© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/16 / 15. April 2016

Schauprozeßstelle der furchtbaren Juristen
Vor 80 Jahren: Umwandlung des Volksgerichtshofs in ein „ordentliches Gericht“
Björn Schumacher

Mit Gesetz vom 18. April 1936 ließ Hitler den zwei Jahre zuvor gegründeten Volksgerichtshof (VGH) in ein „ordentliches Gericht“ umwandeln. Es war der perfekte Widerspruch, denn eine ordentliche Gerichtsbarkeit – mit unabhängigen Richtern – gab es an dieser Berliner Rechtsinstanz zu keiner Zeit. Ebenso fragwürdig wäre die Annahme, der „Volks“gerichtshof habe dem Volk dienen sollen. Neben der Bekämpfung politischer Gegner bezweckte er vor allem die Einschüchterung der pathetisch beschworenen Volksgemeinschaft.

Ein politisches Tribunal zur Stabilisierung einer künftigen NS-Herrschaft hatte Hitler schon in den zwanziger Jahren gefordert. Er realisierte diesen Plan, nachdem das in Leipzig ansässige Reichsgericht führende Kommunisten vom Vorwurf der Mittäterschaft am Reichstagsbrand freigesprochen hatte. Umgehend wurde dem Reichsgericht die Zuständigkeit für Hoch- und Landesverrat entzogen und dem VGH übertragen. In dessen Aufgabenbereich fielen auch spätere NS-spezifische Tatbestände wie „Wehrkraftzersetzung“, „Wehrmittelbeschädigung“ oder das „Abhören von Feindsendern“.

Die anfänglich drei, später sechs Senate des VGH bestanden aus je fünf Richtern, darunter drei Laienrichtern aus SS, Wehrmacht, Polizei und Ministerialbürokratie mit „besonderen Erfahrungen auf dem Gebiet der Abwehr staatsfeindlicher Angriffe“. VGH-Urteile erlangten ohne Berufungs- oder Revisionsmöglichkeit sofortige Rechtskraft. Rechtsstaatliche Verteidigungsrechte wie die freie Wahl eines Anwalts waren nicht gewährleistet. 

Die meist in Berlin, aber auch anderen Städten des Reichs stattfindenden Verfahren mutierten zu Schauprozessen. VGH-Präsident Roland Freisler (1942 bis 1945) brüllte die Angeklagten an und warf mit Gesetzestexten nach ihnen. Des Hochverrats angeklagte Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 wurden von ihm als „schäbiger Lump“ (General Ulrich Wilhelm Graf Schwerin von Schwanenfeld) und „schmutziger alter Mann“ (General Erwin von Witzleben) verhöhnt.

Zuvor hatte Hitler die Richter angewiesen, den Widerstandskämpfern keine lange Redezeit einzuräumen und die von ihm geforderten Todesurteile binnen zwei Stunden vollstrecken zu lassen. Auch andere Partei-größen wie Reinhard Heydrich und Joseph Goebbels mischten sich in VGH-Verfahren ein. Zwei spektakuläre Prozesse gegen die Mitglieder der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ endeten Anfang 1943 mit sechs Todesurteilen wegen „Wehrkraftzersetzung“, „Feindbegünstigung“ und „Vorbereitung zum Hochverrat“. 

Insgesamt urteilte Hitlers Sondergericht über 16.000 Personen und verhängte gegen mehr als 5.200 die Todesstrafe. Die meisten Urteile betrafen einfache Volksgenossen, die politische Witze gerissen, „Feindsender abgehört“ oder sich abfällig über NS-Größen geäußert hatten. Herausgegriffen sei das Schicksal des Esseners Peter Jügel, der im Familienkreis das Scheitern des Stauffenberg-Attentats bedauert hatte: „Wäre der Lump doch dabei umgekommen, hätten wir längst Frieden.“ Vom eigenen dreizehnjährigen Sohn denunziert, wurde Jügel von der Gestapo ins Essener Gefängnis verbracht, wo er kurz vor der Überstellung an den Volksgerichtshof durch eine Fliegerbombe starb. Der Vorfall offenbart den brutalen Zangengriff aus Polizei- und Justizterror einerseits sowie alliiertem Bombenterror in den letzten Kriegsjahren andererseits.

Mangelhafte Aufarbeitung in der Bundesrepublik

Auch Roland Freisler fand bei einem Luftangriff den Tod – am 3. Februar 1945 im VGH-Gebäude in Berlin-Schöneberg, das dabei weitgehend zerstört und einige Jahre später abgerissen wurde. Seine Richterkollegen wurden, wie alle Juristen, 1945 im Zuge alliierter Kontrollratsgesetze aus dem Staatsdienst entlassen. Anders als in der DDR kam es in Justiz und Verwaltung der westlichen Besatzungszonen und späteren Bundesrepublik Deutschland zu zahlreichen Wiedereinstellungen dieser Juristen.

Dazu passend wurde in der Bundesrepublik kein einziger Richter wegen seiner VGH-Tätigkeit rechtskräftig verurteilt. Freislers Beisitzer Hans-Joachim Rehse sprach der Bundesgerichtshof am 30. April 1968 vom Vorwurf (richterlicher) Rechtsbeugung nach Paragraph 351 Strafgesetzbuch Deutsches Reich, in Tateinheit mit Beihilfe zum Mord in mehreren Fällen frei. Er bewertete die willkürliche Auslegung der Begriffe Hoch- und Landesverrat durch Freislers Senat nicht als „elementaren Verstoß gegen die Rechtspflege“.

Der Bundesgerichtshof prüfte auch nur vage, ob NS-spezifisches Strafrecht („Wehrkraftzersetzung“ usw.) wegen eines „unerträglichen Widerspruchs zur Gerechtigkeit“ zu keiner Zeit geltendes Recht und daher für die NS-Justiz unverbindlich gewesen ist. Diese Lösung hätte der „Radbruchschen Formel“ entsprochen, einer Normgeltungslehre des Rechtsphilosophen und Strafrechtlers Gustav Radbruch (1878–1949), die Bundesgerichtshof und Bundesverfassungsgericht bei der Aufarbeitung von NS-Unrecht sonst regelmäßig herangezogen haben.  

Der uneinheitliche Umgang der bundesdeutschen Rechtsprechung mit der NS-Vergangenheit war Thema einer vielbeachteten Studie des Historikers Jörg Friedrich („Freispruch für die Nazi-Justiz“, 1983).