© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/16 / 22. April 2016

Das ewige Problem der Menschheit
30 Jahre nach Tschernobyl sind die Folgen für Deutschland ausgestanden – aber was passiert mit dem „normalen“ Atommüll?
Tobias Albert

Kommenden Dienstag jährt sich zum 30. Mal die Nuklearkatastrophe von Tschernobyl. War der Unfall im AKW Three Mile Island bei Harrisburg in Pennsylvania sieben Jahre zuvor noch 6.500 Kilometer weit weg, erreichten die radioaktiven Wolken aus der Nord­ukraine innerhalb weniger Tage auch Deutschland. Damals wurde laut der Atomenergieorganisation IAEO sechsmal soviel radioaktives Material freigesetzt wie vor fünf Jahren in Fukushima.

Am dramatischsten waren die Tschernobyl-Auswirkungen wegen der Windrichtung für Weißrußland, aber auch die Agrarwirtschaft in Bayern oder Österreich war direkt betroffen: Regenwolken brachten strahlendes Cäsium auf die Äcker, Wiesen und Wälder. Gemüse, Milch, Pilze oder Wildfleisch aus den betroffenen Regionen wurden unverkäuflich. Doch radioaktives Cäsium-137 (Cs-137) hat eine Halbwertszeit von 30 Jahren – danach ist es nur noch halb so stark „strahlend“. Nach 100 Jahren sind die Cs-137-Nuklide fast alle zerfallen.

Halbwertszeiten alter Brennelemente „verkürzen“?

Ganz anders sieht es mit den „normalen“ Hinterlassenschaften der Kernkraftwerke aus. Auch der 2011 beschlossene deutsche Atomausstieg kann den schon bestehenden nuklearen Abfall nicht aus der Welt schaffen. Durch die Brisanz, die schon Zwischenlager wie Gorleben umgab, wird noch einige Zeit verstreichen, bis die Politik sich auf ein Endlager geeinigt hat, in dem die abgenutzten Brennelemente für immer bleiben würden.

Zeit ist das größte Problem, das hinter der Endlagersuche lauert. Denn abgenutzte Brennstäbe können auch noch in 100.000 und mehr Jahren lebensgefährlich radioaktiv sein. Plutonium-239 besitzt eine Halbwertszeit von über 24.000 Jahren, andere Transurane weisen sogar Halbwertszeiten von Millionen von Jahren auf. Auch Spaltprodukte wie Jod-129, Cäsium-135 oder Technetium-99 sind viel langlebiger als Cs-137. Ein passendes Endlager muß also fast ewigen Schutz haben: Es ist nicht abwegig, daß in ferner Zukunft die verschlossenen Atomlager von Abenteurern oder Historikern aufgebrochen werden, um die Geheimnisse der Vorzeit zu lüften. Das klingt wie Science-fiction, doch genau so ist es schon den Pyramiden ergangen. 

Noch in Jahrtausenden müßten die Lager also eindeutig als Gefahren gekennzeichnet sein. Schriftliche Warnungen anzubringen wäre ein hoffnungsloser Plan: Genau wie Latein, die frühere Verkehrssprache und Sprache der Wissenschaften, sogar unter Akademikern verschwindet, so werden auch heutige Sprachen aussterben. Kommunikationswissenschaftler glauben, daß Symbole als Warnschilder mehr Erfolg versprechen. Mit der Atomsemiotik existiert bereits eine Wissenschaft, die sich damit befaßt, universell und zeitlos verständliche Gefahrenzeichen zu entwerfen.

Physiker forschen daher seit Jahren daran, ob die langlebigen radioaktiven Stoffe in kurzlebige umgewandelt werden können. Dazu wird im belgischen Mol das EU-Projekt Myrrha aufgebaut, wo die sogenannte Transmutation getestet werden soll. 2025 soll es praktisch soweit sein. Ganz entsorgen ließe sich der nukleare Abfall damit nicht, aber seine Lagerdauer würde von vielen Jahrtausenden auf wenige Jahrhunderte verringert werden. Das wäre ein Fortschritt, aber keine endgültige Lösung. Wir werden daher weiter versuchen müssen, Warnungen für die Ewigkeit zu entwerfen.

Belgian Nuclear Research Centre SCK-CEN: myrrha.sckcen.be