© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/16 / 08. April 2016

„In Amerika sind Gülle und Mist viel billiger“
Agrarwirtschaft: Die Mehrheit der deutschen Bauern wird nicht vom transatlantischen Abkommen TTIP profitieren
Jörg Fischer

Daß es bei der Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) kaum um Chlorhühner und Freihandel geht, ist bekannt. Es geht auch nicht um eine geheime US-Verschwörung gegen die EU, sondern um einen Staatsstreich globaler Konzerne und Wirtschaftskanzleien gegen die steuerzahlenden Bürger in Europa und Nordamerika. Denn diese wären die Leidtragenden, wenn nach den Investor-Staat-Schiedsverfahren (ISDS) möglicherweise entgangene Gewinne mit Steuermilliarden „entschädigt“ würden oder Verbesserungen beim Verbraucherschutz aus Angst vor ISDS-Klagen unterblieben. (JF 35/15).

Gefahr der Abwanderung heimischer Produktion

Daß der Industrieverband BDI auf TTIP schwört, mag verständlich sein, aber warum unterstützt der Deutsche Bauernverband (DBV) die EU-weite Propagandainitiative? „Mit TTIP haben europäische Produzenten die Chance, einen zusätzlichen Absatzmarkt in den USA zu erschließen, wir erhoffen für unsere Branche starke Wachstumsimpulse“, behauptet etwa Peter Pascher, Geschäftsführer des DBV-Fachausschusses Agrarstruktur- und Regionalpolitik. „Je veredelter die Produkte sind, desto besser ihre Absatzchancen in den USA.“

Der DBV-Funktionär bestätigt damit aber unfreiwillig, was TTIP-Gegner wie der Milchviehhalterverband (BDM) längst wissen: Lebensmittelkonzerne profitieren vielleicht, die Misere der deutschen Bauern dürfte sich dagegen verschlimmern. Das gibt sogar der DBV selbst zu: Bei der Debatte müsse auch der „Produzentenschutz“ im Auge behalten werden. „Tierschutz- und Umweltauflagen (wie Lagerung und Nutzung von Gülle und Mist) sind in Nordamerika nicht so kostenaufwendig wie in der EU und führen somit zu Wettbewerbsnachteilen der hiesigen Produzenten“, heißt es in einer Stellungnahme für den Bundestagsausschuß für Ernährung und Landwirtschaft.

Eine Marktöffnung berge „die Gefahr der Abwanderung heimischer Produktion in andere Länder mit niedrigeren Standards“, so der DBV. Insbesondere bei Rind, Geflügel und Schwein werde TTIP zu einem „zusätzlichen Wettbewerbs- und Marktdruck“ auf die heimischen Produzenten führen. Wegen der günstigeren Arbeitskräfte und niedrigeren Kosten für andere Produktionsfaktoren lägen die US-Kosten nur bei „70 bis 80 Prozent der Kosten europäischer Erzeuger“.

Dramatisch dürfte TTIP auch für kleine und mittlere Pflanzenhöfe werden: „Produkte wie Getreide kann niemand so billig produzieren wie die USA“, heißt es in einer Studie des Bundesverbandes der grünen Wirtschaft. EU-Agrarunternehmen seien „durch einen größeren Anteil bäuerlicher Familienbetriebe und kleinere Betriebsgrößen strukturell anders aufgestellt als die amerikanischen Betriebe – und damit nach strengen marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten unterlegen“, warnte Verbandsgeschäftsführerin Katharina Reuter. Der Niedergang betreffe nicht die Biohöfe mit ihrem finanzstarken Kundenstamm, sondern die konventionellen Betriebe empfänden „mit ihren wesentlich preisbewußteren Kunden die Konkurrenz amerikanischer Produkte“ viel stärker als Bedrohung.

Wer das als Stimmungsmache von national- oder ökobewegten Freihandelsverächtern abtut, sollte vielleicht eine Studie des US-Agrarministeriums lesen. Danach liegen die US-Zölle für EU-Lebensmittel schon heute weit unter zehn Prozent. Umgekehrt sieht es anders aus: Die EU-Zölle auf US-Produkte wie Fleisch, Milchprodukte oder Reis liegen bei 15 bis fast 70 Prozent. Ein Wegfall der EU-Zölle und Mengenbeschränkungen könnte den US-Anbietern zusätzliche Agrarexporte von 5,5 Milliarden Dollar im Jahr bringen. Die EU-Ausfuhren würden im Gegenzug nur um 0,8 Milliarden Dollar steigen.

Schwein, Rind, Soja und Butter aus den USA?

Entfiele auch die EU-Regulierung bei Gentechnik oder Pflanzenschutz (nichttarifäre Handelshemmnisse), würden US-Produzenten für 9,6 Milliarden Dollar mehr exportieren – vor allem Schwein (2,4 Milliarden), Rindfleisch (1,9 Milliarden), Soja (861 Millionen), Gemüse (467 Millionen) oder Butter (151 Millionen). Die EU-Konkurrenz könnte nur für 1,2 Milliarden Dollar mehr auf dem US-Markt verkaufen – vor allem im Bereich Obst, Gemüse und Pflanzenöl, was die Mittelmeeranrainer freuen dürfte. Nur bei Käse können sich die Deutschen Chancen ausrechnen.

Mit TTIP werden auf die deutschen Bauern schwere Zeiten zukommen – außer Donald Trump oder Bernie Sanders ziehen ins Weiße Haus ein. Denn denen wären die TTIP-Vorteile für US-Farmer zwar recht, aber beide wollen unter anderem die „Buy America“-Regeln beibehalten, die EU-Unternehmen bei öffentlichen Ausschreibungen diskriminieren. Das entzöge jedoch BDI & Co. ihre wichtigste ökonomische Argumentationsgrundlage für TTIP.

US-Studie „Agriculture in the Trans­atlantic Trade and Investment Partnership“:  ers.usda.gov