© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/16 / 29. April 2016

Republik der Empörten
Wenn Dialog und Argumente nicht mehr zählen, hat das fatale Auswirkungen auf unsere politische Kultur
Jürgen Liminski

Der türkische Autokrat Erdogan ist ein großer Empörer und Erpresser. Er mischt gern mal die Innenpolitik anderer Länder auf, wenn er sich über Gedichte selbst schlechtester Qualität empört. Die deutsche Bundeskanzlerin läßt sich da zerknirscht herumschubsen und bedauert öffentlich ihre Bemerkung über ein Schmähgedicht. Damit hoffte sie, die Empörung zu dämpfen; die Erdogans und die der innenpolitischen Debatte. Aber der Deckel ist zu klein. Empörung ist, wie uns hierzulande vor allem die Grünen seit Jahren zeigen, die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.

Es ist ein bequemes Mittel. Das Gefühlstheater der Empörung enthebt ihre Akteure nicht nur der lästigen Argumentiererei, die übrigens das noch lästigere Recherchieren, Nachdenken und Abwägen voraussetzt. Es enthebt auch der Pflicht zur Toleranz. Denn der Empörte wirkt authentisch. Er zeigt Herz. Er gibt Zeugnis. Natürlich von seinem Gutsein, von der vermeintlichen Wahrheit. Falls er sich mal irren sollte, dann verzeiht man ihm, weil er so authentisch war – und irren ja menschlich ist. Nur die Opfer der Empörung haben offenbar kein Recht auf Irrtum. Eine Entschuldigung? Kann ja jeder sagen, ohne es zu meinen. 

Der wahrhaft Empörte hat das Recht, Entschuldigungen nicht anzunehmen und Aussagen einfach nicht zu glauben. Denn der wahrhaft Empörte lebt vom Glauben an seine Überzeugung und sein eigenes Zeugnis. Alles andere ist von Übel und Grund der Empörung. Wo die Logik ist? Es gibt keine. Das ist das Schöne an der Empörung. Man braucht keine Logik. Das Mienenspiel einer Claudia Roth reicht.

So werden ernsthafte Debatten mit Theater überlagert. Zwei Beispiele: Mit betroffener Miene treten Politiker nach jedem Terroranschlag vor die Kamera. Nicht daß sie fröhlich zu sein hätten, nein, im Angesicht des Todes ist Ernsthaftigkeit angesagt. Es ist das Ritualhafte ohne Folgen, das Zweifel an der Ernsthaftigkeit weckt. Denn wenn man es wirklich ernst meinte, würde man auch handeln. Aber die Blutspur wird immer länger. 

Zu den Erklärungen gehört auch stets die Warnung: „Der Terror hat nichts mit dem Islam zu tun.“ Hat er aber doch. Denn es sind stets islamisch motivierte Täter. Wer es wagt, auf diesen „Link“ hinzuweisen, der wird mit der Miene des Abscheus als islamophob oder gleich als rechtsgerichtet geächtet. Denken ist verboten, Empörung geboten beim Thema Islam in Deutschland.

Zweites Beispiel: die mediale Verleumdung der AfD. Man muß diese Partei nicht mögen oder wählen, aber eine Auseinandersetzung mit ihr ist unlauter, wenn man nur Wortfetzen oder Versatzstücke aus dem Programm heranzieht, wie das die Süddeutsche Zeitung tat, deren Artikel bezeichnenderweise von der Internetseite der ARD kritiklos weiterverbreitet wurde. Das ist Mainstream-Kollaboration. 

Der Artikel selbst schürte Stimmung nach dem simplen Manipulationsmotto: Ich setze eine These in die Welt und warne vor ihren Folgen. So wolle die AfD die Pressefreiheit einschränken, das Grundgesetz auf den Kopf stellen, eine Art Militärstaat aufbauen. Es wird suggeriert, daß die neue Partei rechts aus dem Verfassungsbogen heraustrete. Kein Wort von dem Beschluß des Parteivorstands, den Landesverband Saarland aufzulösen wegen zu goßer Nähe zur NPD, oder von dem kategorischen Nein des Co-Vorsitzenden Jörg Meuthen, mit der Pegida-Bewegung zusammenzuarbeiten. Das Pamphlet der Süddeutschen gipfelt in dem absurden Titel: „Wie die AfD die Bundesrepublik abschaffen will“. Wer sich da nicht empört ...

Aber auch in der Kirche empört man sich über die Partei, die immerhin 13 bis 15 Prozent der Bundesbürger wählen wollen, mehr Menschen als sonntags in die Kirche gehen. In einer Fastenpredigt über die Barmherzigkeit echauffiert sich ein politisch interessierter Pastor gar über die AfD. Diese Partei sei „blasphemisch, diabolisch, pervers“. Sie propagiere einen „Schießbefehl“, sie rufe indirekt zu Gewalt gegen Fremde auf, sie sei „für Christen nicht wählbar“. 

Das ist Empörungskultur vom feinsten, denn sie wird theologisch überhöht. Es gehört heute zum guten Ton in den etablierten Mainstream-Kreisen, Millionen Wähler zu ächten. In der Politik reicht das aber nicht. Denn auch Ächtung ersetzt nicht das Argument, es ersetzt nicht den Dialog. Wer auf den Dialog verzichtet, ist nicht mehr offen, auch nicht für die Wahrheit. Und natürlich sind die asozialen Plattformen des Internets keine wirklichen Dialogformen, im Gegenteil, die isolierte Haltung der „Gesprächspartner“ – jeder vor seinem Schirm – begünstigt die Empörung. Das Internet ist die Empörungsbörse schlechthin, in ihm werden Debatten zum Tribunal, das unverzüglich Opfer verlangt, einen Rücktritt wovon auch immer. In ihm schlagen Diskurse in Feldzüge um, seine Plattformen sind Pranger. Die Empörten des Internets sind meist anonym, sprich feige. An ihnen orientieren sich viele Politiker.

Dialog setzt die Anerkennung eines Grundkonsenses voraus, zumindest die Anerkennung des Dialogpartners als Mensch. Nihilisten und Totalitäre aber verweigern sich dieser Anerkennung. Sie haben keine Idee mehr oder nur eine. Sie sind die ton-, besser: Mißtöne angebenden Wortführer der neuen politischen Unkultur. Was wir dringend brauchen sind dialogbereite und dialogfähige, am Gemeinwohl und nicht nur am Parteiwohl oder Meinwohl interessierte Politiker. Denn wenn der wahre Dialog versiegt, bekommen wir eine Gesellschaft der empörten Mitläufer. 

Wohin das führt, hat die Geschichte mehrfach gezeigt. „Zivilisationen gehen nicht unter, sie begehen Selbstmord“, konstatierte der Kulturhistoriker und Geschichtsphilosoph Arnold Toynbee. Unsere Zeit trägt suizidale Züge. Die Grimasse der Empörung gehört dazu.