© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/16 / 15. April 2016

Dieter Müller spricht Wahrheiten aus, die sein Dienstherr nicht hören will
Der Unbequeme
Paul Leonhard

Ob Sachsens Polizeikommissare mitunter mit verschlossenem Mund innerlich Gedichte rezitieren, wenn sie vor ihren Dienstvorgesetzten stehen? „Hilfreiche Kameradschaft, ein hohes Gut, wenn ich sie nicht hätte, stiege in mir die Wut, meine Haut zum Markt zu tragen, wo Politiker versagen und ohne Mut sehendes Auges Fehler begehen, ohne dafür jemals in vorderster Linie einzustehen, wie weh das manchmal tut, erfahren sie nicht“, heißt es in dem Gedicht „Schon wieder ...egida etc.“ von Dieter Müller aus Bautzen.

Der Polizei-Poet mit dem Allerweltsnamen ist zur Zeit Sachsens bekanntester Hochschullehrer. Er hat seinem Dienstvorgesetzten, Innenminister Markus Ulbig, den Spiegel vorgehalten. Das hat der eher schlichte Christdemokrat lange Zeit zwar nicht begriffen, aber nachdem Anfang des Jahres die Bild Müllers auf Facebook veröffentlichte „Ungehörigkeiten“ ins Boulevarddeutsch übersetzt hat, wurden nun die ministerlichen Reaktionen berichtet: Abmahnung mit Androhung fristloser Kündigung, falls Müller sich weiterhin despektierlich zur sächsischen Polizeiarbeit und Innenpolitik äußere.

Dieter Müller, 1959 bei Hannover geboren, ist Professor für Straßenverkehrsrecht an der dem Innenministerium unterstehenden Polizeifachhochschule in Rothenburg/Oberlausitz. Er hat einen wegweisenden Aufsatz über „Inhalte und Grenzen polizeilicher Mitteilungspflichten an Fahrerlaubnisbehörden“ geschrieben und dafür 2015 den „Goldenen Dieselring“ erhalten.

Müller, der 1995 als Dozent an die Neiße kam, beläßt es nicht dabei, angehenden Kommissaren die Anwendung straßenverkehrsrelevanter Rechtsvorschriften beizubringen, der einstige Bundespolizist ist sensibel für Themen geblieben, die seine Kameraden beschäftigen: wachsende Gewalt („Wenn die linken Zecken und Autonomen/im Schutz ihrer Tarnung zum Steinwurf ausholen“, reimte er), fehlender Rückhalt.

Das Dilemma benennt er in zwei Sätzen: „Wo Personal fehlt, kann nicht kontrolliert werden. Wo es keine Kontrolle gibt, können Straftaten nicht geahndet werden.“ Die Justiz konterkariere die Arbeit der Polizei, indem sie die juristischen Möglichkeiten nicht ausschöpfe. Seinen Studenten gibt der Jurist auf den Weg: „Bei der Polizei ist Ehrlichkeit oft ein Hindernis für die Karriere.“

Wer so einfach Wahrheiten ausspricht, bekommt Ärger. Die Causa Müller wird jetzt vor Gericht ausgetragen. Nachdem ein Gütetermin scheiterte, soll der Freistaat am 23. Juni konkret darstellen, mit welchen Äußerungen Müller welche Dienstpflicht verletzt habe. Es geht um die Gewichtung der Treuepflicht gegenüber Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit. Die Deutsche Polizeigewerkschaft Sachsen hat Müller derweil als Spitzenkandidaten für die Personalratswahlen gesetzt. Damit dürfte sicher sein, daß der nicht verbeamtete Professor noch Wahrheiten lehren wird, wenn Sachsens Innenminister bereits längst anders heißt.