© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/16 / 15. April 2016

Sagenhafte Kooperationen
Der SS-Offizier Otto Skorzeny soll laut Mossad-Akten nach 1945 als Auftragsmörder aktiv gewesen sein
Wolfgang Kaufmann

Daß sich der israelische Auslandsgeheimdienst Mosad Merkazi le Modi ín ule Tafkidim Meyuhadim (Institut für Aufklärung und besondere Aufgaben), kurz Mossad genannt, oftmals auch unorthodoxer Methoden bedient, wenn es um die Durchsetzung der Interessen des jüdischen Staates geht, ist hinlänglich bekannt. Man denke nur an die Enthüllungen des ehemaligen Mossad-Agenten Victor Ostrovsky. 

Doch nun berichtete das Journalistenduo Dan Raviv und Yossi Melman am 27. März in der als seriös geltenden Tel Aviver Tageszeitung Haaretz sowie dem US-Nachrichtenportal Forward von einem Vorgang, der schier unglaublich ist und nur als Tabubruch bezeichnet werden kann – wenn das Ganze denn stimmt: Um zu verhindern, daß emigrierte frühere Mitarbeiter der Hitlerschen Wunderwaffenschmiede Peenemünde das geheime Raketenentwicklungsprogramm Ägyptens vorantreiben, sei der Mossad auf die Idee verfallen, den ehemaligen SS-Obersturmbannführer und bekannten Kommando-Soldaten Otto Skorzeny mit der Liquidierung des deutschen Wissenschaftlers und Rüstungsunternehmers Heinz Krug zu beauftragen. Dabei hätten sich folgende Personen an der Indienstnahme des hochdekorierten Haudegens beteiligt: Isser Harel, der seinerzeitige Direktor des Mossad, Zvi Peter Malkin und Rafi Eitan, zwei der Entführer von Adolf Eichmann, der oberste Mossad-Agent in Deutschland Josef Raanan sowie der Chef der Abteilung für Spezialoperationen und spätere israelische Ministerpräsident Jitzchak Schamir.

Otto Skorzeny litt unter massiver Geltungssucht

Als Motiv für Skorzenys Kooperation mit den jüdischen Geheimdienstlern nennt der Beitrag dessen Wunsch, von der Kriegsverbrecher-Fahndungsliste Simon Wiesenthals gestrichen zu werden – was der Nazi-Jäger allerdings verweigerte, weswegen der Mossad dann einfach eine entsprechende Zusage Wiesenthals fingierte. Ebenso wissen Raviv und Melman, die ihre Informationen angeblich von ehemaligen Mitarbeitern des Mossad und weiteren Geheimnisträgern erhielten, auch ganz genau, warum Krug dann am 11. September 1962 in die von Skorzeny gestellte Falle tappte: Weil der Raketenfachmann ahnte, daß ihm Agenten des jüdischen Staates auf den Fersen waren, bat er den populären SS-Veteranen um Schutz – eine tödliche Fehleinschätzung der Situation, denn so kam sein Mörder überhaupt erst an ihn heran. Nach der Erschießung von Krug soll der frühere Liebling des „Führers“ dann außerdem noch diverse, vom Mossad gefertigte Briefbomben innerhalb Ägyptens verschickt haben, von denen eine Ende November 1962 in der Militärbasis 333 in Heluan explodierte und fünf Arbeiter tötete.

Natürlich griffen die Medien hierzulande die Geschichte begierig auf. So titelte beispielsweise die Zeit am 7. April: „Der Mossad brauchte einen Nazi“. Dabei gibt der Artikel jedoch zu erheblichen Zweifeln Anlaß, die sich aus bestimmten Textdetails sowie der Persönlichkeit und dem Werdegang des angeblichen „Mossad-Killers“ speisen.

Otto Skorzeny, der am 12. Juni 1908 in Wien geboren worden war, absolvierte zunächst ein Ingenieursstudium, in dessen Verlauf er 13 Mensuren focht, welche ihm seine markanten Schmisse eintrugen, aufgrund derer er von den Alliierten den Spitznamen „Scarface“ (Narbengesicht) bekam. 

Späterhin konnte der begeisterte Nationalsozialist und Hobby-Rennfahrer aus begütertem Elternhaus durch persönliche Kontakte zu Ernst Kaltenbrunner, der ebenfalls aus Österreich stammte und in Nachfolge des ermordeten Reinhard Heydrich zum Chef des Reichssicherheitshauptamtes sowie der Sicherheitspolizei und des SD aufstieg, beim Auslandsgeheimdienst der SS reüssieren. In diesem Zusammenhang erhielt Skorzeny im April 1943 den Auftrag zur Aufstellung des „Sonderverbandes z.b.V. Frieden-thal“, dessen Aufgabe darin bestand, ähnliche gewagte Kommandounternehmen durchzuführen wie die britische Special Operations Executive (SOE), womit die neue SS-Truppe in direkte Konkurrenz zur Division „Brandenburg“ des Amtes Ausland/Abwehr der Wehrmacht trat.

