© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/16 / 22. April 2016

Abschottung hat ihren Preis
Studie zur Stellung von Muslimen am Arbeitsmarkt: Mangelnde interethnische Kontakte, defizitäre Sprachkenntnisse und die religiöse Einstellung sind ursächlich für Arbeitslosigkeit
Christian Schreiber

Daß muslimische Migranten überdurchschnittlich oft arbeitslos sind und im Vergleich zur einheimischen Bevölkerung eher düstere Zukunftsaussichten haben, ist keine neue Erkenntnis. 

 Bisher wurde vor allem eine ethnische Diskriminierung als Hauptursache ausgemacht. Diesem Vorurteil widerspricht nun eine Studie von Ruud Koopmans, dem Leiter der Abteilung Migration, Integration, Transnationalisierung am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). „Studien mit fingierten Bewerbungen zeigen, daß ethnische Diskriminierung auf den Arbeitsmärkten aller westeuropäischen Länder ein reales Phänomen ist. Wie groß ihr Einfluß auf den Arbeitsmarkt-erfolg von Migranten tatsächlich ist, können solche Feldexperimente aber nicht nachweisen“, heißt es in der Veröffentlichung. 

Dispute um Frauen in Führungspositionen

Viel entscheidender auf die Integrationsfähigkeit wirkten sich andere Faktoren wie Sprachkenntnisse, inter-ethnische soziale Kontakte, religiöse Wertvorstellungen oder aber auch die Stellung der Frau aus. Denn in vielen Kulturen, die stark religiös geprägt seien, werde bezahlter Arbeit für Frauen kein hoher Wert beigemessen oder gar aktiv davon abgeraten. 

Solche soziokulturellen Einflüsse seien bisher in allen bekannten Erhebungen viel zuwenig berücksichtigt worden, schreiben die Autoren. Für ihre Studie  wurden Daten aus einer Umfrage aus dem Jahr 2010 unter fast 7.000 Personen in sechs europäischen Ländern  (Deutschland, Frankreich, Großbritannien, den Niederlanden, Belgien und der Schweiz) ausgewertet. Vier mehrheitlich muslimische Migrantengruppen (Türken, Marokkaner, Pakistani und exjugoslawische Muslime aus Bosnien und dem Kosovo) wurden befragt und ihre Aussagen mit denen einer Gruppe ohne Migrationshintergrund verglichen. 

Die muslimische Gruppe umfaßte Angehörige dreier Migrantengenerationen: die im Ausland geborene und als Erwachsene eingewanderte erste Generation, die in den Einwanderungsländern von eingewanderten Eltern geborene zweite Generation und die im Ausland geborene, aber als Kind eingewanderte sogenannte „anderthalbte“ Generation. 

„Insgesamt gilt, je niedriger die soziokulturelle Assimilation von muslimischen Migranten, desto niedriger auch die Arbeitsmarktpartizipation“, schreiben die Verfasser. „Man kann als Fazit festhalten, daß solche muslimische Migranten, die gute deutsche Sprachkenntnisse haben, die über viele interethnische Kontakte zu Personen der Mehrheitsgesellschaft verfügen und die liberale Vorstellungen haben über die Rolle der Frau, daß die genausowenig arbeitslos sind wie es Mitglieder der Mehrheitsgesellschaft sind“, erklärte Koopmans.

Die Potsdamer Chefin der Agentur für Arbeit, Ramona Schröder, kann diese Erfahrungen aus der Praxis bestätigen. In einem Interview mit den Potsdamer Neuesten Nachrichten (PNN) lobt sie Asylbewerber als hochmotiviert. Doch die Jobvermittlung sei schwieriger als erwartet. Als Beispiel nennt sie Erfahrungen mit einer Gruppe im Gastronomiegewerbe: „So wurden mehrere Asylbewerber in ein Potsdamer Hotel vermittelt. Dann gab es Diskussionen über Frauen in Führungspositionen. Auch der Alkoholkonsum der Gäste löste Probleme aus. Wir haben daraus gelernt, daß wir künftig auch soziokulturelle Themen berücksichtigen müssen, die ansonsten nicht erforderlich sind. Der Mitarbeiter hatte leider dauerhaft keinen Erfolg“, lautet ihre ernüchternde Bilanz. Ähnliche Berichte gibt es auch aus anderen Arbeitsagenturen. So gab es in Nordrhein-Westfalen Meldungen, daß in der Gastronomie tätige Muslime ein Problem damit hätten, weibliche Gäste zu bedienen. 

Für Koopmans sind die Rolle der Frau und der generelle Trend zur Abschottung die entscheidenden Faktoren für die mangelhafte Integration auf dem Arbeitsmarkt. Dies gelte ganz direkt für muslimische Frauen, die sich gar nicht erst um eine Arbeit bemühten. Gegenüber anderen Migrantinnen sind muslimische Frauen sehr viel weniger auf dem Arbeitsmarkt vertreten. Doch indirekt gelte das auch für Männer, weil kulturelle Einstellungen ihren Niederschlag finden in geringeren Sprachkenntnissen und weniger sozialen Kontakten zu Nicht-Muslimen. Diese seien aber oft entscheidend für die Arbeitssuche – nicht nur weil sprachliche Defizite bestehenbleiben, sondern auch weil die Alteingesessenen über bessere Kontakte und Beziehungen zum Arbeitsmarkt verfügen. „Daß die muslimischen Männer, wie die Frauen, auch weniger Kontakte haben mit Mitgliedern der Mehrheitsbevölkerung hat durchaus etwas mit Kultur oder mit Religion zu tun. Weil Religion für interethnische soziale Kontakte ein hemmender Faktor ist. Wenn man streng gläubig ist, dann verfolgt man oft Regeln, die den Kontakt zu Andersgläubigen beschränken. Oder die den Kontakt mit Andersgeschlechtlichen beschränken“, erklärte Koopmans im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur. 

