© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/16 / 15. April 2016

Die Verwirrung hält an
„Panama Papers“: Geld in Steueroasen soll durch globale Maßnahmen in die Hände des Fiskus gelangen
Thomas Kirchner

Die Grünen glauben, es schon immer gewußt zu haben: „Steuerflüchtlinge kosten uns zirka zehnmal mehr als Flüchtlinge!“, behauptet die Partei auf ihrer Themenseite „Fakten gegen Parolen“. Doch abgesehen davon, daß der Bund in diesem Jahr wohl kaum mit neun Milliarden Euro für die Asylkrise auskommen wird, sind „Schätzungen über entgangene Steuereinnahmen von jährlich 100 Milliarden Euro“ wohl reine Phantasiegebilde – das wäre das Fünffache der Einkommensteuer- oder das Zehnfache der Körperschaftsteuereinnahmen des Bundes. Daß hingegen bei Lohnsteuer und dem Solizuschlag (jährlich zusammen 90 Milliarden) geschummelt wird, glaubt wohl nicht einmal Claudia Roth.

Doch nach der Veröffentlichung der von der Kanzlei Mossack Fonseca in Panama gestohlenen Daten (JF 15/16) lassen sich auch Politiker der Großen Koalition wieder einmal zu Aktionismus hinreißen. Dabei ist echte Steuerhinterziehung in Milliardenhöhe schon heute fast unmöglich. Luxemburg steht seit Veröffentlichung der „Lux Leaks“ 2014 unter Druck. Gerade bei grenzüberschreitendem Steuersparen sind die Empfindlichkeiten höher, aber Unterschiede in den Steuersystemen werden immer Möglichkeiten zur Steuerminimierung bieten – und Unternehmen werden davon profitieren.

Legendär ist die Steuervermeidung amerikanischer Konzerne in Europa. Nach US-Recht müssen sie erst Steuern zahlen, wenn sie im Ausland erwirtschaftete Gewinne repatriieren. Nach europäischem Verständnis werden Gewinne auf Lizenzzahlungen im Land des Firmensitzes versteuert. Durch diesen Unterschied können Steuerzahlungen lange in die Zukunft verschoben werden, was als „Steuerbefreiung“ mißverstanden wird. Amerikanische Politiker sind nervös, weil die Bemühungen der Europäer, amerikanische Konzerne stärker zu besteuern, in ferner Zukunft US-Steuereinnahmen reduzieren werden.

Ähnliche Mißverständnisse gibt es in der Berichterstattung über die „Panama Papers“. Steuern, kriminelle Aktivitäten und legitime Briefkastenfirmen werden vermischt. Natürlich gibt es unversteuertes Einkommen und diverse illegale Aktivitäten, für die Steueroasen genutzt werden. Doch die zugrundeliegenden illegalen Aktivitäten finden nicht auf fernen Inseln statt, sondern direkt im Zuständigkeitsbereich der Strafverfolgungsbehörden. Die sind überlastet, weil sie staatliche Gängelvorschriften durchsetzen müssen wie die Verfolgung von GEZ-Verweigerern, so daß zur Bekämpfung von Schleppern, Einbrechern oder der Drogenmafia keine Zeit bleibt. Natürlich wäre es einfacher, Straftaten zu verfolgen, anstatt umgekehrt aus internationalen Geldflüssen Rückschlüsse auf Straftaten zu ziehen.

Anwälte können Firmen auf fernen Inseln gründen

Daß die Mehrzahl der Briefkastenfirmen legal und legitim ist, offenbart eine wichtige Komponente der Offshoreindustrie, die in den „Panama Papers“ fehlt: die USA. Ostküstenstaat Delaware – lediglich so groß wie der Regierungsbezirk Münster und weniger Einwohner als das Saarland – gilt Kapitalismuskritikern als größtes Steuerparadies der Welt, weil dort besonders viele Briefkastenfirmen registriert sind. Aber die meisten Firmen dort werden nicht aus steuerlichen Gründen genutzt, sondern es sind Zweckgesellschaften. Kein anderer US-Bundesstaat bietet Unternehmen ähnliche Rechtssicherheit wie Delaware mit seiner beispiellosen Zahl von Präzedenzfällen, die im angelsächsischen Gewohnheitsrecht (Common Law) Rechtsgrundlage sind. Rein steuerlich bietet Delaware keine Vorteile.

