© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/16 / 15. April 2016

Nicht Freund, nicht Helfer
Streetgangs: Rockerclubs sahen in jungen, oft kriminellen Einwanderern eine dringend benötigte Verstärkung. Aus ihr wurde eine brutale Konkurrenz
Christian Vollradt

Nun gab es wieder einen Toten. Vergangenen Samstag erlag im baden-württembergischen Heidenheim an der Brenz ein 29jähriger Mann seinen Schußverletzungen. Hintergrund der Tat ist laut Polizei eine „Fehde in der Rocker-Szene“. Tatsächlich gehören sowohl das Opfer als auch ein 25jähriger Tatverdächtiger zwei miteinander verfeindeten Clubs an; allerdings nicht den allgemein bekannten und bereits seit Jahrzehnten in Deutschland aktiven Hells Angels oder Bandidos. Die Parteien in diesem Konflikt heißen United Tribuns, denen der verstorbene Celal F. sowie sein ebenfalls bei der Schießerei verletzter Bruder angehören, und Black Jackets, aus deren Reihen der Tatverdächtige stammt. Mögen Anlaß und Beteiligte der tödlichen Auseinandersetzung auch nur von lokaler Relevanz sein; sie stehen doch symptomatisch für eine Entwicklung, die insbesondere die Ermittlungsbehörden mit zunehmender Sorge beobachten.

„Die Gangszene besteht zu 90 Prozent aus Migranten“

Bei diesem Phänomen handelt es sich in erster Linie um die Zunahme relativ neuer Clubs und Protagonisten, die häufig mit dem Adjektiv „rockerähnlich“ benannt werden, laut Szenekennern allerdings klar von den „klassischen“ Motorrad- und Rockervereinigungen – im Fachjargon Outlaw Motorcycle Gang (OMCG) – zu unterscheiden sind. Entweder werden sie mit Blick auf ihre Unterstützerrolle dieser etablierten OMCGs als „Supporter“ oder in Abgrenzung als „Streetgang“ bezeichnet. Besonders diese – zu denen auch die erwähnten United Tribuns und Black Jackets zählen – haben zwei Merkmale gemeinsam: ihre Mitglieder sind jung und stammen in aller Regel aus Einwandererfamilien. 

„Die Gangszene in Deutschland besteht zu 90 Prozent aus Migranten“, weiß Stefan Schubert, Autor des vor zwei Jahren erschienenen Buches „Gangland Deutschland. Wie kriminelle Banden unser Land bedrohen“. Obwohl sie aussehen wie Rocker, fahren die Mitglieder der Streetgangs normalerweise keine Motorräder. Meist kommen sie aus einem prekären Einwanderermilieu und wissen, daß sie wegen eines fehlenden Schulabschlusses und ohne Berufsausbildung in diesem Land kaum Aufstiegsmöglichkeiten haben, so Schubert. Doch der Lebenswandel werde „durch Feiern, schnelles Geld und Drogenkonsum bestimmt“. Und um „diesen Lifestyle zu finanzieren, fangen die ersten Straftaten an“, dann erfolge oft der Eintritt der jungen Männer in eine Gang, stellt der ehemalige Polizist fest. 

Viele der jungen, entwurzelten Immigranten haben herkunftsbedingt eine starke Affinität zur Macho- und Gewaltkultur. Das  wiederum wollten sich – zumindest eine Zeitlang – auch die OMCGs zunutze machen. Denn in den Revierkämpfen und mitunter sehr gewaltsamen Auseinandersetzungen („Rockerkriegen“) konnten die etablierten Clubs immer mehr Nachwuchs beziehungsweise Unterstützer gebrauchen. Gleichzeitig gab es ein demographisches Problem: die Gruppen waren zum Teil überaltert. So kam ihnen eine neue tatendurstige Klientel sehr gelegen, selbst wenn viele der Neuen überhaupt keinen Bezug zum Motorradfahren hatten. Neben Hooligans vor allem Kampfsportler und Türsteher, darunter Einwanderer mit vorwiegend türkischen, kurdischen oder arabischen Wurzeln. Ihnen waren zudem die in der Rockerszene gern herangezogenen Begriffe wie Ehre und Respekt geläufig – allerdings verstanden sie darunter nicht immer dasselbe wie die „Biker“. 

