© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/16 / 15. April 2016

Ein flaues Gefühl in der Magengegend
Philippinen: Tolle Strände, wunderschöne Natur – doch der Terror von Abu Sayyaf legt seine Schatten auf die Idylle / Geiselnahmen als lukratives Geschäft
Hinrich Rohbohm

Der Mann ist pünktlich. „Herzlich willkommen auf den Philippinen“, begrüßt ein sportlich gekleideter junger Mann mit Kurzhaarschnitt und Sonnenbrille die JF mit strahlendem Lächeln und festem Händedruck. Er stellt sich als Karim vor, sagt aber auch, daß dies nicht sein richtiger Name sei. Karim hat gute Gründe dafür, seine wahre Identität zu verbergen.

Seine Heimat ist die Insel Basilan in der Sulusee, nahe der Stadt Zamboanga im äußersten Süden der Philippinen, nicht weit von der Küste Malaysias entfernt. Basilan gilt als Hochburg der Islamisten. Den Abu-Sayyaf-Terroristen dient das 250.000 Einwohner zählende Eiland als Rückzugsort und Operationszentrum. 

Wenn sie herausbekommen, daß ich rede, bin ich tot

Karim, selbst sunnitischer Moslem, verbrachte hier seine Jugend. Er bekam mit, wie Waffen auf die Insel geschafft wurden. Wie Dorfbewohner über Geiseln sprachen, die auf Basilan zeitweise versteckt wurden. Geiseln, die der Organisation viel Geld einbrachten. Ein führender Kommandant der Terrororganisation lebte in seiner unmittelbaren Nachbarschaft.

Seit einem Jahr studiert Karim Wirtschaftswissenschaften in Cebu City, einer 900.000-Einwohner-Metropole, 400 Kilometer nördlich von Zamboanga gelegen. An welcher Universität, will er nicht verraten. Aus Angst, religiöse Fanatiker könnten seine Identität doch herausfinden und seiner auf Basilan lebenden Familie etwas antun.

Wir treffen uns im IT Park, einer Art Silicon Valley der Stadt mit einem Pulk aus Bürotürmen aus Glas und Beton, umsäumt von einigen kleinen Gartenabschnitten mit Palmen und Rasen sowie Cafés und Restaurants. Zahlreiche Firmen der Informationstechnologie residieren hier. Es ist der erste Anlaufpunkt für die vielen Studenten der Universitätsstadt, die herkommen, um für erste Jobs anzuheuern.

„Ein sicherer Ort“, sagt Karim. „Gut zum Reden.“ Etwas verlegen rührt er in seinem Kaffee. Er trinkt ihn schwarz und stark, mit wenig Zucker. Es ist, als wüßte er nicht recht, wie er mit dem beginnen soll, was er zu erzählen hat. Dann nimmt er seine Sonnenbrille ab und das jungenhafte Lächeln verwandelt sich in einen ernsten, besorgten Gesichtsausdruck.  „Wenn sie zu Hause herausbekommen, daß ich mit dir rede, bin ich tot“, verdeutlicht er mit eindringlichem Blick die Brisanz des Treffens, das auf Vermittlung eines philippinischen Journalisten zustande gekommen ist.

Ein Treffen, das er in seinem Heimatort abgelehnt hätte, wie er sagt. „Das wäre glatter Selbstmord.“ Aber hier, in der Anonymität der Großstadt, zwischen Callcentern und Internetfirmen will er trotzdem über die Abu Sayyaf-Terroristen und ihre Netzwerke reden. „Diese Leute bringen unseren Glauben in Verruf. Sie sagen, es geht ihnen um Autonomie und Unabhängigkeit. Aber in Wirklichkeit versorgen sie Organisationen wie al-Qaida und den IS mit Geld und Kämpfern.“

„Abu Sayyaf verdient sein Geld hauptsächlich durch Geiselnahmen und Drogenhandel. Aber sie unterstützen damit immer stärker den IS und weniger den Kampf um Unabhängigkeit.“ Was Karim besonders wütend macht, ist der schlechte Ruf, der seiner Heimatregion durch die Aktivitäten der Terroristen vorauseilt. „Dabei haben wir tolle Strände, Wasserfälle und eine wunderschöne Natur. Wäre der Terror nicht, würde der Tourismus bei uns boomen.“ So aber würden Hotelbetreiber die Insel meiden und Reiseveranstalter schärfstens von einem Besuch abraten. „Wer will sich schon der Gefahr einer Entführung aussetzen?“ zeigt Karim Verständnis für die Reaktionen.

