© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/16 / 22. April 2016

„Der Euro war ein Irrtum der Geschichte“
Liberalismus: Nach dem Richtungsstreit im vergangenen Jahr steht eine Berliner Tagung der Hayek-Gesellschaft im Zeichen des Neuanfangs
Ronald Gläser

Ist die wahre Inflationsrate höher als die offizielle? Angeblich lag die Preissteigerung 2015 nur bei 0,25 Prozent. Wer hingegen Preise von Wohnungen vergleicht, registriert Preissprünge, insbesondere in Städten wie Berlin, Hamburg und München.

Auch Thomas Mayer hat den Glauben an die Gültigkeit der offiziellen Inflationsrate aufgegeben und über den Preisindex nachgedacht. Heraus kam ein alternativer Preisindex, der Vermögensgüter unter die Lupe nimmt. Denn, so der frühere Chefvolkswirt der Deutschen Bank (2010–2012): „Die klassische Inflationsrate bildet nur Konsumgüter ab.“ Investitions- und Vermögensgüter blieben hingegen unberücksichtigt. Konsumgüter seien aber nur eine Untergruppe aller Güter.

Ihre Inflationsrate sei nur aussagekräftig, wenn alle neu aufgenommenen Schulden auch in diese Untergruppe fließen würden. Tun sie es nicht, so gaukelt der Preisindex die Unwahrheit vor. In Mayers Rechnung stiegen die Preise für Vermögensgüter 2015 um 7,8 Prozent. Von einer Inflation nahe der Null kann demnach keine Rede sein. Mayer berichtete über dieses Modell seines privaten Forschungsinstituts namens Flossbach von Storch just am Dienstag, als der Deutsche Aktienindex mit einem satten Plus von über 200 Punkten die Anleger begeisterte. Auch Aktienkurse fließen in seine Berechnung mit ein.

Der Ökonom schaut in die Runde. Vor ihm rund 100 Mitglieder der Hayek-Gesellschaft, die seinen Ausführungen folgen. Für ihn ist diese verheimlichte Inflation Folge einer verfehlten Geldpolitik unter dem Deckmantel der Eurorettung. Applaus ist ihm sicher.

„Der Euro ist instabil, er war ein Irrtum der Geschichte“, faßt er seine Position zusammen. Die EU sei anfangs eine Rechtsstaatsgemeinschaft gewesen: „Jedes Land konnte sicher sein, daß seine staatliche Souveränität gesichert ist – von Luxemburg bis Deutschland.“ Dies gelte nun nicht mehr. Durch die Einbindung mit der gemeinsamen Währung auf Druck Frankreichs nach der deutschen Wiedervereinigung sei die Hegemonie außer Balance gekommen. 

Starbatty berichtet aus dem EU-Parlament

Deutschland sei nunmehr der Hegemon. Deshalb sei Merkel auch so unbeliebt – das mache den Euro und die EU unhaltbar. „Deshalb ist auch Brexit da“, sagte Mayer.

Aber er ist skeptisch. Schließlich sei der Euro als Kreditgeld konzipiert. „Ein Kreditgeld ohne einen Staat, der als Ordnungshüter agiert, ist nicht lebensfähig.“ Eine politische Einigung des Euroraums sei jedoch sehr unwahrscheinlich. Daher seien die Bedingungen für das Überleben des Euro nicht erfüllt. Mayer zusammenfassend: „Er ist wie ein falsch gebautes Haus. Es kommt ein Windstoß und haut ihn um.“

Der EU-Abgeordnete Joachim Starbatty (Alfa) pflichtet ihm bei. Er berichtet von seiner Parlamentsarbeit. Insbesondere die Linksparteien hätten erkannt, daß schwache Eurostaaten eine Ausstiegsoption benötigen. Und er gibt die Prognose ab, daß Griechenland nach einem Ausstieg aus dem Euro schnell besser dastehen würde: „Auf Grexit wären längst weitere Staaten gefolgt, wenn es geklappt hätte.“ Inzwischen gäbe es auch Bestrebungen für einen Fixit. „Wenn Finnland austritt, dann hat das auch für andere wieder Konsequenzen.“

Das Treffen der Hayek-Gesellschaft in Berlin stand im Zeichen der Stabilisierung nach dem Richtungsstreit 2015 (JF 27/15). Die linksliberale Vorsitzende Karen Horn hatte nach ihrer Niederlage gegen Gerd Habermann das Feld geräumt. „Wir haben etwa 60 von 350 Mitgliedern verloren, darunter hochkarätige Experten wie Otmar Issing“, sagt Habermann der JUNGEN FREIHEIT. Inzwischen gebe es aber auch eine Reihe von Neueintritten.

Drei junge Mitglieder der Hayek-Gesellschaft sitzen unterdessen im Foyer und bereiten eine Präsentation für die Hayek-Tage im Juni vor. Dann kommen – eine Woche vor der Abstimmung über den Brexit – die Mitglieder des Vereins in Heidelberg zusammen und werden sich wieder mit dem Staatenbund und der Währungsunion beschäftigen. „Wir gehen mit einer Wahrscheinlichkeit von 55 Prozent aus, nach der England aus der Union austritt“, sagt einer der Referenten. Es könnte sein, daß Mayers Metapher vom Windstoß, der den Euro oder die EU wegfegt, dann eintritt. Zumindest teilweise.