© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/16 / 29. April 2016

Monologe einer Exzentrikerin
Kein Grund zur Angst vor Sibylle Berg: Ein Dokumentarfilm über die Schriftstellerin kommt diese Woche ins Kino
Sebastian Hennig

Als Sigrun Köhler und Wiltrud Baier bei Sibylle Berg anfragten, ob sie an einem Dokumentarfilm über sich mitwirken würde, meinte sie: „Vielleicht.“ Doch eine Bewährungs- chance für die Antragsteller ließ nicht lange auf sich warten.

Eines Tages fragte die Schriftstellerin aus Los Angeles an, ob die Filmleute ihr nicht den Zugang zum legendären Haus des Architekten John Lautner verschaffen könnten. Die bestanden diese Prüfung, und der Besuch in der „Sheets-Goldstein Residence“ in den Beverly Hills leitet den Beginn des Dokumentarfilms „Wer hat Angst vor Sibylle Berg?“ ein. Das Duo Köhler und Baier verantwortet unter seinem Markennamen „Böller und Brot“ Kamera, Schnitt, Ton, Produktion und Regie des Films. Sie erweisen sich darin als gescheite und vorsichtige Partner ihrer Titelfigur.

Der Immobilien-Milliardär James Goldstein lebt nur seiner Neigung für die neueste Kleidermode und das Basketballspiel. In Lederjacke mit zahlreichen Nieten und dem Cowboyhut auf dem Kopf führt er die Besucherin einsilbig knurrend durch das Anwesen. Die ist auf schlichte Weise neugierig und gibt sich überschwenglich. Vom Baumeister schwärmt sie: „He’s the god of architecture.“ Die Räume wirken verlassen und ungesellig; der blanke Beton des Gesellschaftszimmers ähnelt dem Mannschaftswaschraum eines aufgegebenen Landheims. Dieser Eindruck wird von dem verwaisten Tennisplatz über dem Tal verstärkt.

Anders als Goldstein, von dem die Welt abperlt wie Wasser von einem Ölzeug, saugt sich Sibylle Berg voll mit den Dingen. Immer wieder mischt sie deutsche Worte ein: „His hose is on me.“ Soll aussagen, sie trage eine Hose des mit Goldstein befreundeten Modegestalters Rick Owens. Zum visionären Haus meint sie schließlich, es gefalle ihr jetzt gar nicht mehr so. Das nicht beheizbare Atelier des Künstlers Jon Pylypchuk ist wohl kleiner, hat aber mehr Atmosphäre. Sibylle Berg ist eben immer noch eine Bohème-Existenz.

„Jetzt kommen aber leider Feinde“

Im Film trifft sie noch zusammen mit Katja Riemann, Olli Schulz, Helene Hegemann und anderen. Es hätte solcher Begegnungen jedoch gar nicht bedurft. Die oberflächlichen Gespräche können den Film inhaltlich nicht bereichern. Doch sie mildern das Aroma der Monologe Sibylle Bergs etwas, so wie Brotkrumen oder ein Klecks Sahne eine sehr scharfe Suppe bekömmlicher machen. Viel spannender ist es, wenn sie allein auf der Liege flegelt und das Fassungsvermögen ihres Gegenübers dabei einkalkuliert, wenn sie es systematisch überfordert und auf Abwege führt. Die Kamera kommt ihr dabei sehr nahe. Von der Seite her ist zu erkennen, wie sich unter den Gläsern der Sonnenbrille verborgen ihre Augenpartie entspannt.

Die Filmautoren beschreiben die spontane Situation: „Also, die Frage war für uns eigentlich weniger, wie man sich vorbereitet und recherchiert, sondern wie man Frau Bergs und unsere eigene Neugier wachhält.“ Über die Vergangenheit spricht die Autorin nur ungern. Denn der gilt ihre Neugier nicht. Nur wenn ihr die Orte heute noch etwas bedeuten, kehrt sie zurück, beispielsweise in das Tessin, wo sie eine Artistenschule besuchte und später ihre ersten Bücher schrieb. Als sie 1984 aus der DDR ausreisen durfte, war das Traumziel nicht Los Angeles, sondern die Schweiz. Der ratlosen Kamera eilt sie auf ihrem „absoluten Lieblingsweg“ voran. „Jetzt kommen aber leider Feinde“, kündigt sie plötzlich an. Wem das jetzt konkret gilt, ist nicht zu sehen. Wahrscheinlich aber sind alle anderen Menschen potentielle Feinde von ihr.

Die bizarr erscheinende Frau hat sich die Vitalität und Gelenkigkeit erhalten, wenn sie damit auch andere Ziele verfolgt. Vor einer grünen Berglehne bekennt sie die frühere Hoffnung, es müsse noch etwas kommen oder sie würde einfach in der Schweiz verenden. Inzwischen meint sie, daß es Schlimmeres gäbe, als in der Schweiz zu verenden. Sie haßt Max Frisch und findet Thomas Mann blöd. Wenn sie noch einmal beginnen müßte, würde sie Mikrobiologin werden und über Pilzparasiten forschen, die Ameisen manipulieren.

Gelegentlich ist das Gesprochene untertitelt. Damit sollen nicht etwa undeutliche Worte verständlicher gemacht werden. Durch die verschriftlichte Rede wird das Verhältnis von Dichtung und Wahrheit in diesem Autorenleben hervorgehoben.

„Ich mach’ Randgruppen-Scheiße“

Gegen Ende des Films macht Sibylle Berg ihren Lektor vom Hanser-Verlag mit den Damen vom Film bekannt: „Das sind Doku-Schlampen.“ Die revanchieren sich mit der Frage nach jenem legendären ersten Roman, der damals von fünfzig Verlagen abgelehnt wurde, bevor Reclam 1997 das Buch über hunderttausendmal verkaufen konnte. Der Lektor stöhnt unter der Zumutung der Manuskripte: „Bevor Sibylle Berg Sibylle Berg wurde, wußte ja gar keiner, daß sie Sibylle Berg ist. Da kamen halt Manuskripte.“ Damals ermunterte die exzentrische Autorin ihre Leser, mit dem Kauf des Buchs „einen weiteren Stein ihres künftigen Tessiner Hauses“ beizutragen. Doch zu einer Lautner-Villa in den Tessiner Bergen hat es bislang nicht gereicht, nur zu einer Mietwohnung im Neubaublock.

Sibylle Bergs Romane sind kein Massenerfolg wie jene von Danielle Steel. „Ich mach’ Randgruppen-Scheiße. Das wird nichts“, sagt sie dazu. Es gibt Menschen, die drücken sich feiner aus und hören sich dennoch vulgärer an. Auf die Frage nach Worten zur Beschreibung ihrer Protagonistin antworten die Filmautorinnen: „Lustig, fleißig, gelenkig oder schön, schlau, unnahbar.“ Für ihre Dokumentation ist es nicht nötig, auch nur eine Zeile dieser Schriftstellerin gelesen zu haben. Der Film weckt auch nicht die Neigung danach. Er besteht ganz durch sich selbst, da er von Sibylle Berg berichtet und nicht über sie.