© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/16 / 29. April 2016

„Das Parteiensystem schichtet sich um“
Zwischen Islam-Debatte und Parteitag: Der Politologe und AfD-Experte Werner Patzelt mahnt die Partei zu einem moderaten Kurs
Moritz Schwarz

Herr Professor Patzelt, droht der AfD-Programmparteitag in Stuttgart von der Debatte um den sogenannten „Anti-Islam“-Kurs der Partei überschattet zu werden?

Werner J. Patzelt: Darüber entscheidet zweierlei. Erstens: ob es der Parteitagsregie gelingt, die Diskussion über obskure, tatsächlich islamfeindliche Anträge aus den hinteren Reihen einzufangen. Zweitens: die mediale Darstellung des Parteitages. Darauf hat die AfD aber wenig Einfluß. Sie sollte sich deshalb nicht demonstrativ politisch korrekt verhalten. Es ist vielen Medien ja eine große Freude, die AfD als eine Partei darzustellen, die in Deutschland die Religionsfreiheit abschaffen und an den Grenzen Flüchtlinge erschießen lassen will. 

Wie bitte?

Patzelt: Vorsicht, Ironie! Doch keineswegs ironisch meinen so etwas viele Medien. Tatsächlich läßt sich manche Berichterstattung über die AfD anders als in einer Haltung der Ironie gar nicht verdauen.

Geschieht der AfD dies unschuldigerweise oder hat sie das auch provoziert? 

Patzelt: Klar letzteres, denn wenn man sich leichtfertig-plakativ äußert ...

Zum Beispiel?

Patzelt: … die Aussage, „der Islam“ wäre „mit dem Grundgesetz nicht vereinbar“. Tatsächlich gab es in der knapp 1.400jährigen Geschichte des Islam noch keine Symbiose zwischen freiheitlicher demokratischer Grundordnung und islamischer Kultur. Vielmehr ist der Islam, den wir kennen, auf autoritäre Regime adaptiert und behandelt Diktaturen, etwa die in Saudi-Arabien, wie eine authentische Verwirklichung seiner gesellschaftlichen Gestaltungsansprüche. Wir wissen einfach nicht, wie ein politisch freiheitlicher Islam in einer Gesellschaft mit großen muslimischen Bevölkerungsanteilen aussehen mag. Und da meinen die einen, so etwas entstünde nie, während die anderen das für eine garantierbare Möglichkeit halten. In dieser Lage sind politische Entscheidungen risikoträchtig, weshalb man über sie differenziert diskutieren muß. 

Wer sich die Äußerungen Alexander Gaulands und Beatrix von Storchs in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ – die die Debatte angestoßen hat – anschaut, stellt allerdings fest, daß diese durchaus differenziert sind. Und daß die meisten die Schlagzeile, mit der die „FAS“ das Motto für die Diskussion vorgegeben hat, nämlich „AfD wird zur Anti-Islam-Partei“, keineswegs rechtfertigen. 

Patzelt: Das mag schon sein. Doch solange selbst differenzierte Aussagen als politisch unkorrekt gelten, werden sie lustvoll für Zerrbilder genutzt. Wenn AfD-Politiker ohne Sorgfalt formulieren, müssen sie sich über ein verheerendes Echo also nicht wundern. Übrigens ist auf seiten der Medien da nicht nur böser Wille am Werk; so mancher Journalist ist wirklich davon überzeugt, bei der AfD gäbe es nur Dummköpfe oder Faschisten. Also nutzt das Klagen nichts. Kommunikationsklugheit wäre besser, und zwar getragen von einer redlich an der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ausgerichteten Gesinnung. 

Welches sind denn die weiteren relevanten Themen für den Parteitag? 

Patzelt: Entscheidend sind nicht einzelne Themen. Zentral ist die Auseinandersetzung zwischen jenem Teil der AfD, der pragmatisch und realpolitisch orientiert ist, und dem anderen Teil, der die Partei nur als Resonanzboden für persönliche Marotten und Vorurteile nutzt. Das ist verwoben mit einer weiteren Frontlinie: Soll sich die AfD aufstellen als eine Mischung aus „guter alter CDU“ und „bundesweiter CSU“ oder als Provokationspartei rechtspopulistischer Prägung? 

Welche Seite wird sich am Ende im neuen  Programm der AfD wiederfinden? 

Patzelt: Das bleibt abzuwarten, auch über Formelkompromisse auf dem Parteitag hinaus. Klar ist aber: Läuft es auf eine reine Populistenpartei hinaus, dann wird die AfD ihre besten Tage bald hinter sich haben. 

Inwiefern?

Patzelt: Analysen der Landtagswahlen vom März zeigen: Über die Hälfte der AfD-Wähler waren Protest- und Denkzettelwähler. Die bindet eine Partei nur mit dem Nachweis, daß sie wirklich „Politik kann“. Und das braucht innerparteiliche Stabilität und programmatische Verläßlichkeit.

Das sagt jeder Experte, aber stimmt das auch?

Patzelt: Ich meine schon – und weiß mich da in guter Gesellschaft.

Vielleicht haben die Experten nur noch nicht realisiert, daß wir inzwischen in neuen Verhältnissen leben. Siehe Österreich, wo derzeit gar vom Ende der Zweiten Republik die Rede ist.  

Patzelt: Die Parteiensysteme schichten sich um, kein Zweifel. Doch die Logik von Politik ändert sich nicht. Und die lehrt: Entweder gelingt es der AfD, sich wie einst die Grünen von einer Protestbewegung zu einer vertrauenswürdigen, konstruktiven Partei zu wandeln – oder sie wird wie die Piraten erfahren, daß sich auf Protestwellen nicht lange surfen läßt. Und sobald sich die etablierten Parteien als lernfähig erweisen, wird es erst recht nicht reichen, bloß Aversionen zu kultivieren. 






Prof. Dr. Werner J. Patzelt, der durch zahlreiche Medienauftritte bekannt gewordene Politologe gilt als Experte für die Themen AfD und Pegida. Ausgezeichnet mit dem Wissenschaftspreis des Deutschen Bundestages ist Patzelt Gründungsprofessor des Instituts für Politikwissenschaft der TU Dresden, wo er den Lehrstuhl für Politische Systeme innehat, sowie Mitglied des Wissenschaftsbeirats am Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung. Geboren wurde er 1953 in Passau. 

Foto: AfD-Parteitag im Februar in Sachsen: „Über die Medien zu klagen nützt nichts, Kommunikationsklugheit wäre besser“ (Werner Patzelt) / „Weg vom Image der Protestpartei!“ (Alice Weidel)

 

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