© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/16 / 29. April 2016

Effiziente Speicher fehlen
Die Bundesregierung will Forschungsrückstände bei der Schlüsseltechnologie der Energiewende aufholen
Christoph Keller

Schon bevor die Bundesregierung 2011 den Atomausstieg und ihre Energiewende beschloß, kursierten Studien, die diesen Kurswechsel einigermaßen risikolos erscheinen ließen. Rechneten sie doch vor, daß die Weltwirtschaft sich nur 20 Prozent der verfügbaren Windkraft nutzbar machen müsse, um Strom in Hülle und Fülle zu erzeugen, nämlich bis zum Siebenfachen des jährlichen Bedarfs. Phantastische Aussichten, die der auf „Erneuerbare Energien“ setzenden Berliner Politik bis heute starken Rückhalt geben in der Bevölkerung, die darauf vertraut, bis 2050 könnten Wind, Sonne und Biogas 80 Prozent der deutschen Stromnachfrage liefern.

Theoretisch wäre dieses Ziel erreichbar – aber nur, wenn bald ein technisch-praktisches Problem gelöst wird, das in der Euphorie unbeachtet blieb, das aber spätestens am 25. Mai 2015 öffentliche Aufmerksamkeit erregte. An diesem sonnigen Pfingstmontag produzierten deutsche Solaranlagen binnen einer Stunde 42 Prozent des nationalen Gesamtbedarfs, mithin soviel Strom, daß die Netzbetreiber „überflüssige“ zwölf Gigawatt davon mit hohen Kosten ins Ausland transferierten, um den Zusammenbruch ihrer überlasteten Netze zu verhindern.

Schlagartig führte dieser Beinahe-Blackout die Kalamität fehlender Speicher für den Ökostrom vor Augen. Zugleich förderte er die Erkenntnis, daß der Forschungsrückstand in der Speichertechnologie die Energiewende bremst. Mangels Speicherkapazität verzichteten E.on und RWE laut Bundesnetzagentur allein 2014 auf fast 1.600 Gigawattstunden Ökostrom; genug, um jährlich 400.000 Haushalte zu beliefern. Die Energiemischung mit weiterhin hohem Anteil fossiler Brennstoffe entläßt daher mehr Kohlendioxid in die Atmosphäre als vor der Energiewende.

Grüne Autarkie nur durch große und teure Speicher

Wie eine Reportage der Münchner Journalistin Monika Holthoff-Stenger dokumentiert, hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) die Bedeutung effizienter Speicher als Schlüsseltechnologie erkannt (Natur, 4/16). Seit Jahresbeginn schüttet das BMBF im Rahmen eines Kopernikus-Programms für Einzelprojekte, die darauf abzielen, intelligente Stromnetze und leistungsfähige Speicher zu entwickeln, bis zu jeweils zehn Millionen Euro Fördergelder aus.

Auf Pellworm entstand 2013 eine Art Freilandlabor zur Erprobung der Speichertechnologie. Wissenschaftlich begleitet vom Oberhausener Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik und ökonomisch unterstützt vom regionalen Stromversorger begann auf der wind- und sonnenreichen nordfriesischen Insel ein bundesweit einmaliges Verbundprojekt, das verhindern soll, die in Spitzenzeiten weit über den Eigenbedarf der 1.100 Pellwormer hinaus zu gewinnende „Stromernte“ aus Bürgerwindpark, Solarfeld und Biogasanlage einfach dadurch zu verschenken, daß man die Anlagen abstellt, weil das Festlandnetz überfordert ist. Und umgekehrt soll ein Speicher den aus Insulaner-Sicht „skandalösen“ Zustand beenden, bei Flaute oder Dauerbewölkung konventionellen Strom zukaufen zu müssen.

Darum installierte man zwei elektrochemische Speichersysteme mit Lithium-Ionen-Akkus und Redox-Flow-Batterien, die in zwei Containern neben dem Hybridkraftwerk untergebracht sind und die von einer Software reguliert werden, die die Daten Sonneneinstrahlung, Windgeschwindigkeit, Temperatur und Niederschlag verarbeitet.

Aktuell garantieren die Akkus eine Selbstversorgerquote von 33 Prozent. Von der auf Pellworm fast erreichbaren Autarkie (95 Prozent) sei das zwar weit entfernt, zitiert Holthoff-Stenger die Maschinenbauingenieurin Maike Hasselmann vom Fraunhofer-Institut. Aber dafür wären unverhältnismäßig große und teure Speicher erforderlich. Gegenwärtig müsse man froh sein über dieses „erste deutsche Smart Grid mit hybrider Speichertechnologie, das in der Praxis funktioniert“. Als nächste Schritte planen die Wissenschaftler eine inselweite Installation sowie die Überführung in den Regelbetrieb, damit sich das System auch wirtschaftlich lohnt. Als realistische Option verweisen die Fraunhofer zudem auf ein neues Experimentierfeld für ihre Speichertechnologie, das auf der Agäis-Insel Tilos liegt, wo sie den Anteil der Erneuerbaren Energie von null auf 80 Prozent erhöhen soll.

Ein Jahrfünft nach dem Startschuß zur Energiewende sind das Pellwormer Liliput-Projekt, die im Bodensee eingerichtete Fraunhofer-Pilotanlage eines Pumpspeicherkraftwerks für Meereswindparks oder die BMBF-Kopernikus-Initiative aber allenfalls Versprechen, das deutsche Netz kompatibel mit dem fluktuierend verfügbaren Ökostrom dezentraler Versorger zu machen.

Förderinitiative „Kopernikus-Projekte für die Energiewende“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung:

 www.bmbf.de/