© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/16 / 22. April 2016

Herrschaftsansprüche mit schwarzem Hemd
Bozner Blutsonntag: Im April 1921 terrorisierten faschistische Italiener ein großes Volksfest in Südtirols Hauptstadt
Wolfgang Schimank

Obwohl sich Italien als Siegermacht bezeichnen konnte, war das Land 1919 wirtschaftlich stark gezeichnet: Das Staatshaushaltsdefizit hatte sich im Vergleich zu 1915 vervierfacht, die Inflation verzehnfacht. Die Wirtschaft lag darnieder. Es gab Betriebsbesetzungen, Streiks und Gewaltausbrüche zwischen linken und rechten Kräften. Die bürgerkriegsähnliche Situation begünstigte das Erstarken der jungen Bewegung „Fasci italiani di combattimento“ oder auch „camicie nere“ (Schwarzhemden).

Im deutschsprachigen Südtirol, seit dem 10. Oktober 1920 offiziell annektiert, herrschten dagegen halbwegs geordnete Verhältnisse. Aber die hermetisch abgeriegelte Brennergrenze machte Südtirol wirtschaftlich zu schaffen. Eine Handelsmesse in Bozen sollte neue Wirtschaftskontakte anbahnen. Diese war vom 19. bis zum 26. April 1921 anberaumt. Der Höhepunkt der Veranstaltung sollte der farbenfrohe Trachtenfestzug am 24. April 1921 sein.

Auf Druck von Mussolini blieb der Terror ungesühnt

Da am gleichen Tag in Nord- und Osttirol eine Volksabstimmung darüber stattfinden sollte, ob sich diese Region dem Deutschen Reich anschließen sollte, fühlten sich die italienischen Faschisten provoziert. Daß sich die deutsche Staatsgrenze bis zum Brenner ausdehnen könnte – was der Versailler Vertrag ohnehin untersagte – stellte für sie eine Bedrohung dar. Bereits Tage vor dem geplanten Volksfest kursierten Gerüchte, daß die Faschisten diese empfindlich stören wollten. Das italienische Militär und die italienische Polizei, die seit der Annexion für die Sicherheit in Südtirol verantwortlich waren, verzichteten aber auf etwaige Vorsichtsmaßnahmen. 

Am Sonntag den 24. April füllten sich zur Mittagszeit die Bozener Straßen und Plätze. Aus allen Teilen Südtirols trafen die Musik- und Trachtengruppen ein. Tausende Menschen standen in den Straßen Spalier. Am Hauptbahnhof braute sich jedoch bereits Unheil zusammen: Dort vereinigten sich 120 italienische Faschisten aus Bozen mit 290 Kameraden aus anderen Provinzen Italiens. Einige von ihnen waren bereits mehrfach vorbestraft. Sie hatten Handgranaten, Messer, Pistolen und Totschläger bei sich. Gewalttätig und pöbelnd zogen sie durch die Straßen Richtung Trachtenfestumzug. Die am Bahnhof gelegene Carabinieri-Station griff nicht ein.

Der Umzug setzte sich um 13 Uhr in Bewegung. An der Poststraße schlossen sich die Faschisten gewaltsam dem Festzug an. Am Obstmarkt eröffneten sie das Feuer auf Teilnehmer des Umzuges und auf das Publikum. Sie warfen auch Handgranaten in die Menschenmenge hinein. Hierbei wurden 48 Menschen zum Teil schwer verletzt. Es war ein schreckliches Durcheinander. Jeder rannte um sein Leben. In diesem Chaos wollte Franz Innerhofer, ein Lehrer aus Marling, zwei Knaben in Sicherheit bringen. Mehrere Faschisten verfolgten sie und schossen dem Lehrer in den Rücken. Innerhofer verstarb noch an Ort und Stelle. Nun erst griff das Militär ein und leitete die Faschisten zurück zum Bahnhof.

Eduard Reut-Nicolussi erinnert sich in seinem Buch „Tirol unterm Beil“: „Die Faschisten zogen nach weiteren Gewalttaten johlend in geschlossenen Abteilungen unter Führung und Schutz des Militärs zur Bahn und fuhren nach dem Süden.“ Erst nach Aufforderung des italienischen Ministerpräsidenten Giovanni Giolitti, die Täter unverzüglich festzunehmen und der Gerichtsbarkeit zuzuführen, nahmen die Carabinieri zwei in Bozen lebende Schwarzhemden in Untersuchungshaft. Als Faschistenführer Benito Mussolini in Mailand davon erfuhr, drohte er, mit 2.000 Gesinnungsgenossen abermals nach Bozen zu marschieren. Daraufhin wurden die Inhaftierten freigelassen. Der Mord blieb ungesühnt. Erst neunzig Jahre später, 2011, wurde ein Altstadtplatz von Bozen nach Franz Innerhofer benannt.