Mit 16 Angehörigen dieses Sonderverbandes begleitete der nunmehrige Hauptsturmführer in mehr oder weniger beobachtender Mission das „Unternehmen Eiche“. Ziel dieser Aktion, welche am 12. September 1943 von zwei Kompanien des Fallschirmjäger-Lehrbataillons unter Major Harald Mors durchgeführt wurde, war die Befreiung des gestürzten italienischen Diktators Benito Mussolini aus dem Arrest im Hotel „Campo Imperatore“ am Gran Sasso d’Italia inmitten der Abruzzen. Hierbei gelang es Skorzeny, den Eindruck zu erwecken, maßgeblich zum Erfolg der von der Luftwaffe geplanten Operation beigetragen zu haben. Deshalb avancierte er flugs zum Sturmbannführer, wonach ihm Hitler höchstpersönlich das Ritterkreuz in die Hand drückte. 

Er war eher ungeeignet für heikle Mossad-Missionen 

Ebenso beteiligte sich Skorzeny an der Gefangennahme einiger Verschwörer des 20. Juli 1944, kam da aber gleichfalls erst zum Zuge, als praktisch schon alles vorbei war. Knapp drei Monate später wiederum startete der Österreicher dann das „Unternehmen Panzerfaust“, dessen Vorbereitung freilich in den Händen seines Stellvertreters Karl Radl gelegen hatte. Im Verlauf dieser Operation stürmte Skorzeny mit Teilen des SS-Fallschirmjäger-Bataillons 600 die wichtigsten Regierungsgebäude in Budapest, was zum Sturz des ungarischen Reichsverwesers Admiral Miklós Horthy führte, der einen Waffenstillstand mit der Anti-Hitler-Koalition schließen wollte.

Dann leitete Skorzeny das „Unternehmen Greif“ im Rahmen der Ardennenoffensive, welche im Dezember 1944 anlief. Diesmal unterstanden ihm um die 2.700 Mann, die in amerikanischen Uniformen hinter den feindlichen Linien agieren und Verwirrung stiften sollten, was allerdings nur ansatzweise gelang. Dennoch verbreitete sich auf gegnerischer Seite das Gerücht, Skorzeny wolle den alliierten Oberbefehlshaber und Fünfsternegeneral Dwight D. Eisenhower kidnappen oder töten, woraufhin das „Narbengesicht“ zum „gefährlichsten Mann Europas“ erklärt wurde.

Anschließend kämpfte Skorzeny im Brückenkopf von Schwedt an der Oder, verließ diesen dann aber am 28. Februar 1945, also drei Tage vor dessen Aufgabe, wonach er sich – nunmehr als SS-Obersturmbannführer und Träger des Deutschen Kreuzes in Gold sowie des Eichenlaubs zum Ritterkreuz – unter dem Decknamen Rolf Steinbauer in die „Alpenfestung“ absetzte. Dort geriet der Österreicher in amerikanische Gefangenschaft. Es folgte 1947 ein Prozeß wegen angeblicher Kriegsverbrechen, der mit Freispruch endete, weil die alliierten Kommandotruppen bekanntlich ganz genauso agiert hatten wie Skorzeny. Anschließend drohte ein erneutes Verfahren seitens der deutschen Justiz, dem sich der ehemalige SS-Offizier durch Flucht entzog – zunächst in Richtung Argentinien und später ins franquistische Spanien, wo er fast sein ganzes restliches Leben verbrachte.

Skorzeny war also keineswegs das militärische oder geheimdienstliche Genie, zu dem er allerorten hochstilisiert wurde, was der Mossad sicherlich wußte. Dazu kamen gravierende persönliche Schwächen: Er zeigte seit dem Eintritt in die Wiener Burschenschaft Markomannia einen ausgeprägten Hang zum Alkohol; darüber hinaus galt der dreimal verheiratete 1,96-Meter-Hühne als notorischer Schürzenjäger. Ebenso litt Skorzeny unter massiver Geltungssucht, was er unter anderem im Zusammenhang mit der Mussolini-Befreiung unter Beweis gestellt hatte. Er mußte sich permanent in den Vordergrund drängen und über die vollbrachten „Heldentaten“ schwadronieren. Das alles minderte natürlich seine Eignung für heikle Missionen im Dienste des Mossad, die nicht publik werden durften, ganz erheblich.

Doch das ist nur ein Grund, den Angaben von Raviv und Melman zu mißtrauen. Mindestens genauso verdächtig sind diverse Ungereimtheiten im Artikel selbst. Beispielsweise kann der promovierte Jurist Krug weder vor noch nach 1945 Raketenwissenschaftler gewesen sein. Darüber hinaus verschweigt das Autorenduo, daß der Mossad über genügend andere Agenten verfügte, die sich um die deutschen Waffenkonstrukteure in Ägypten „kümmerten“. Hierzu gehörten unter anderem Wolfgang Lotz, Otto Joklik und Joseph Ben-Gal. Wozu also noch den hochbelasteten, weithin bekannten und somit überall hervorstechenden Skorzeny ins Boot holen?

Und dann sind da noch die beiden Passagen in dem Haaretz-Artikel, in denen geschildert wird, wie das „Narbengesicht“ auf Betreiben der Israelis die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem besichtigte und dafür dann später, nach seinem Tod am 5. Juli 1975 infolge von Lungenkrebs, vom Mossad-Agenten Raanan in Madrid zur letzten Ruhe geleitet wurde. Hier riecht die Story nun wirklich deutlich nach Kolportage!