© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/16 / 29. April 2016

Religiöse Generationen großziehen
Serie „Erdogans Türkei“ (Teil 2): Die stete Islamisierung drängt die Kemalisten ins Abseits
Marc Zoellner

Diese Ehre wollte Recep Erdogan  sich keinesfalls entgehen lassen: Höchstpersönlich reiste der türkische Präsident Anfang April in das kaum 10.000 Seelen zählende, im US-Bundesstaat Maryland gelegene Städtchen Lanham, um das rote Band zur Eröffnung der neuen Moschee des Diyanet Center of America (DCA) zu zerschneiden. Von amerikanischen Muslimen bis hin zu prominenten Journalisten waren Hunderte Besucher an diesem Tag anwesend. Sogar Daniel Spiro, der Vertreter der Washingtoner Gesellschaft für jüdisch-islamischen Dialog, wollte sich Erdogans Besuch nicht entgehen lassen. Denn was sie in Lanham erwartete, durfte selbst für US-amerikanische Verhältnisse als bemerkenswert erachtet werden.

Mit türkisen Verzierungen und blattgoldenen arabischen Kalligraphien geschmückt, präsentierte sich den Besuchern in Lanham nicht nur die neueste, sondern ebenso die größte Moschee der Vereinigten Staaten. Drei Jahre hatte man an dieser gebaut und keine Kosten gescheut, um selbst den Marmor der tragenden Säulen aus der Türkei zu importieren. 

Kosten für Moscheebau zahlte Ankara

Neben den eigentlichen Gebetsräumen finden sich auf der knapp 25 Hektar umfassenden Landfläche überdies noch Restaurants und Suppenküchen, Konferenzzimmer, ein Museum, ein Institut für Islamwissenschaft sowie Wohnhäuser, ein türkisches Bad und sogar ein Basketballfeld. Insgesamt, erklärte das DCA, könnten somit bis zu 3.000 Gläubige in ihrer neuen Moschee, der einzigen in den USA mit gleich zwei Minaretten, gleichzeitig beten. „Hier stand einst ein kleiner Containerbau, der als Moschee genutzt wurde“, erklärte Erdogan zur Eröffnungszeremonie stolz seinen Gästen. „Nun hat es sich in ein Zentrum der Zivilisation verwandelt.“

Über 110 Millionen US-Dollar an Baukosten sollte das Mammutprojekt des DCA bis zu dessen Fertigstellung verschlungen haben. Für die Kosten kam der türkische Staat auf. Besser gesagt: dessen Präsidium für Religionsangelegenheiten, eine der einflußreichsten Behörden der kleinasiatischen Republik; zuständig für die Ernennung und Enthebung der Imame des Landes, für deren Ausbildung sowie für das Verfassen von Predigten und den Unterhalt von rund 85.000 Moscheen. Gegenüber dem Präsidium, auf türkisch Diyanet, ist allein der Ministerpräsident der Türkei weisungsbefugt. Das DCA wiederum ist ein Ableger dieser türkischen Behörde, dessen US-amerikanische Verwalter an das Wort des türkischen Premiers Ahmed Davutoglu, der rechten Hand Recep Erdogans, gebunden. Mit der DITIB gibt es auch in Deutschland eine solche religiöse, direkt der Türkei unterstehende Einrichtung.

Mustafa Kemal Atatürk wird systematisch verdrängt 

Erdogan, der Moscheenbauer, der großzügige Mäzen islamischer Prachtkultur im In- und Ausland: In dieser Rolle sieht sich der türkische Staatspräsident besonders gern. Lanham ist dabei keine Ausnahme. Mit der Moskau-Kathedral-Moschee wurde vergangenen September auch in Rußland eines der größten islamischen Gotteshäuser Europas neu eingeweiht. Ebenfalls aus türkischem Marmor erbaut – und mit Erdogan als Ehrengast.

Moscheen wie diese sind Marksteine der gesellschaftspolitischen Korrektur eines Landes, das sein historisches Erbe nie zu verarbeiten verstand. Insbesondere nicht die schockartigen Umwälzungen während der Gründungsjahre der Türkei durch Mustafa Kemal „Atatürk“, den „Vater aller Türken“.

Vor gut 90 Jahren hatte dieser aus der Asche des erloschenen Osmanischen Reichs eine Republik nach modernen Vorstellungen zu gestalten versucht: westlich ausgerichtet, ethnisch homogen, streng säkulär. Was Atatürks Politik folgte, war nicht nur eine rigide Einparteienherrschaft mit blühendem Personenkult rund um den Staatsgründer. Ebenso wurde das Gros der islamischen Schulen geschlossen, die arabische Schrift und der islamische Kalender durch ihre jeweiligen europäischen Pendants ersetzt und selbst das Tragen traditioneller Feze mit langen Haftzeiten, mitunter sogar mit dem Tod am Galgen geahndet.

