© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/16 / 08. April 2016

Pankraz,
U. Ammon und der Germanist aus China

Kuriose Wissenschaft. Ulrich Ammon (72), Sprachsoziologe und seit vielen Jahren fleißiger und genauer Beobachter der wechselnden Stellungen, die die deutsche Sprache in der Welt einnimmt, ist an sich Optimist. Ihre derzeitige Stellung, konstatiert er, sei in Wirklichkeit stärker und  einflußreicher, als man vielerorts annimmt, mit steigender Tendenz. Nur in Deutschland selbst sei das anders, besonders in seinem Wissenschaftsbetrieb, „da bevorzugt man das Englische“.

Viele chinesische Studenten, erzählt Ammon, die zu Hause perfekt Deutsch gelernt haben, nicht zuletzt um wichtige, grundlegende Werke aus Philosophie, Geschichte und Naturwissenschaft im Original studieren zu können, wundern sich sehr, wenn sie zum ersten Mal nach Deutschland kommen, um ihre Studien vor Ort zu vervollständigen. Denn es wird dort gar nicht deutsch gesprochen, sondern englisch. Ganze riesige deutsche Fachwortbestände sind oft gar nicht mehr auffindbar; man hat sie vollständig – und oft sehr unbeholfen – ins Englische übertragen.

Ammon nennt die Konstellation „schlicht absurd“. Die wissenschaftliche Genauigkeit und Gründlichkeit werde dadurch an vielen Stellen eindeutig geschwächt, zumal da nicht wenige Forscher und Lehrer es ihr Leben lang nur zu einer Art Pidgin-Englisch brächten, das für eine Kennzeichnung diffiziler Zusammenhänge gar nicht ausreiche. So entstehe aus dem Pidgin-Englisch schließlich auch eine Pidgin-Wissenschaft, ein Sammelsurium von aktuellen „Studien“, die aus nichts weiter als aus Meinungsumfragen und Mehrheitsfeststellungen bestünden und das schon für Wissenschaft hielten. Es sei ein Graus.


Pankraz kann den Klagen Ulrich Ammons nur zustimmen. Die bewußte, mit größtem Eifer betriebene und hier und da auch schon staatlich geförderte Preisgabe eigensprachlicher Fachwortbestände macht die deutsche Wissenschaft à la longue zweitklassig; man gewöhnt sich allmählich daran, daß die Originalstudien, also wirkliche Wissenschaft, exklusiv aus der Originalsprache kommen und man sie nur noch nachahmen muß, um an der Front mitzumarschieren. Die eigene Sprache erleidet, wie Ammon formuliert, einen „Ausbaurückstand“, der ihre Leistungsfähigkeit allgemein beschädigt.

Man lernt ja fremde Sprachen um so genauer (nicht unbedingt schneller), je sicherer man seine eigene Sprache, seine „Babysprache“, im Griff hat. Deren Kern besteht primär aus einer fest etablierten Grammatik, einem resistenten Stamm von Grundwörtern und einem reichen Arsenal von kultur- und literaturgeprägten Dauer-Metaphern und Analogien, die Struktur geben. Nur wer in einer solchen Sprache zu Hause ist, kann ohne allzuviel Mühe auch in weiteren Sprachen, die er erlernen muß, ein gewisses, eben auch wissenschaftliches, Niveau erklimmen, das über simple Gespräche beim Bäcker oder in der Disco hinausreicht.

Gerade ein Blick auf die aktuelle „Flüchtlingskrise“ bestätigt den Tatbestand. Nicht nur  diverse Wissenschaftsministerien, sondern auch die deutschen Ausländer- und Asylbehörden legen kaum noch Wert auf ein auch nur halbwegs akzeptables Deutsch. Aber an immer mehr Sprachfakultäten arbeitet man, ermuntert von gut zahlenden Migrations-Lobbyisten, an der Herausarbeitung einer sogenannten „Kanak-Sprak“, Kanakensprache, einem plumpen Mischmasch aus Türkisch beziehungsweise Arabisch und diversen deutschen Kiezjargons, der die deutsche Hochsprache verdrängen und ersetzen soll.

Pidgin-Englisch in der Wissenschaft, Kanakensprache im Alltag: so also stellt man sich in führenden hiesigen Kreisen die linguistische Zukunft unseres Landes vor – und begrüßt es ausdrücklich, hält es für besonders modern und super-demokratisch! Eine Ausnahme machte kürzlich lediglich der Dichter Martin Walser (89), der die Immigrantenflut zwar ebenfalls enthusiastisch feierte, aber mit der Begründung und der Hoffnung, daß die Zuwanderer die deutsche Sprache „bereichern“ würden und daß er, Walser, sich sehr freue auf die Fülle der Neologismen, der vielen neuen Sprachgesten und Sprachattitüden.


Was soll man nun davon halten? Kanakenjargon und Pidgin-Englisch als Nothelfer und Erneuerer der deutschen Hochsprache in Dichtung und Philosophie, Geschichtsschreibung und Naturwissenschaft? Das kann doch nur erklärten Feinden von Hochsprachen einfallen, beispielsweise der Frau Doktor Yazgül Simsek vom „Centrum für Mehrsprachigkeit und Spracherwerb“ an der Universität Münster, die sich schon seit langem dafür einsetzt, das Deutsch der Lesebücher (und also auch das Deutsch der WalserBücher) flächendeckend durch „kraftvolle“ Dialekte zu ersetzen.

Die Bayern etwa, sagt sie, sollten doch froh sein, wenn ihr stolzer Dialekt, indem er sich mit der Kanakensprache verbünde, endlich über die fade Hochsprache obsiege. Hochsprache sei ohnehin nur eine bürokratisch-herrschaftliche Fiktion; in der tagtäglichen Lebenswirklichkeit gäben allein die „echten Volkssprachen“ den Ton an, also die einheimischen Kiezjargons und Dialekte und zunehmend eben auch die Kanakensprache der Zuzügler und Asylbewerber. Gemeinsam werde man es schon schaffen, die Hochsprache ein für allemal zum Verschwinden zu bringen.

Ist es wirklich eine solche Perspektive, die Walser mit seinem Lobpreis der sprachlichen Bereicherung durch den Flüchtlingszustrom gemeint hat? Dann müßte man ihm trotz seines ehrwürdigen Alters und des großen Respekts, den er verdient, frontal widersprechen.

Gewiß, tagtäglich kommen neue Wörter in eine Sprache hinein, frisch gebildet oder von irgendwoher übernommen, während andere im selben Tempo weggeschoben werden. Anders kann eine Sprache gar nicht lebendig bleiben und Blüten, große Literatur und erfolgreiche Fachkompetenz hervorbringen. Die Sprache selbst aber und das Volk, das sie spricht,  müssen erhalten bleiben. Nur so können Kultur und Moral gedeihen. Kanakensprachen und Pidginsprachen werden jedenfalls nicht gebraucht.