© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/16 / 08. April 2016

Knapp daneben
Wegwerfkulturnation
Karl Heinzen

Die Deutschen fühlen sich zwar dazu berufen, dem Guten zum Durchbruch zu verhelfen. In ihrem alltäglichen Leben geben sie dennoch oft ein schlechtes Beispiel ab. So wissen sie genau, daß weltweit Millionen von Menschen hungern. Dies hindert sie nicht daran, sich selbst fett und rund zu fressen und das, was beim besten Willen nicht mehr hinuntergewürgt werden kann, wegzuschmeißen. 18,5 Millionen Tonnen Nahrungsmittel wandern auf diese Weise jährlich in den Müll.

Gegen die Unarten der deutschen Wegwerfkulturnation macht nun jedoch eine Bewegung von Essensrettern mobil. Anders als die Tafelorganisationen, die vor allem von Supermärkten mit nicht mehr verkaufsfähiger Ware beliefert werden, zielt sie gerade auch auf Privathaushalte. Wer nach einer Grillparty Würstchen übrighat oder vor einem Urlaub noch schnell den Kühlschrank leeren möchte, muß das unappetitliche Zeug nicht mehr angewiderten Nachbarn aufzwängen. 

Im normalen Alltag erschöpft sich ihr Ehrgeiz darin, am Essen zu geizen, wo es nur möglich ist.

Er braucht nur die Hotline der Food Saver anzurufen, und sein Entsorgungsproblem wird von diesen binnen zwei Stunden gelöst. In frei zugänglichen Kühlschränken kann sich dann jedermann an den Köstlichkeiten bedienen.

Die Bewegung hat gute Chancen, sich zu einem Massenphänomen auszuwachsen. Viele Deutsche haben dank ihrer Reisen in südliche Länder zwar eine vage Vorstellung davon, was eine gesunde und ausgetüftelte Eßkultur ausmacht. Ihr zu frönen ist für sie allerdings ein Luxus, der Festtagsstunden vorbehalten bleiben muß. Im normalen Alltag erschöpft sich ihr Ehrgeiz darin, am Essen zu geizen, wo es nur möglich ist, um die Anzahlung für den Neuwagen aufbringen zu können oder durch den Verzicht auf maßlosen Augenblicksgenuß weitere Rücklagen fürs hohe Alter zu schaffen. Daher ernähren sie sich voll unbekümmerter Freude an ihrer Sparsamkeit in einer Weise, die sie als Tierfreunde Schlachtvieh kaum zumuten würden. Food Saving birgt für sie nicht die Gefahr des Qualitätsverlusts. Was sie in öffentlichen Kühlschränken als Spende von Fair-Teilern vorfinden, kann kaum minderwertiger sein als das, was sie in ihren eigenen lagern.