© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/16 / 13. Mai 2016

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

Cora Stephan hat in der Neuen Zürcher Zeitung einen ihrer klugen Essays geschrieben. Er enthält viel Bedenkenswertes zum Versagen der Politischen Klasse, zum unbegründeten Optimismus im Hinblick auf die Bunte Republik, zum Glück der halkyonischen Jahre nach der Wiedervereinigung, zur Funktion des Selbsthasses im geistigen Haushalt der Intelligenz. Deshalb könnte man zwei Feststellungen überlesen, die noch ein ganz anderes Gewicht haben. Die eine betrifft den Unsinn des Geredes über die „Befreiung“ 19 45, zumindest wenn man das Schicksal der Mittel- und Ostdeutschen und der Bevölkerungen des zwischeneuropäischen Raums bedenkt. Die andere hat eigentlich noch viel mehr Bedeutung, weil sie die Fehlsteuerung unserer Geschichte auf die Urkatastrophe von 1918 zurückführt. Man hätte die Alliierten nicht gebraucht, um aus den Deutschen anständige Menschen zu machen, schreibt Stephan, nicht einmal, um Demokraten aus ihnen zu machen.

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Die Äußerung der Kanzlerin, man müsse um die Wähler der AfD werben und dürfe die Partei selbst nicht dämonisieren, ist der Versuch, die alte Leimrute für die Konservativen wieder hervorzuholen. Man darf doch hoffen, daß der Kleber festgetrocknet ist.

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Das Putzige an der FAZ-Berichterstattung über das Parteiprogramm der AfD ist, daß die nun als brandgefährlich apostrophierten Forderungen mehr oder weniger dem entsprechen, was bis vor kurzem Leitlinie der Kommentare in der Frankfurter Allgemeinen war.

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Bildungsbericht in loser Folge LXXXIX: „Wir unterrichten im Zeitalter der Untoten.“ (Jack Marcus)

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Die „blaue Revolution“ hat nicht nur den bösartigen Slogan „Aus Blau wird Braun“ provoziert, sondern auch jede Menge haltloser Vermutungen über den politischen Gehalt der Farbe Blau hervorgebracht. In aller Knappheit also die folgende Klarstellung: Blau gehört zu den edelsten Farbsymbolen überhaupt, im Mittelalter wurde es mit Gold identifiziert, weshalb der Goldgrund der Bilder immer auch das blaue Firmament meinte.Blau war die Farbe Marias als Himmelskönigin; diese Bedeutung haben sich die französischen Herrscher zunutze gemacht und Blau (erst nachträglich Weiß) zu ihrer bevorzugten Farbe erklärt; die Vorrangstellung blieb durch die Revolution unangetastet, zumal die blaue Uniform der amerikanischen Armee im Unabhängigkeitskrieg schon zur Assoziation von Blau und Freiheit beigetragen hatte, die man in Frankreich gerne aufnahm. George Washington war „der blaue Cincinnatus“, die Soldaten der Republik waren „die Blauen“ und bis heute ist „Blau … die Farbe Frankreichs“ (Michel Pastoureau); ob man die Verbreitung von Blau in liberalen Parteiemblemen damit erklären kann, ist kaum mehr sicher zu bestimmen. Eindeutig sind dagegen die Verhältnisse bei den Konservativen, die „bleu marine“, „tory blue“ oder „Preußisch Blau“ schon deshalb bevorzugten, weil Blau traditionell als Farbe der Treue gilt. In Frankreich war Dunkelblau die Farbe der Bonapartisten oder der „Partei der Ordnung“ bis hin zum Front National, in Großbritannien spielte sicher der Stolz auf die Navy und deren Uniformfarbe eine Rolle für die Konservativen. In Deutschland waren es die blauen Waffenröcke Preußens; hier kam allerdings auch die Vorliebe der Königin Luise, dann ihres Sohnes Wilhelm, nachmals erster Kaiser des neugegründeten Reiches, für die Kornblume ins Spiel; die haben die großdeutschen Liberalen und die Deutschnationalen in der Habsburgermonarchie als Zeichen ihrer Sehnsucht nach Wiedervereinigung übernommen, und so ist sie samt der blauen Parteifarbe auch im „Dritten Lager“ der „Blauen“ und der FPÖ angelangt, die sich hinreichend deutlich von den „Roten“ (Sozialisten) wie den „Schwarzen“ (Klerikalen) abgrenzen wollten. Im Nachkriegsdeutschland hat bis zum Auftreten der AfD keine Gruppierung Blau als Symbol besonders herausgestellt. Nur in jener kurzen Zeit, als man von einer neokonservativen „blauen Internationale“ Thatcher-Reagan-Kohl meinte sprechen zu können, verwendeten die Unionsparteien als Parteiabzeichen einen dezenten Schriftzug mit dem Kürzel „CDU“ oder „CSU“ auf tiefblauem Hintergrund. Aber das ist schon ziemlich lange her.

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Am Rande der französischen Bewegung „Nuit debout“ hat sich nicht nur ein feministisches Komitee gebildet, das keine Männer bei Veranstaltungen zuläßt, sondern auch eine Organisation, die mit den „Indigènes de la république“ – den „Eingeborenen der Republik“ (eine linksradikale, antisemitische, „antikolonialistische“, von Farbigen dominierte Gruppierung) zusammenarbeitet und Weiße ausschließt. Erstaunlicherweise hat die sozialistische Erziehungsministerin Najat Vallaud-Belkacem, sonst für jeden progressiven Unsinn zu haben, den Vorgang in der französischen Nationalversammlung ausdrücklich verurteilt.

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 27. Mai in der JF-Ausgabe 22/16.