© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/16 / 15. April 2016

Prostitution in Marrakesch
Heilige und Hure: „Much Loved“ von Nabil Ayouch
Claus-M. Wolfschlag

Much Loved“ ist weder eine Tragödie noch ein romantisierender Film. Er schildert das Leben dreier Prostituierter in Marrakesch undramatisch, ungeschönt, nüchtern. Die Exzesse um Alkohol, Gaunereien und Sex finden in einer islamisch geprägten Gesellschaft statt, in der Prostitution von Frauen einerseits verpönt ist, andererseits aber geduldet wird. Die Freier stammen oft aus anderen arabischen wie europäischen Ländern. Alles findet unter den Augen korrupter Polizisten statt, die die Frauen unter Druck setzen, sich aber mit Geld und Gefälligkeiten besänftigen lassen.

Europa ist eine Verheißung

Noha (Loubna Abidar) besucht, ernst und züchtig mit Kopftuch bekleidet, regelmäßig ihre arme Familie, um sie finanziell zu unterstützen. Gedankt wird es ihr nicht. Die arbeitslosen Geschwister glotzen demonstrativ auf ihre Handys und Laptops. Die alte Mutter gibt ihr schließlich zu verstehen, daß die Nachbarn tuscheln würden, Noha sich deshalb nicht mehr blicken lassen solle. Ein privates Verhältnis unterhält Noha zu einem älteren Europäer, der ihr seine Liebe gesteht, aber verheiratet ist.

Auch Soukaina (Halima Karaouane) unterhält eine lose private Partnerschaft zu einem mittellosen alten Freund, dem sie gelegentlich etwas Geld zusteckt. Nachdem sie auf dem Laptop eines saudi-arabischen Kunden schwule Pornobilder entdeckt, kommt es zum Streit, und Soukaina wird von dem reichen Freier verprügelt.

Randa (Asmaa Lazrak) ist Anfängerin im Gewerbe, entdeckt dabei ihre lesbischen Neigungen. Ihre eigentliche Sehnsucht aber ist Spanien, wo ihr ausgewanderter Vater leben soll. Europa ist ihr eine Verheißung für ein Leben in einer freien Gesellschaft. Vulgäre Unterhaltungen wechseln mit ausgelassenen Partyszenen. Der häusliche Schlafanzug steht im Kontrast zum schicken Styling am Abend. Zärtlichkeiten der Frauen untereinander weichen bisweilen dem explosiven Streit um Nichtigkeiten.

Regisseur Nabil Ayouch äußerte zu der Aufregung, die sein Film in Marokko hervorrief, daß er nicht provozieren, aber die gesellschaftliche Diskussion vorantreiben wolle. Für Europäer dürfte der Blick hinter die Fassade des Prostituiertenlebens interessant sein: angebetete Heilige und verachtete Hure, zugleich in Gossensprache lästernd wie sehnsuchtsvoll davon träumend, geheiratet zu werden.