© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/16 / 22. April 2016

Das rote Elend
SPD: Die Zeiten als große Volkspartei der linken Mitte sind endgültig vorbei
Markus Brandstetter

Wären am nächsten Sonntag Bundestagswahlen, dann würde die SPD weniger als 20 Prozent der Wählerstimmen erhalten. Das ist der niedrigste Wert seit Gründung der Bundesrepublik und für eine Partei, die 1972 fast 46 Prozent der Wählerstimmen auf sich vereinigen konnte, bei fünf Bundestagswahlen über 40 Prozent rangierte und ansonsten jahrzehntelang deutlich über 30 Prozent gelegen hatte, eine Katastrophe. 

Die SPD ist dabei, von der großen Volkspartei, die den politischen Willen einer breiten Volksmitte repräsentiert, zu einer Nebenpartei zu werden, die die Interessen von Rentnern, Gewerkschaftern und den im Ruhrgebiet, im Saarland und den Stadtstaaten liegenden Inseln der letzten echten Arbeiter vertritt.

Die Aufregung und der Jammer sowohl innerhalb der SPD als auch beim Spiegel, bei der Süddeutschen Zeitung und der Zeit sind nun groß, weil erstens keiner weiß, warum die SPD in der Wählergunst derart massiv abgestürzt ist, und zweitens all die klugen Köpfe in der Partei ebenso wie ihre journalistischen Steigbügelhalter nicht wissen, was sie dagegen tun können. Stumm, starr und betäubt stieren dieselben Leute, die noch den kleinsten Splitter im Auge des politischen Gegners erkennen, am Balken vor den eigenen Augen vorbei und beschäftigen sich hektisch und kopflos mit Symptomen, anstatt nach den Ursachen zu forschen. Dabei liegen diese in Wahrheit doch auf der Hand.

Die größte und wichtigste Ursache für den Bedeutungsverlust der SPD ist der Linksruck der CDU. In nur fünf Jahren hat Angela Merkel in einem Coup von oben, der aus drei massiven Handstreichen bestand, nämlich dem Ausstieg aus der Kernenergie und der Energiewende, der Zustimmung zu den Griechenland-Hilfen und endlich der Heraufbeschwörung der Flüchtlingskrise, den Genossen den linken Wind aus sämtlichen Segeln genommen. Vermutlich für immer, denn es gibt keinen Hinweis darauf, daß die CDU jemals wieder zu ihren christlich-bürgerlich-konservativen Wurzeln zurückkehren wird. 

Die CDU hat die SPD links überholt und ist inzwischen mit den Grünen ideologisch fast gleichgezogen, was der eigentliche Grund dafür ist, daß die Christdemokraten in Wahrheit null Probleme damit haben, mit den Grünen zu koalieren. 

Angela Merkel hat auf eine ebenso spektakuläre wie rücksichtslose Weise die SPD überflüssig gemacht, was der kaum noch Luft zum Atmen läßt. Wer einen Beweis braucht, der erinnere sich daran, wie der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise in seinem üblichen Schlingerkurs kurzzeitig für Obergrenzen eintrat, sich in seiner Not also klar rechts von Merkel positionierte.Hinter diesem großen Grund treten all die anderen Ursachen, die Kommentatoren, Jusos und die Spitzen der SPD selbst ausmachen, vollkommen zurück.

Ja, es könnte sein, daß ein deutlich hellerer Mensch als Sigmar Gabriel früher gemerkt hätte, auf welche Reise in die politische Unterwelt ihn seine Regierungschefin und Koalitionspartnerin da eigentlich mitnimmt, doch ist es fraglich, ob selbst ein alerter, intelligenter und mit allen Wassern der Machtpolitik gewaschener Stratege wie zum Beispiel Helmut Schmidt Merkel viel entgegenzusetzen gehabt hätte. Denn mit einem solch dramatischen und vollkommen unverantwortlichen Linksruck, wie ihn die Union vorgenommen hat, konnte kaum ein Mensch rechnen. Und selbst wenn: Was hätte ein SPD-Vorsitzender schon viel dagegen ausrichten können? 

Es ist also falsch, die Schuld allein bei Sigmar Gabriel zu suchen. Ebenso falsch ist es, anzunehmen, daß alles wieder in Butter wäre, wenn Gabriel nur erst durch einen anderen ersetzt ist, sagen wir den Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz. 

Denn es gibt noch einen zweiten, strukturellen Grund für den Bedeutungsverlust der SPD – und den hätte eine intelligente und dynamische Parteispitze, wäre sie weniger sklerotisch, sehr wohl erkennen können. Dieser Grund ist das Verschwinden des traditionell sozialdemokratischen Milieus der Arbeiter, Gewerkschafter und des bürgerlichen Mittelstandes, der im Leben aufsteigen will. Echte Arbeiter, die sich als eine Klasse fühlen, gibt es fast gar keine mehr, die Gewerkschaften verlieren seit Jahren ebenso an Bedeutung wie sie Mitglieder einbüßen, und das links angehauchte Bürgertum mit Abitur und Studium wählt längst grün. Daß diese Entwicklung ein europaweiter Trend ist, die Sozialdemokraten in Skandinavien, Spanien, Großbritannien und Frankreich also vergleichbar bescheiden dastehen, wird nur Zynikern ein Trost sein.

Wie wird es mit der SPD in Zukunft weitergehen? Antwort: gar nicht gut. Die Jusos und weite Teile der Partei drängen jetzt nach links, weil sie glauben, sie müßten sich auf ihre Wurzeln besinnen und wieder echte Klassenkämpfer werden. Aber mit solchen Visionen rennen sie einerseits gegen die Linkspartei, anderseits gegen den linken Flügel der Grünen an. Links von der CDU ist für eine Volkspartei, die auch die politische Mitte abdecken will, inzwischen kein Platz mehr.

Aus all dem ergibt sich nur ein Schluß: Die SPD wird weiter an Zuspruch verlieren und von nun an dauerhaft unter 20 Prozent der Wählerstimmen liegen. Gewiß: Außergewöhnliche Persönlichkeiten werden ihr punktuell, insbesondere in den Stadtstaaten, auch weiterhin gute Wahlergebnisse bescheren, aber als große Volkspartei der linken Mitte sowie als unverzichtbarer Koalitionspartner hat die SPD in Zukunft ausgedient. Hier haben die Sozialdemokraten das Feld längst der CDU überlassen, die nun immer öfter mit den Grünen koalieren wird, da beide Parteien sich kaum noch voneinander unterscheiden.