Vögel, sondern letztlich landet das Plastik wieder auf dem Eßtisch: Unsere Speisefische ernähren sich von Plankton, Krebsen oder Kleinfischen, die mit Mikroplastik belastet sind. Die EU hat daher 2015 eine neue Richtlinie über Verpackungen und Verpackungsabfälle (94/62/EG) beschlossen, die den Verbrauch von Plastiktüten mit einer Wanddicke von 0,015 bis 0,05 Millimetern reduzieren soll. Der jährliche Pro-Kopf-Verbrauch soll bis 2019 von 200 Tüten auf 90 sinken. Ende 2025 sollen es sogar nur noch 40 dünne Tüten sein.

EU-Richtlinie über Verpackungen:  www.duh.de