© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/16 / 15. April 2016

Asylansturm als Einstiegsdroge
Fachkräftediskussion: Wirtschaftslobbyisten fordern anhaltende Millionen-Zuwanderung / Nur zehn Prozent aller Flüchtlinge arbeitstauglich
Michael Paulwitz

Darüber, ob es angesichts von 3,7 Millionen Arbeitslosen, Unterbeschäftigten oder in „Maßnahmen“ versteckten Erwerbslosen in Deutschland und fast 22 Millionen Arbeitssuchenden in der EU tatsächlich einen Fachkräftemangel gibt, läßt sich trefflich streiten. Wenn Unternehmer in dem arbeitslosen Millionenheer aber wirklich keine Mitarbeiter finden sollten, dürfte es unter den außereuropäischen Asylzuwanderern noch schwerer werden: Es gebe nur „zehn, 15 Prozent, die sind richtig gut qualifiziert“, verriet Frank-Jürgen Weise, Chef der Bundesagentur für Arbeit, im Deutschlandfunk.

Jährliche Nettozuwanderung von einer halben Million

Das heißt: 90 Prozent sind potentielle Fürsorgeempfänger, und der Flüchtlingszustrom lindert den behaupteten Fachkräftemangel kaum. Das erklärt, warum Unternehmerverbände und Lobby-Institute trotz der Asylkrise die Schleusen für massive Einwanderung auf den deutschen Arbeitsmarkt dauerhaft offenhalten wollen. Gleich mehrere Studien suggerieren wieder einmal einen drohenden „Fachkräftemangel“ und preisen millionenfache Einwanderung als demographisches Allheilmittel.

So will das Prognos-Institut in „Modellrechnungen“ nachweisen, daß allein eine jährliche Nettozuwanderung von einer halben Million Menschen das Erwerbspersonenpotential bis zum Jahr 2040 stabil halten könne. Die Bertelsmann-Stiftung prophezeit einen signifikanten Rückgang des Zuzugs aus anderen EU-Staaten und geht von einem „Zuwanderungsbedarf“ von 276.000 bis 491.000 Personen jährlich aus außereuropäischen „Drittstaaten“ aus. Dabei solle man sich nicht nur um „Hochqualifizierte“ bemühen, sondern auch um solche mit mittlerer Qualifikation.

Weder Asylmigration noch Familienzusammenführung – auf letztere entfielen im Jahr 2014 immerhin fast 40 Prozent der Aufenthaltstitel – sind freilich „gesteuerte“ Zuwanderung, wie das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) einräumt. Bei der „Gewinnung von Fachkräften aus dem Ausland“ könne der starke Zuzug von Flüchtlingen „eine gezielte arbeitsmarktbezogene Fachkräftezuwanderung jedoch nicht ersetzen“. Die Bertelsmann-Studie setzt dennoch unverdrossen auf „verbesserten Arbeitsmarktzugang“, um vom „vergleichsweise hohen Anteil von Asylsuchenden an der Drittstaatenzuwanderung“ zu profitieren. Die Prognos-Forscher schieben die Verantwortung dafür der „Integrationspolitik“ zu und fordern „große Anstrengungen und Investitionen in Bildung und in gezielte Arbeitsmarktintegration“.

Die bisherigen Erfahrungen sind freilich kaum angetan, um den Optimismus von Ökonomen wie Axel Börsch-Supan (JF 10/16) zu stützen, der meint, es komme bei Qualifikation nicht auf „Zertifikate“ an und man müsse nur Hindernisse beim Arbeitsmarktzugang wegräumen und sich bei der Jobvermittlung mehr anstrengen, um binnen weniger Jahre einen Großteil der Asyl-Immigranten zu sozialstaatsstabilisierenden Steuer- und Beitragszahlern zu machen. Was das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zur Qualifikationsstruktur und Arbeitsmarktbeteiligung von Asylberechtigten und Flüchtlingen in Deutschland mitteilt, ist eher alarmierend.

Demnach hat ein Viertel der Iraker, ein Fünftel der Afghanen und ein Sechstel der Syrer überhaupt keine Schule besucht. 13 Prozent der Personen im erwerbsrelevanten Alter seien „nicht qualifiziert“, nur weniger als zehn Prozent „höher qualifiziert“ – wohlgemerkt nach deren eigenen Angaben; da wird schnell ein privater Sprachkurs zum Hochschulbesuch, und Analphabeten hätten sich beim Ausfüllen der Fragebögen eben „helfen lassen“, gibt das BAMF zu.

Das deckt sich mit den Erfahrungen derer, die versucht haben, den „Wir schaffen das!“-Vorsatz in die Tat umzusetzen. Nur ein Drittel der 109 handverlesenen Asylbewerber mit „guter Bleibeperspektive“, überdurchschnittlicher Qualifikation und beruflichen Vorkenntnissen, die die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (VBW) in ein neunmonatiges Trainingsprogramm aufgenommen hat, bekam letztlich einen zeitlich befristeten Arbeitsvertrag. Bei Ausgaben von 10.000 Euro pro Teilnehmer kostete jeder Job also 30.000 Euro. Die VBW rechnet damit, daß „kurzfristig nur für weniger als zehn Prozent aller Flüchtlinge die Integration in den Arbeitsmarkt möglich ist“.

Daß Unternehmer, die im globalen Wettbewerb stehen, keinen Bedarf an Ungelernten und Unqualifizierten haben, ist klar. Doch die millionenfache Einwanderung Geringqualifizierter läuft der seit langem laufenden Entwicklung zu weniger, aber anspruchsvollen und hochproduktiven Arbeitsplätzen zuwider. Sie konterkariert auch das Ziel, die Sozialsysteme durch Einwanderung zu stabilisieren. Der Widerspruch läßt sich weder ohne Faktenbasis à la Börsch-Supan wegwischen, noch durch vage Hinweise auf „humanitäre Verpflichtungen“ (Prognos) oder „ausführliche“ Diskussionen über Zuwanderung (Bertelsmann) auflösen: Auch wer Zuwanderung rein ökonomisch betrachtet, muß ein sofortiges Ende der ungeregelten Asyl-Immigration fordern.

„Prognos Trendletter“ (4/16): www.prognos.com

Bertelsmann-Studie „Zuwanderungsbedarf aus Drittstaaten in Deutschland bis 2050:  www.bertelsmann-stiftung.de