Eingeleitet hatten diese Entwicklung laut Szenebeobachtern die Bandidos, die sich als erste „geöffnet“ hatten. Mehr oder weniger zwangsläufig zogen die Konkurrenten nach. „Wenn die einen Kanaken haben, müssen die anderen nachziehen“, zitierte die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vor knapp vier Jahren einen Bandido namens Yusuf. Der Mann mit Einwanderungshintergrund nannte auch den Vorzug, den er und andere „Fachkräfte“ seines Schlages mitbrachten: „Die Kanaken sind brutal. Die freuen sich, wenn es Streß gibt.“ 

Altgediente Rocker haben die Kontrolle verloren

Kein Wunder, daß das Szenemagazin Bikers News konstatierte: „In der überalterten Rockerszene wurde es mit den um eine Generation jüngeren Migranten nicht gemütlicher.“ Oft hätten die altgedienten Rocker die Kontrolle verloren. „Die Meldungen über Rockerkriege hatten unsere Szene für erlebnisorientierte Subkulturen interessant gemacht“, bilanzierte das Blatt weiter. Irgendwann erkannten dann auch die Motorradclubs, wen sie gerufen hatten – und was ihnen zusehends entglitten war. So erklärten die Bandidos 2013 das Ende der unbegrenzten Expansion und ihrer niedrigschwelligen Aufnahmepolitik. „Klasse statt Masse“ sei nun die neue Devise. Doch das Umsteuern konnte die Entwicklung nicht mehr stoppen. Längst dominierten in einzelnen Ortsgruppen („Chartern“ oder „Chaptern“) die Neuen – oder drängten mit eigenen Clubs nicht selten gewaltsam auf das Terrain, um außer in der Türsteherszene auch beim Drogenhandel sowie im Rotlichtmilieu ordentlich mitzuverdienen.  

Zu spät erkannten viele Rocker „alter Schule“, die sich zunächst über die „migrantischen Nachwuchskräfte“ gefreut haben mögen, daß diese sich weiterhin viel stärker über ihre Herkunft, Familie, Ethnie definieren; hier ist ihre Loyalität verankert. Ansonsten wechseln sie die Seiten, wie es ihnen opportun erscheint. Das zeigte sich insbesondere in Berlin. Hier hatte der türkischstämmige Kadir Padir zunächst das örtliche Chapter der Bandidos angeführt, bevor er 2010 mit anderen Mitgliedern und Unterstützern zu den Hells Angels wechselte. Und das, obwohl Padir noch 2007 einen führenden Berliner Hells Angel mit einer Machete schwer verletzt hatte. Mittlerweile läuft erneut ein Strafprozeß gegen den Sohn türkischer Gastarbeiter. Er soll im Januar 2014 Auftraggeber eines spektakulären Mordes in einem Wettbüro in der Hauptstadt gewesen sein. 

Bei seinen Höllenengeln in Deutschland soll laut Beobachtern der Konflikt zwischen den „Membern“ alten und neuen Typs noch nicht ausgestanden sein. Intern wurde die „Öffnung“ des Clubs immer wieder kritisiert (siehe Interview auf dieser Seite).

Die Berliner Polizei jedenfalls ist recht schonungslos mit ihrer Lageanalyse der rund 1.000 Personen umfassenden Szene. Pressesprecher Stefan Redlich teilte der JUNGEN FREIHEIT mit, „daß insbesondere beim Hells Angels MC im Vergleich zu den traditionsbewußten ‘Old School’-Chartern neue Ortsgruppen entstanden sind, die ohne Rücksicht auf Traditionen mit gesteigerter Gewalttätigkeit gewinn-orientiert agieren und einen hohen Anteil von Personen mit Migrationshintergrund vorweisen“.

Auch in Nordrhein-Westfalen wird um eine neue Machtverteilung gerungen; vor allem im Geschäft mit Rauschgift, Waffen, Frauen (Prostitution) und Schutzgelderpressung. Symptomatisch für das Scheitern der übereilten Expansionsbestrebungen der Hells Angels stehen hier die Osmanen Germania. Sie haben sich mit dem Zusatz BC für Boxclub versehen, in Abgrenzung zum MC (Motorcycle Club). Bei den Osmanen handelt es sich überwiegend um junge türkischstämmige Männer, dazu kommen einige wenige Mitglieder mit russischen oder albanischen Wurzeln. Laut einem internen Lagebericht befürchtet das Düsseldorfer LKA neue schwere Auseinandersetzungen um Einflußgebiete im Milieu.