Zudem sei Basilan ein Anbau- und Umschlagsort für den gut organisierten Drogenhandel geworden – neben den Entführungen die Haupteinnahmequelle der Abu Sayyaf. Immer wieder kämen Schiffe in Basilan an, die Heroin aus dem Norden transportieren. Die Rauschmittel stammen zumeist aus dem Goldenen Dreieck, dem Grenzgebiet zwischen den Staaten Laos, Thailand und Myanmar. Zudem werde im entlegenen bergigen Hinterland der Insel verstärkt Marihuana angebaut, anschließend nach Zamboanga verschifft und von dort in die einzelnen Städte und Regionen Mindanaos weiter vertrieben.

Für den Vertrieb würden vor allem kriminelle ausländische Motorradbanden sorgen, die von Cebu aus operieren und die Vertriebswege weitgehend unter ihre Kontrolle gebracht hätten. 

Dealer sind in der Stadt schnell gefunden, zu groß ist hier die Armut. Bürgermeister und die örtliche Polizei von Basilan hätten auf diese Entwicklungen schon seit längerem aufmerksam gemacht. „Aber bei den übergeordneten Behörden laufen ihre Warnungen ins Leere.“  

Für die Logistik außerhalb der Philippinen würden internationale Drogensyndikate sorgen, die eng mit Abu Sayyaf zusammenarbeiten. „Auf den Philippinen wird Basilan inzwischen auch ‘Klein-Kolumbien’ genannt“, sagt Karim. Gelegentlich gingen Spezialeinheiten der philippinischen Streitkräfte gegen Abu Sayyaf vor. „Dann kommt es auf der Insel zu heftigen Schießereien. Aber bisher konnte sich Abu Sayyaf immer behaupten.“ 

Wohlhabende Ausländer als beliebtes Entführungsziel

Erst im Oktober hatten die Terroristen ein sechs Jahre altes Mädchen – die Tochter eines Briten und einer Filipina – auf der Insel entführt. Die Terrororganisation konnte in den vergangenen Jahren ihr Operationsgebiet sogar ausbauen, die Zusammenarbeit konkurrierender Terrorgruppen ist intensiver und koordinierter geworden. 

So kam es seit Herbst vergangenen Jahres auch in bis dato als sicher geltenden Städten wie Davao oder Dipolog zu Entführungen. Bereits am 21. September enterten bewaffnete Täter eine Yacht in der Marina des Urlaubsresorts Oceanview auf der Insel Samal bei Davao, kidnappten einen Norweger, zwei Kanadier und eine Filipina. Zwei Wochen später überfielen sie einen ehemaligen christlichen Missionar aus Italien, entführten ihn aus seiner Pizzeria in Dipolog City und brachten ihn mit Waffengewalt auf die Insel Jolo, ein weiteres Zentrum der Abu Sayyaf.

Vergangenen November enthaupteten sie die malaysische Geisel Bernard Then auf Jolo, nachdem die Terrororganisation kein Lösegeld erhielt. Sie hatte ihr Opfer sechs Monate zuvor in der malaysischen Provinz Sandakan auf der Insel Borneo entführt. Ebenso köpfte sie einen Dorfvorsteher auf der südphilippinischen Insel Mindanao, dessen Familie es auch nicht schaffte, das geforderte Lösegeld aufzubringen.

„Bisher war nur der östliche Teil Mindanaos gefährlich. Aber jetzt operieren sie auch im Westen und auf den nördlicheren Inseln“, meint Karim. Selbst auf der äußerst populären Touristeninsel Boracay, dem Sylt der Philippinen, habe Abu Sayyaf bereits zugeschlagen. Dabei dienten vor allem wohlhabende Ausländer als bevorzugtes Entführungsziel.

