© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/16 / 29. April 2016

Ein Programm, ein Programm
Parteitag: Drei Jahre nach der Gründung wollen die AfD-Mitglieder in Stuttgart erstmals politische Ziele verbindlich festschreiben
Marcus Schmidt

Wer hart mit der AfD ins Gericht geht, könnte sagen: Seit ihrer Gründung vor drei Jahren wird die Partei von zwei Konstanten bestimmt: Streit in der Führung und ein endloses Ringen um das Programm. 

Zumindest der zweite Punkt soll sich nach dem Willen der Parteiführung am kommenden Wochenende erledigen. In Stuttgart werden dann bis zu 2.500 Mitglieder zum 5. ordentlichen Parteitag der AfD erwartet. Auf der Tagesordnung:  „Beratung und Beschlußfassung zum ‘Leitantrag Programm’ der Bundesprogrammkommission und des Bundesvorstandes“, wie es etwas umständlich im Parteideutsch heißt. Oder kurz gesagt: Die AfD bekommt endlich ihr erstes Parteiprogramm. 

Manche in der AfD sagen, es sei kein Zufall, daß die Partei auch drei Jahre nach ihrer Gründung noch kein Programm hat. Vielmehr sei es Teil der Strategie von Ex-Parteichef Bernd Lucke gewesen, der die Partei damit inhaltlich möglichst lange flexibel halten wollte. Und tatsächlich ist die Partei damit gut gefahren. Fast jeder, der mit der Politik in Deutschland unzufrieden war, konnte bislang seine Wünsche und Hoffnungen auf die AfD projizieren. Doch damit dürfte es nach dem Parteitag endgültig vorbei sein. Dann kann jeder genau nachlesen, wofür die Partei steht – und wofür nicht. Aus diesem Grund sehen viele in der AfD mit Spannung nach Stuttgart. „Es geht um die Seele der Partei“, faßt ein AfD-Mitglied seine Erwartungen zusammen.  

Der Weg dahin wird steinig. Das Antragsbuch mit Änderungsanträgen zum Programmentwurf der Parteiführung umfaßt 1.425 Seiten. Seit etwa zwei Jahren haben sich nach Angaben des Vorsitzenden der 28köpfigen Programmkommission, Albrecht Glaser, mehrere tausend AfD-Mitglieder an der Programmdebatte beteiligt. „Dies ist ein wahrscheinlich einmaliger Vorgang von direkter demokratischer Willensbildung in der jüngeren Parteiengeschichte.“

Es ist kaum vorstellbar, daß es dem Parteitag gelingen wird, die Programmarbeit an nur einem Wochenende abzuschließen. Zumal die debattierfreudige AfD-Basis trotz aller Vorarbeiten jede Menge Diskussionsbedarf haben dürfte. Etwa über die Haltung der Partei zum Mindestlohn. Im Programmentwurf heißt es knapp: Die AfD befürworte es, „den gesetzlichen Mindestlohn beizubehalten“. Doch es liegen gleich mehrere Anträge vor, die diesen Passus ändern oder gar streichen wollen. „Mit einer Aufnahme dieser Forderung in das Parteiprogramm würde sich die AfD zu Recht dem Vorwurf des Populismus aussetzen“, heißt es dazu in einem Antrag. Vor allem der wirtschaftsliberale Flügel der AfD lehnt den Mindestlohn ab. Doch selbst hier gibt es Stimmen, die eine Aufnahme in das Parteiprogramm aus wahltaktischen Gründen für sinnvoll halten.

Schon im Vorfeld hat die parteiinterne Diskussion über die Nato-Zugehörigkeit Deutschlands für Schlagzeilen gesorgt. Der Programmentwurf widmet diesem Thema mehr als eine Seite. Die Mitgliedschaft sei im Interesse Deutschlands, „soweit sich die Nato auf ihre Aufgabe als Verteidigungsbündnis beschränkt“. Andere Anträge bestreiten dies und fordern eine Diskussion über den Verbleib in der Nato. Ein Mitglied hat einen kuriosen Kompromißvorschlag gemacht, wie das unbequeme Nato-Thema ausgeklammert werden könnte: Er fordert, den Begriff „Nato“ einfach komplett aus dem Programm zu streichen. Dann könne es darüber auch keinen parteiinternen Streit mehr geben.

Anders sieht es im Fall der Haltung zum Islam aus. Nach der Veröffentlichung des Programmentwurfs hatte die kritische Haltung der Partei hierzu eine kontroverse öffentliche Debatte über den Islam ausgelöst. Doch in der Partei herrscht in dieser Frage weitgehend Einigkeit.

Auf dem Parteitag dürfte neben der Programmdiskussion auch das zweite Dauerthema der Partei für Gesprächsstoff sorgen: der Streit in der Parteiführung. Anders als noch zu Zeiten Bernd Luckes werden diese Auseinandersetzungen derzeit jedoch fast unterhalb der Wahrnehmungsgrenze ausgetragen. Dennoch hat sich das Machtgefüge innerhalb des Vorstands seit dem Essener Parteitag im Juli vergangenen Jahres merklich verschoben.

