© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/16 / 06. Mai 2016

Die dünnhäutige Frau Kahane
Internet: Die Amadeu-Antonio-Stiftung soll helfen, Haß-Kommentare auf Facebook zu bekämpfen – doch die Vorsitzende war bei der Stasi
Ronald Berthold

Die Aktion erinnert an harmlose Methoden der Antifa: Plakate und Flugblätter klebten an der Eingangstür in Berlin-Mitte. Unbekannte hatten das Stasi-Wappen und den Spruch „Hier betreten sie den Überwachungsstaat“ vor den Räumen der Amadeu-Antonio-Stiftung angebracht. Der ungewöhnliche Protest richtete sich gegen die Beteiligung der von der ehemaligen Stasi-Mitarbeiterin Anetta Kahane geführten Organisation am Löschen von Facebook-Beiträgen. Auf Initiative von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) sollen rechtsextreme und rassistische Kommentare in dem sozialen Netzwerk möglichst schnell eliminiert werden.

Kritiker befürchten, die Meinungsfreiheit im Internet werde eingeschränkt. Das Schlagwort „Haßkommentar“ könnte ein Gummiparagraph sein, mit dem kritische Auffassungen zur Bundesregierung und zur Einwanderungspolitik unterdrückt würden. Beim „Pranger der Schande“ hatte die Bild-Zeitung die Klarnamen von sogenannten Hetzern und deren Kommentare veröffentlicht. Allerdings erschienen nicht alle jedem sofort als rechtsextrem. Darunter: „Wenn einem Muslim in seinem Gastland etwas nicht gefällt, kann er ja wieder gehen“ oder „Es wird Zeit für eine Verabschiedungskultur“. Die Boulevardzeitung forderte: „Herr Staatsanwalt, übernehmen Sie!“

Daß eine solche „Zensur-Politik“ nun institutionalisiert wird, betrachten Facebook-Nutzer mit Sorge. Die Stasi-Vergangenheit der Stiftungsvorsitzenden schürt zusätzliche Zweifel daran, daß sich die Löschaktion nur gegen Haß-kommentare richtet. Anetta Kahane dagegen verweist auf die Gefährlichkeit solcher Beiträge: Es lasse sich ein direkter Zusammenhang zwischen dem Aufkommen von Haßrede und Übergriffen auf Flüchtlingsheime feststellen.

Die auch vom Bundesfamilienministerium finanzierte Amadeu-Antonio- Stiftung ist ein wichtiger Akteur im sogenannten „Kampf gegen Rechts“. Sie kommt in der Personalstärke eines mittelständischen Unternehmens daher: 33 Mitarbeiter listet sie auf ihrer Home-

page auf. Die Stiftung wendet sich „konsequent gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus“. Im vergangenen Jahr förderte und unterstützte sie mehr als 100 „antirassistische“ und „antifaschistische“ Projekte. Durch die offenbar von der Identitären Bewegung initiierte Protestaktion vom 18. April sieht sie sich als Opfer einer „rechtsextremen Bedrohungskampagne“. Sie kündigte eine juristische „Offensive“ an und startete eine Pressekampagne.

Im Mittelpunkt steht dabei die Entkräftung der Stasi-Vorwürfe gegen Anetta Kahane. Diese habe zwar acht Jahre als IM „Victoria“ für das Mielke-Ministerium gespitzelt, aber dabei niemandem geschadet. Dazu veröffentlicht die Stiftung ein von Kahane beim DDR-Experten Helmut Müller-Enbergs bestelltes Gutachten. Dieses kommt zu dem Ergebnis, Kahane sei auf „politisch-ideologischer“ Grundlage geworben worden: „Diese Grundlage enthält ein breites Spektrum an Überzeugungen. Vor allem heißt es aber im Kontext des Vorgangs zu Frau Kahane, daß sie nicht mit der Aussicht auf materielle Vorteile geworben wurde, und auch nicht, weil es kompromittierende Dinge gegeben hätte, die man ins Spiel hätte bringen können. Man hatte Frau Kahane gefragt, ob sie nicht mehr für die DDR tun wolle.“ Das tat sie dann.

Müller-Enbergs schreibt weiter: „Frau Kahane hatte zu Beginn der Kooperation über ihr näheres Umfeld, Freunde und Studienkollegen zu berichten.“ Sie berichtete „auch ‘belastend’“. Aber: „Weitergehende Aktivitäten des MfS zu diesen Personen“ seien „nur in Einzelfällen“ erfolgt. Und Kahane habe nach Vermutungen ihres Führungsoffiziers auch Sachverhalte verschwiegen. Die damalige Studentin erhielt, so der Gutachter, eine regelrechte Ausbildung in „Konspiration, das Schreiben chiffrierter Nachrichten, das Weiterleiten von Nachrichten an eine Deckadresse und andere Dinge mehr“. Der entscheidende Satz lautet: Es gebe „kein Beispiel, wo eine Information von Frau Kahane Dritten geschadet hat oder einen Nachteil zufügte“.  Kritiker und Opferverbände  verweisen indes immer wieder darauf, daß IMs immer davon ausgehen mußten, daß sie mit ihren Spitzeldiensten für das SED-Regime dazu beigetragen haben, Menschen zu schaden oder gar Existenzen zu vernichten.

Nachteile nach em Stasi-Ausstieg

Die Auftragsstudie kommt dagegen zu dem Schluß, Kahane habe selbst Nachteile in Kauf nehmen müssen, nachdem sie beim MfS ausstieg: Sie verlor ihr Privileg als Reisekader. Wie die meisten DDR-Bewohner konnte sie den eingemauerten Staat nun nicht mehr regelmäßig verlassen. Müller-Enbergs stellt aber auch fest, daß die Beendigung der Kooperation keine Bespitzelung ihrerseits nach sich zog. Dies sei „anders als bei anderen“ IMs gewesen.

Die Stiftung sieht ihre Vorsitzende durch die Studie entlastet. Kahane habe ihre Stasi-Biographie zudem aufgearbeitet. Einen Anlaß, einen Zusammenhang zwischen der „IM-Vergangenheit von Anetta Kahane“ und der nun erfolgten Überwachung von Facebook-Kommentaren herzustellen, kann sie nicht erkennen und ist empört: „Die Arbeit der Amadeu-Antonio-Stiftung gegen Hate Speech wird mit Spitzeldienst und Stasimethoden gleichgesetzt.“ Gegen „die ausufernde Hetze im Netz und die Lügen, die über die Stiftung verbreitet werden“, gehe man „jetzt juristisch vor“, sagte Kahane. „Mit dem Stasivorwurf“, so mutmaßt sie, „soll generell verhindert werden, daß ausufernder Haß gegen Minderheiten im Netz auf der politischen Agenda bleibt.“