Mehmet Bagci, einer der beiden „Weltpräsidenten“ der Osmanen, hatte bereits vor Monaten im Interview mit einem Blogger klargestellt: „Die Altrocker haben uns nichts zu sagen.“ Bagci hatte den ersten Boxclub Mitte 2015 im hessischen Dreieich gegründet. Mittlerweile soll es bundesweit 700 Mitglieder geben, wobei es bereits wieder eine erste Spaltung in Osmanen Frankfurt und Osmanen Germania gegeben haben soll. 

Zu Beginn waren die Gangmitglieder als „Männer fürs Grobe“ für die Hells Angels im Raum Frankfurt tätig. Als dort die beiden wichtigsten Charter verboten worden waren, füllten die Osmanen das Machtvakuum. Wie austauschbar letztlich solche äußerlichen Gangstrukturen zuweilen sind, zeigt der Fall der Mongols in Bremen. Sie wurden fast vollständig dominiert von kriminellen Mitgliedern des Miri-Clans, einer kurdisch-libanesischen Großfamilie. Nach gewaltsamen Revierkämpfen mit den Hells Angels waren die Mongols in der Hansestadt verboten worden, ein Verbotsverfahren gegen die Hells Angels ist noch nicht abgeschlossen. Seitdem, so die Polizei auf Anfrage der JUNGEN FREIHEIT, sei es „zu keinen, soweit bekannt, nennenswerten Auseinandersetzungen“ in der Szene gekommen. Für den früheren Polizisten und jetzigen Bürgerschaftsabgeordneten Jan Timke (Bürger in Wut) sind solche Entwarnungen allerdings Augenwischerei. „Offiziell herrscht Ruhe“, meint der Innenexperte im Gespräch mit der JF. Doch die Hierarchie im Miri-Clan bleibe dieselbe. „Die hatten das Gebilde der Rocker nur für ihre kriminellen Machenschaften genutzt“, so Timke. Jetzt seien sie in anderer Form genauso aktiv. Und die Hells Angels sind nach Niedersachsen (Oldenburg) ausgewichen und werden jetzt dort statistisch erfaßt. „Darüber ist der Bremer Innensenator natürlich erleichtert“, stellt Timke fest. 

Für den Publizisten Stefan Schubert steht mit Blick auf andere europäische Staaten fest, daß das Gefahrenpotential der Gangs höher ist als das der Rocker. Bei allem, was man den Hells Angels vorwerfen könne, seien die Rocker nirgendwo für soziale Unruhen und bürgerkriegsähnliche Konflikte verantwortlich. Genau dies hätten jedoch Streetgangs beispielsweise in Skandinavien hervorgerufen. Und wie dort werde auch bei uns zu lange weggeschaut. Außerdem habe es so gut wie kein Verfahren gegen Gangmitglieder gegeben, „an dessen Ende ein abschreckendes Urteil gestanden hätte“.

Gravierende Fehler haben allerdings auch die politisch Verantwortlichen – und die Medien – gemacht, ist Experte Schubert überzeugt. In seinem Buch schreibt er: „Die Beamten fokussierten, wie von den Innenministern aufgetragen, ihre ganze polizeiliche Arbeit auf die Hells Angels und andere Rockerbanden.“ Dadurch seien keine Kapazitäten mehr frei gewesen, „um sich mit der rasant ausbreitenden Gangsubkultur zu beschäftigen“. Deren Auswüchse seien zudem von den Medien „totgeschwiegen“, die Namen der Gangs bewußt nicht genannt und als „Gruppierung aus der Türsteher-Szene“ verharmlost worden. „Auf die Zusammensetzung der Streetgang, die fast nur aus Migranten bestand, und zwar aus zum Teil erheblich und mehrfach vorbestraften Einwandererkids, ging so gut wie kein Nachrichtenträger ein.“ Dies sei aus politisch korrekter Rücksichtnahme geschehen, ist Schubert überzeugt.  

Foto: Mitglieder der Osmanen Germania in einem Propagandavideo der Gruppierung: „Die freuen sich, wenn es Streß gibt!“