Eine Türkei ohne Atatürk ist seitdem nahezu undenkbar geworden. Noch heute steht die Beleidigung des Namens Mustafa Kemals unter Strafe. An seinem Todestag steht der Verkehr im gesamten Land für einige Minuten still. Gleich vier Städte der Türkei sind nach Atatürk benannt. Und seine Bilder schmücken Ämterstuben, Schulen, Geschäfte und Privathäuser.

Allein in Erdogans Tausend-Zimmer-Palast war Atatürks Konterfei lange Zeit von den Wänden verbannt – zumindest bis die kemalistische Opposition lautstark dagegen protestierte. Daß Erdogan Atatürks Andenken zumindest skeptisch gegenübersteht, daraus macht der neue starke Mann am Bosporus bei weitem keinen Hehl. Ungeachtet dessen würdigt Erdogan zwar insbesondere bei Ansprachen vor dem türkischen Militär, der tragenden Stütze der laizistischen Republik, die Leistungen und Errungenschaften des Veteranen Mustafa Kemal. Doch das historische Wirken Atatürks verdrängt Erdogan nahezu programmatisch aus dem öffentlichen Leben.

„Ein dunkles Zeitalter findet sein Ende“

„Wir werden eine religiöse Generation großziehen“, verkündete Erdogan, damals noch Ministerpräsident seines Landes, bereits im Februar 2012 auf einer Versammlung der lokalen Vorsitzenden der AKP. Zu diesem Zeitpunkt sah sich die Türkei bereits einer moralischen Transformation durch die konservative Regierung ausgesetzt.

Diyanet war zu einer Mammutbehörde mit über 100.000 Mitarbeitern samt Milliardenetat angeschwollen. Auch die religiös geprägten Imam-Hatip-Schulen, auf welchen schon Erdogan als Jugendlicher eingeschrieben war, profitierten besonders von der Förderung durch die AKP. Zählte man 2002 noch rund 65.000 Gymnasiasten auf diesem Bildungsweg, wuchs ihre Zahl bis 2013 auf 658.000. Im Mai 2015 wurde gar die Schallmauer von einer Million unterrichteter Schüler an islamischen Einrichtungen durchbrochen.

Noch 1997 konnte sich das kemalistisch geprägte Militär erlauben, gegen ähnliche Pläne des damaligen Ministerpräsidenten und politischen Ziehvaters Erdogans, Necmettin Erbakan, zu putschen. 

Erdogan scheut die innen- wie außenpolitisch gegen die PKK und den Islamischen Staat straff beschäftigte Armee nicht mehr. In den Folgejahren ging der Präsident sogar noch einen Schritt weiter und beseitigte im Jahre 2010 das Kopftuchverbot erst für Schüler und Studenten, ab 2013 auch für Beamte.Eines der großen Tabus der kemalistischen Republik wurde per Federstrich entfernt.

„Ein dunkles Zeitalter findet damit sein Ende“, kommentierte Erdogan im September 2013 die Aufhebung des Kopftuchverbots vor dem türkischen Parlament. Es sollte ein vollendeter Seitenhieb sein: sowohl gegen Atatürk als auch gegen die fundamentalen Prinzipien der laizistisch-kemalistischen „Ersten Republik“. 

Einer Republik, deren Werte nach Wunsch der AKP-Führung spätestens 2023, zum hundertsten Gründungsjubiläum der Republik Türkei, komplett zu den Akten gelegt werden sollen. Beinahe zeitgleich und ebensowenig zufällig zur Eröffnung des neuen Flughafens am Stadtrand von Istanbul, jenem Megabau, der auf den Namen „Erdogan-Flughafen“ getauft werden und den nur 40 Kilometer entfernten „Atatürk-Flughafen“ als Randnotiz der Geschichte verblassen lassen soll.





Erdogans Türkei 

Über 13 Jahre führt Recep T. Erdogan die Geschicke der Türkei. Für die einen ist der 62jährige eine Lichtgestalt. Für die anderen ein machtversessener Politiker, der die Türkei islamisieren will und die Meinungsfreiheit einschränkt. In einer neunteiligen Serie wird die JF alle Facetten seiner Politik behandeln. Teil eins beschäftigte sich mit dem Aufstieg Erdogans. Teil drei (JF 21/16) wird dessen Verhältnis zu Fethullah Gülen beleuchten.