© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/16 / 29. April 2016

Spendables Dreierbündnis
Sachsen-Anhalt I: CDU, SPD und Grüne setzen in Magdeburg auf Mehrausgaben
Paul Leonhard

Mit der künftig Sachsen-Anhalt regierenden Drei-Parteien-Koalition ist der Wählerwille in sein Gegenteil verkehrt worden. Auch wenn CDU, SPD und Grüne etwas anderes behaupten. Hätten die Christdemokraten unter Reiner Haseloff auf die Stimmung in  der Bevölkerung gehört, hätten sie ein Bündnis mit der AfD eingehen müssen, die aus dem Stand 25 Landtagsmandate erhalten hat. Aber da es dafür aus der Berliner CDU-Zentrale im Konrad-Adenauer-Haus kein grünes Licht gab, bestimmen nun die von den Wählern mit Mißtrauen bestraften Parteien SPD (rund 10 Prozent) und Grüne das politische Geschick des Landes.

Daß Haselhoff am Montag erst im zweiten Wahlgang die Stimmen seines Regierungsbündnisses zusammenbekommen hat, dürften die Koalitionspartner als schlechtes Omen werten.

Ein Ministerium für die Grünen

Dabei hatten CDU, SPD und Grüne alles unternommen, ihr Bündnis als Erfolgsmodell zu verkaufen. Es sei ein „guter Kompromiß gefunden worden, der allen Seiten gerecht werde“, ließ sich Haseloff nach Abschluß der Koalitionsverhandlungen in Magdeburg zitieren. Für ihn zählt offenbar als Erfolg, daß es ihm in zähen Verhandlungen gelang, den Grünen ihren angeblichen Anspruch auf ein zweites Ministerium auszureden. So erhält die mit 5,2 Prozent der Wählerstimmen nur ganz knapp ins Parlament gerutschte Partei das um Energie und Verkehr erweiterte Umwelt- und Landwirtschaftsministerium. Die SPD mußte damit ihre Hoffnung auf drei Ministerien begraben und erhält Arbeit und Soziales sowie Wirtschaft und Wissenschaft. Mit Blick auf das benachbarte Sachsen ist das kein ungeschickter Schachzug der fünf Minister stellenden Union, denn dort schaffte es die CDU-geführte Regierung mit einem ähnlichen Zuschnitt der Ministerien, die SPD für die Wähler noch unglaubwürdiger zu machen.

Der Koalitionsvertrag liest sich teilweise  wie der Wunschzettel eines sechsjährigen Kindes, das den ins elterliche Haus gekommenen Gerichtsvollzieher mit dem Weihnachtsmann verwechselt hat: mehr Lehrer, mehr Polizisten, mehr Geld für die Kommunen, Aufstockung der Forschungsförderung an den Hochschulen und der Kinderförderung, Integrationsprogramme für Asylanten. Überdies soll die Haushaltsdisziplin gewahrt bleiben.

Die realen Spielräume würden lediglich bei jährlich 50 Millionen Euro liegen, warnte prompt Landesrechnungshofpräsident Kay Barthel. Was die neue Regierung vorhabe, sei „ein finanzpolitischer Harakiri“. Würde die Regierung die vertraglich vereinbarten Vorhaben umsetzen, bedeute das Mehrausgaben, die sich einschließlich der schon bestehenden Haushaltsrisiken auf 3,7 Milliarden Euro bis zum Jahr 2021 summieren.

Erklärte Absicht von Haseloff, der gemeinsam mit der SPD in Sachsen-Anhalt einen Schuldenberg von 21 Milliarden Euro erwirtschaftet hat, ist es aber auch, im Haushalt eine „schwarze Null“ zu erreichen. Deswegen stehen die meisten Koalitionswünsche unter Finanzierungsvorbehalt und rücken damit ins Reich der Träume. Unter allen Umständen soll es bei der Einstellung von 3.500 bis 4.000 Lehrern bis 2021 bleiben und bei einer besseren Finanzausstattung der Kommunen, denen 1,6 Milliarden Euro jährlich zugesagt wurden. Kultur- und Kreativwirtschaft sollen „überdurchschnittlich gefördert“ werden, das Kulturressort jährlich 100 Millionen Euro erhalten, die Hochschulen ab 2017 jährlich zusätzlich 30 Millionen Euro. Für den Justizvollzugsdienst sollen 100 neue Beamte eingestellt, der Ökolandbau auf 20 Prozent ausgebaut werden. Auch soll es ein Beschäftigungsprogramm für Langzeitarbeitslose geben, für das die SPD elf Millionen Euro fordert.

Bei der Energie haben die Grünen durchgesetzt, daß sich die Koalition auf ein Ausstiegsszenario aus der Braunkohleindustrie geeinigt hat und ein Exportverbot von Braunkohle aus Sachsen-Anhalt geprüft wird. Auch die Bürokratie soll weniger werden, weswegen prompt jede an der Regierung beteiligte Partei mit jeweils einem neuen Staatssekretärsposten versehen wurde und die Grünen ihren Wunsch nach einem Radbeauftragten durchsetzen konnten.

Zweifel, ob das Bündnis hält

SPD-Chef Burkhard Lischka, der die Koalition als „Vernunftehe“ bezeichnete, will mit seinen Genossen „wirklich für diese Regierung“ kämpfen, denn „alles andere wäre für dieses Land eine Katastrophe“. Die starke AfD-Opposition hat künftig die dankbare Aufgabe, die in den Koalitionsvertrag geflossenen Tagträume des bundesweit ersten schwarz-rot-grünen Regierungsbündnisses permanent nach dem aktuellen Stand ihrer Umsetzung zu bewerten.

Ob die Drei-Parteien-Koalition mit ihren 46 von 87 Landtagsmandaten stabil sein wird, darf nach dem Start am Montag bezweifelt werden. Als dem Linken-Abgeordneten Wulf Gallert im ersten Wahlgang die nötigen Stimmen für die Ernennung zum Landtagsvizepräsidenten fehlten, stichelte Frank Sitta, Landesvorsitzender der Freien Demokraten, als außerparlamentarische Opposition: Wenn Abgeordnete der CDU-Fraktion bereits die allererste Landtagssitzung nutzen, um „die politisch ohnehin schon angespannte Stimmung im Land noch weiter anzuheizen“, dränge sich vor allem nach den Äußerungen aus der Landsberger CDU der Eindruck auf, „man wolle doch lieber eine gemeinsame Koalition mit der AfD als Schwarz-Rot-Grün“.