© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/16 / 22. April 2016

Anne-Marie Slaughter die amerikanische Karrierefrau erzürnt die Feministinnen
Die Aussteigerin
Ansgar Lange

Die dänische Sängerin Gitte Haenning hat den Frauen in ihrem Lied „Ich will alles“ nicht die Wahrheit gesagt. Dort heißt es etwa: „Ich will mehr / Ich will alles /… Und zwar sofort“ Die Positionen der Amerikanerin Anne-Marie Slaughter, ehemalige leitende Beamte unter US-Außenministerin Hillary Clinton und Professorin an der Princeton-Universität, dürften der Wahrheit schon näher kommen. 2012 hat sie in dem Aufsatz „Why Women Still Can’t Have It All“ in der Monatszeitschrift The Atlantic, der millionenfach gelesen und diskutiert wurde, beschrieben, warum Frauen eben doch nicht alles auf einmal haben können. Jetzt hat sie ein Buch mit dem Titel „Unfinished Business. Women, Men, Work, Family“ nachgelegt.

Die 1958 in Virgina geborene Politikwissenschaftlerin kann man mit Fug und Recht als Karrierefrau bezeichnen: Nach Studium und Promotion an renommierten Universitäten stieg sie rasch auf. Doch nach zwei Jahren gab sie ihren Traumjob als Clintons Leiterin des Planungsstabs im Außenministerium auf. Warum? Um mehr Zeit mit ihrer Familie verbringen zu können. Dennoch fristet sie seitdem keineswegs ein Dasein als „Heimchen am Herd“ – wie Feministinnen das nennen würden. Anne-Marie Slaughter schreibt Aufsätze und Bücher und kehrte zu ihrer Professur nach Princeton zurück. 

Auch für die deutsche Debatte dürften Slaughters Thesen interessant sein. Quer durch alle politischen Lager herrscht bei uns der im Grunde frauen- und familienfeindliche Kinderglaube, daß sich Familie und Beruf schon vereinbaren ließen, wenn nur die Strukturen geändert würden. Mit 24-Stunden-Kitas, Ganztagsbetreuung und ein wenig mehr Diversity- und Gender-Gedöns sei der Spagat zwischen Mann, Kindern und Beruf kein Problem. 

Frauenrechtlerinnen „stalinistischer“ Prägung werfen der Amerikanerin folglich vor, „Verrat an ihrem Mantra von der perfekten Gleichheit der Geschlechter, am feministischen Narrativ, daß Frauen alles haben können, wenn sie es denn nur wirklich wollen“, wie etwa der Deutschlandfunk die Kritik an Slaughter zusammenfaßt. 

Unbeirrt von solcher Kritik macht Slaughter deutlich, daß eben nicht alles gleichzeitig zu haben ist. Man kann nicht gleichzeitig zwölf Stunden am Tag im Büro sitzen und seiner Rolle als Mutter gerecht werden (als Vater allerdings auch nicht, aber der „Mutterinstinkt“ sei bei Frauen nun einmal stärker ausgeprägt). Die Arbeitswelt in westlichen Industriegesellschaften müsse daher flexibler organisiert werden. Und Fürsorge für andere Menschen müsse höher bewertet werden als Geldverdienen, lauten einige der Forderungen Slaughters, die durchaus auch als Kapitalismuskritik daherkommen. Damit sorgt Anne-Marie Slaughter in der Debatte für Differenzierung – zwar fordert sie Modernisierung, zeigt dem Feminismus aber auch seine Realitätswidrigkeit auf.