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sieht dies allerdings anders. Eine von Stereotypen geprägte öffentliche Debatte über den Islam sei der Grund für die schlechten Jobchancen von Muslimen, heißt es dort. Die Debatte sei von zwei Aussagen geprägt: Die Muslime sind angeblich „ungebildet und integrationsunwillig“. Arbeitgeber schrecke dies ab. In der Regel sei es nicht die Religionszugehörigkeit, die Muslimen die Chance am Arbeitsmarkt nehme. Viel eher zeige sich, daß eine abgeschlossene Schul- und Berufsausbildung die Chancen auf eine Arbeit erhöhe.

Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes fordert allerdings dazu auf, das Problem differenziert zu sehen. Der derzeitige Erkenntnisstand zur Diskriminierung von Musliminnen und Muslimen am Arbeitsmarkt sei von einer Vielzahl offener Fragen bestimmt: „Dies liegt an der in Deutschland generell noch unterentwickelten empirischen Diskriminierungsforschung, die bislang nur vereinzelt überzeugende Beweise dafür vorlegen konnte, daß (muslimische) Migrantinnen und Migranten in der Arbeitswelt nicht nur in Einzelfällen mit diskriminierenden Hürden und Verhaltensweisen konfrontiert sind.“ 

Allein die Sprache zu verstehen, reicht nicht

Es sei ohne Zweifel ein Indiz, daß es permanent Klagen geben würde, daß Muslime während Bewerbungsgesprächen ein schwächerer Bildungsstandard unterstellt würde, allerdings sollte man dies nicht generalisieren. Bei der Feststellung, daß sich die Forschung in Deutschland auf diesem Gebiet noch in den Kinderschuhen befinde, herrscht Einigkeit zwischen der Antidiskriminierungsstelle und der Forschergruppe rund um Ruud Koopmans: „Unsere Analysen kommen zu dem Ergebnis, daß die niedrige Arbeitsmarktpartizipation von muslimischen Frauen und die hohen Arbeitslosigkeitsraten von Muslimen nahezu vollständig auf defizitäre Sprachkenntnisse zurückzuführen sind. Gerade in diesen Bereichen schneiden Muslime schlechter ab und sind traditioneller eingestellt als die meisten anderen Migrantengruppen.“ Damit einhergehend seien mangelhafte soziale Kontakte und traditionelle Rollenbilder ebenso ursächlich für eine geringere Arbeitsmarktpartizipation gewisser Bevölkerungsgruppen: „Gerade in diesen Bereichen schneiden Muslime schlechter ab und sind traditioneller eingestellt als die meisten anderen Migrantengruppen. Religiöse Unterschiede erweisen sich in Einwanderungsgesellschaften als integrationshemmend.“ 

Amnesty International sieht dagegen die mangelnde Integrationsbereitschaft der Mehrheitsbevölkerung als zentrales Problem: „Muslimischen Frauen werden Arbeitsplätze verweigert und den Mädchen die Teilnahme an regulärem Unterricht – nur weil sie traditionelle Kleidung wie das Kopftuch tragen“, erklärt die Organisation. Männer müßten aufgrund ihrer traditionellen Barttracht mit Nachteilen oder Entlassung rechnen. 

Koopmans stellt Vorurteile auch nicht generell in Abrede. Man dürfe aus Einzelfällen aber keinen allgemeinen Trend ableiten. Es sei vielmehr besorgniserregend, daß Muslime bevorzugt im eigenen Kulturkreis heiraten. Alleine die Landessprache zu verstehen, reiche nicht, es gehe um eine aktive Nutzung. „Wenn es darum geht, an den Erfolg seiner Kinder zu denken, ist es wichtig, daran zu denken, daß die Kinder auch mal mit deutschen Kindern in Kontakt kommen, daß sie frühzeitig in einen Kindergarten gehen, daß sie auch mal bei deutschen Kindern zu Besuch sind, daß sie auch mal deutsches Fernsehen sehen und nicht nur türkisches. Also die soziokulturelle Integration stärker zu betonen, ist, denke ich, durchaus nützlich“, sagt Koopmans, für den sich aus seiner Studie zwei Schlüsse ableiten lassen: „Die Einwanderungsgesellschaften können belegen, daß es richtig ist, großen Wert auf den Spracherwerb zu legen – und die Muslime müssen verstehen, daß die kulturelle Abschottung ihren Preis hat.“ 

Foto: Getrennte Wege an einem Frühlingstag in Hannover: Gegenüber anderen Migrantinnen sind muslimische Frauen sehr viel weniger auf dem Arbeitsmarkt vertreten – doch indirekt gilt dies auch für Männer