Damals war Frauke Petry an die Stelle des von der Partei gestürzten Lucke getreten. An ihrer Seite hatten die AfD-Mitglieder den bis dahin unbekannten und politisch blassen Jörg Meuthen gewählt. Damals wirkte Meuthen wie die geborene Nummer zwei. Die Rollen schienen klar verteilt. Doch das hat sich geändert. Meuthen hat sich als erstaunlich anpassungsfähig und flexibel erwiesen. Spielend hat er innerhalb der Partei Luckes Rolle als wirtschaftsliberales Aushängeschild übernommen. Doch anders als von vielen erwartet, steht er nicht mehr im Schatten der politisch erfahreneren Petry. Im Gegenteil. Mittlerweile hat es oft sogar den Anschein, als ob Meuthen die Partei nicht zusammen mit Petry, sondern mit Parteivize Gauland führe. Nicht Petry hielt auf der Feier zu Gaulands 75. Geburtstag in Potsdam die Festrede – sondern Meuthen. Und nicht dem Sprecherduo Meuthen und Petry widmete die Frankfurter Allgemeine Zeitung am vergangenen Montag ein Doppelinterview, sondern Meuthen – und Gauland.

Zu dieser nicht nur äußerlichen Kräfteverschiebung hat Petry selbst beigetragen. Kritiker werfen ihr vor, sie habe sich in den vergangenen Monaten mit einer Reihe von Alleingängen selbst isoliert. „Niemand will ihr etwas Böses“, versichert ein Parteifunktionär. Doch der AfD-Chefin fehle sowohl inhaltlich als auch personell eine stringente Strategie. 

Nach den verunglückten Interview-äußerungen zum Schußwaffengebrauch gegen Flüchtlinge sorgte in der Partei Ende März ein mehrseitiges Doppelinterview der Parteichefin und ihres Lebensgefährten, des NRW-Landesvorsitzenden Marcus Pretzell, in der Illustrierten Bunte für Aufsehen. Vor allem die darin enthaltenen Angriffe auf von Storch und Gauland stießen auf Unverständnis. Doch gleichzeitig gibt es auch Stimmen, die hervorheben, Petry und Pretzell hätten mit der „Homestory“ in der Bunten auch einmal eine weichere und persönlichere Seite der AfD gezeigt. In Stuttgart wird sich daher zeigen, ob Petry mittlerweile auch an der Basis an Rückhalt verloren hat. Dennoch: Anzeichen für eine Petry-Dämmerung gibt es derzeit nicht.

Für Unruhe in der Partei sorgten im Vorfeld des Parteitags auch die beiden verbliebenen Europaabgeordneten der AfD, Beatrix von Storch und Marcus Pretzell. Nach seinem Ausschluß aus der Brüsseler EKR-Fraktion hatte Pretzell angekündigt, die AfD-Mitglieder in Stuttgart entscheiden zu lassen, welcher Fraktion er künftig angehören soll. Damit drohte dem Parteitag plötzlich eine Diskussion über eine Zusammenarbeit mit dem französischen Front National. Der FN genießt in der Anhängerschaft der AfD zwar viele Sympathien, Petry und Meuthen hatten ein Bündnis mit den französischen Rechtspopulisten bislang allerdings stets ausgeschlossen. In der vergangenen Woche sah sich die Parteiführung daher veranlaßt, in einem Mitgliederrundbrief mit Hinweis auf das „überaus knappe Zeitbudget in Stuttgart“ die Diskussion auf einen späteren Zeitpunkt zu vertagen. Ganz abwürgen lassen wird sich die Debatte wahrscheinlich dennoch nicht.

So steht bereits jetzt fest: Auch nach dem Programmparteitag wird der AfD der Diskussionsstoff nicht ausgehen.





Mitgliedschaft Deutschlands in der Nato

Die Parteispitze befürwortet einen Verbleib Deutschlands in dem Militärbündnis. Starke Kräfte in der Mitgliedschaft stellen diese Position mit mehreren Anträgen in Frage.





Direkte Demokratie

Die Stärkung der direkten Demokratie in Deutschland nach Schweizer Vorbild steht im Programmentwurf ganz weit vorne. Streit könnte es darum geben, diesen Punkt zu einem „nicht verhandelbaren Inhalt jeglicher Koalitionsvereinbarungen“ zu machen.





Mindestlohn

Beim Thema Mindestlohn drängt der wirtschaftsliberale Flügel darauf, die Festschreibung des Mindestlohns im Parteiprogramm zu streichen. Doch die Erfolgsaussichten sind gering.





Islam

Eine kritische Haltung zum Islam ist in der AfD weit verbreitet. Die deutlichen Positionen im Programm-entwurf (keine Minarette, kein Muezzinruf) dürften in Stuttgart auf eine breite Zustimmung treffen.





Klimaschutzpolitik

Der Programmentwurf äußert sich skeptisch zu den Ursachen des Klimawandels und will die Klimaschutzpolitik beenden. Bei einigen Mitgliedern stößt diese rigorose Haltung auf Widerstand.