Die relativ kleine Zahl amerikanischer Kunden von Mossack Fonseca hat natürlich ein Geschmäckle, das die Journalisten des Consortium of Investigative Journalists (ICIJ), die für die Veröffentlichung der gestohlenen Daten verantwortlich sind, in schlechtem Licht präsentiert: ICIJ wird von den US-Demokraten nahestehenden Stiftungen und Organisationen finanziert. Doch auch die nutzen Briefkastenfirmen: Hillary Clinton akzeptierte Spenden über eine Stiftung in Kanada. Obamas Handelsministerin Penny Pritzker stammt aus der Hoteldynastie „Hyatt“, die berüchtigt ist für ihre komplizierten Trusts und Offshoreunternehmen zur Optimierung von Erbschaftssteuern. Sollten etwa den Finanziers des ICIJ politisch nahestehende Personen geschützt werden? Wenn der konservative Premierminister David Cameron unter Druck steht, dann muß das ICIJ sich diese Frage gefallen lassen. 

Nicht nur Wolfgang Schäuble (CDU) fordert nun ein globales „Transparenzregister“, das die Eigentümer aller Unternehmen weltweit erfassen soll. Ein bürokratisches Monster, dessen Sinn fraglich ist. Angesichts der Verschachtelung von Eigentumsverhältnissen wird es schwierig werden, aus diesem Register sinnvolle Informationen zu erhalten. Die Erfahrung aus dem Kauf der Schweizer Daten-CDs zeigt, daß die tatsächlichen Steuereinnahmen weit hinter den Hoffnungen zurückbleiben. Das Bürokratiemonster Transparenzregister dürfte letztlich mehr kosten, als es einbringt.

Auch der Druck auf Panama, dem OECD-Steuerdatenaustausch (AEOI, JF 1/16) beizutreten, wird kaum Auswirkungen haben. Briefkastenfirmen hat die Mossack Fonseca fast überall gegründet und lediglich als Kanzlei agiert. Ein Finanzinformationsaustausch mit Panama könnte dies nicht verhindern, denn er würde Banken betreffen, nicht Anwälte. Die können von überall auf der Welt aus Firmen auf fernen Inseln gründen – oder man hebelt auch das deutsche Anwaltsgeheimnis aus, um dies zu verhindern. 

Die Gefahr der „Panama Papers“-Aufregung besteht darin, daß die Politik sich zu Überreaktionen hinreißen läßt, die dann zu Mehrfachbesteuerung führen wird und letztlich Wachstum und Arbeitsplätzen schadet. Im schlimmsten Fall könnten Regierungen Doppelbesteuerungsabkommen aushebeln.

„Panama Papers“-Auswertung des International Consortium of Investigative Journalists: panamapapers.sueddeutsche.de





Schäubles neuer Zehn-Punkte-Plan

Finanzminister Wolfgang Schäuble will mit einem Zehn-Punkte-Plan auf die „Panama Papers“ reagieren. „Gesellschafter oder Geschäftsführer müssen zu einem regelmäßigen Nachweis verpflichtet werden, welche wirtschaftliche Aktivität ihre Firma entfaltet. Wir brauchen volle Transparenz“, heißt es darin. Notwendig sei ein „Überwachungsmechanismus für den automatischen Informationsaustausch“ beim OECD-Steuerabkommen. Ein weltweites Firmenregister solle „die Hintermänner von Unternehmenskonstruktionen transparenter“ machen. Deutschland führe dieses Register „zeitnah ein“, das „nicht nur neue, sondern auch bestehende Firmen flächendeckend“ erfassen soll. Es sei „nicht hinnehmbar, wenn Steuerhinterzieher auf Straffreiheit durch Verjährung spekulieren können“. Die Verjährungsfrist solle erst dann beginnen, „wenn ein Steuerpflichtiger (bestehenden und neuen) Meldepflichten für Auslandsbeziehungen nachgekommen ist“.

„Aktionsplan gegen Steuerbetrug, trickreiche Steuervermeidung und Geldwäsche“:  www.bundesfinanzministerium.de

Foto: Fotomontage zu den Panama-Enthüllungen: Ein Firmenregister soll die „Hintermänner“ von Unternehmenskonstruktionen transparenter machen