So auch in der Hafen- und Universitätsstadt Dumaguete im Osten der nördlich von Mindanao gelegenen Insel Negros. Erst kürzlich sei hier ein Brite entführt worden, erzählen sie. Die Stadt ist bekannt für die zahlreichen Ruheständler aus Europa, die sich gerade hier niedergelassen haben, weil das Klima milder ist und die Hitze erträglicher. Auch ein holländischer Ingenieur, den sie alle „Dick“ nennen, hat sich hier zur Ruhe gesetzt. 

Der 69jährige hatte während eines Arbeitseinsatzes auf den Philippinen seine Frau kennengelernt. Nachdem er in Rente ging, ist er mit ihr nach Negros gezogen. Jeden Abend macht er seinen Spaziergang an der Uferpromenade der Stadt. Auf die Entführungen angesprochen, wird er nachdenklich und kratzt sich an seinem grauen Vollbart.

„Da kriegt man manchmal schon ein flaues Gefühl in der Magengegend“, meint er. Aber dann macht er mit der Hand eine wegwerfende Geste. „Was ist denn in Europa? Paris, Madrid und so weiter? Da kannst du auch Pech haben, wir wir gesehen haben. In meinem Land hat es sogar tödliche Anschläge auf Politiker gegeben.“ Die Entführungsfälle sind für ihn trotzdem immer noch Ausnahmen, die Leute fast alle friedlich. „Man sollte es natürlich nicht drauf anlegen.“ Auf eigene Faust in entlegene Regionen gehe auch er nicht, und Ostmindanao meide er ganz, auch wenn die Städte kaum Gefahr böten.

In Deutschland hatte Abu Sayyaf erstmals durch die Entführung der Göttinger Familie Wallert für erhöhte Aufmerksamkeit in den Medien gesorgt. Die Familie war gemeinsam mit 19 weiteren Touristen am 23. April 2000 – einem Ostersonntag – auf der malaysischen Insel Sipadan in der Nähe von Borneo in die Gewalt der Entführer geraten und nach Jolo verschleppt worden.

„Wir wollen nicht freigekauft werden“

Auf Vermittlung des damaligen Bundesaußenministers Joseph Fischer soll der einstige libysche Diktator Muammar al-Gaddafi 25 Millionen US-Dollar Lösegeld an Abu Sayyaf gezahlt haben. Im Gegenzug wurde Libyen die Befreiung aus der internationalen Isolation ermöglicht, in der sich das Regime nach dem von ihm maßgeblich mitbewirkten Terroranschlag von Lockerbie befunden hatte. Fragen zu möglichen Lösegeldzahlungen seitens der Bundesregierung ließ das Ministerium seinerzeit erwartungsgemäß unbeantwortet.

Im April 2014 war ein 72 Jahre alter Deutscher aus dem Rheingau gemeinsam mit seiner 55 Jahre alten Lebensgefährtin durch Abu-Sayyaf-Terroristen von seiner Yacht entführt und ebenfalls nach Jolo verschleppt worden. Dem Paar war mit Enthauptung gedroht worden, sollte die Lösegeldforderung von 4,4 Millionen Euro nicht gezahlt werden. „Nicht mehr und nicht weniger“, habe man erhalten, hatte ein Abu-Sayyaf-Sprecher erklärt, nachdem die Terroristen die Geiseln sechs Monate später wieder freigelassen hatten.

„Früher hatte es immer geheißen, mit Terroristen verhandeln wir nicht, heute geben unsere Regierungen klein bei“, schimpft Dick. Natürlich rette das Geld den Betroffenen das Leben. „Aber genau durch das gezahlte Geld wird doch noch größeres Unheil angerichtet. Noch mehr Menschen müssen sterben, weil unsere Regierungen den Terror durch solche Zahlungen füttern.“ Seine Frau und er selbst hätten schon seit längerem eine Entscheidung getroffen. „Sollte man uns entführen, wollen wir nicht freigekauft werden. Wir sind alt und haben schon unseren letzten Lebensabschnitt erreicht. Wir wollen nicht, daß Unschuldige später mit Hilfe des Geldes getötet werden, das unserer Freilassung diente.“