© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/16 / 13. Mai 2016

Keineswegs nur ein Erzstiefvater des Deutschen Reiches
Von Prag bis Tangermünde: Der vor 700 Jahren geborene Kaiser Karl IV. war einer der prägendsten Herrscher des Spätmittelalters
Jan von Flocken

Zahlreiche Ortschaften und Städte im Brandenburger Land weisen als Gründungsdatum die Jahre zwischen 1375 und 1377 auf. Zu verdanken ist das einem Kaiser aus dem Geschlecht der Luxemburger: Karl IV. Er hatte 1373 im Vertrag von Fürstenwalde die Mark Brandenburg von den Wittelsbachern und ihrem letzten Repräsentanten als Markgraf, Otto dem Faulen, für 500.000 Gulden erworben.

Während der bequeme Otto sich mit 31 Jahren nach Bayern in die Frühpension verabschiedete, widmete Karl seine Aufmerksamkeit dem vernachlässigten Areal an der Peripherie des Deutschen Reiches. Bis 1377 ließ er ein „Landbuch der Mark Brandenburg“ erstellen. Es handelt sich um ein detailliertes statistisches Verzeichnis, das erstmals die landesherrlichen Einnahmen aus Zöllen, Mühlen, Gewässern, Waldungen, Burgen und Gehöften sowie die finanziellen Verpflichtungen der Städte, Dörfer und Klöster registrierte. Viele Siedlungen wurden in diesem Buche zum ersten Mal namentlich erwähnt. Für die Märker begannen die „fünf guten Jahre“ bis zu Karls Tod im Jahre 1378. Der Monarch ordnete die Finanzen, sorgte für Sicherheit auf den Straßen, förderte Handel und Gewerbe. In seiner Residenzstadt Tangermünde an der Elbe errichtete er seit 1374 viele repräsentative Bauten, darunter die Pfarrkirche Sankt Stephan sowie die heute noch erhaltene Stadtbefestigung.

Seltsam nur, daß dieser bei den Brandenburgern so geschätzte Herrscher ansonsten als „des Deutschen Reiches Erzstiefvater“ geschmäht wurde. Obwohl Karl ein hochgebildeter Mann war, vier Fremdsprachen beherrschte und sogar als einziger Monarch des Mittelalters eine Autobiographie (Vita Caroli Quarti) schrieb, erkannte er nicht das Potential der aufstrebenden deutschen Städte als Bündnispartner für ein starkes Kaisertum. Statt dessen behandelte er die Stadtbürger häufig als bequem auszupressende Geldquelle. 

Den Ankauf Brandenburgs etwa mußten die Städte zwangsfinanzieren, wofür ihnen auch noch manche Handelsprivilegien und andere städtische Freiheiten (wie die Aufnahme flüchtiger Bauern als sogenannte Pfahlbürger) gestrichen wurden. So kam es, daß Karl sowie sein Sohn und Nachfolger Wenzel sich gleich mit drei feindlichen Städtebünden politisch und oft auch militärisch auseinandersetzen mußten: dem fränkischen (Nürnberg, Würzburg, Rothenburg o. d. Tauber), dem schwäbischen (Augsburg, Ulm, Heilbronn) und dem rheinischen (Frankfurt/Main, Worms, Straßburg). Dafür gewährte er den sieben Kurfürsten entscheidende Vorrechte, die ihnen beim weiteren Ausbau ihrer eigenen Territorien zum Nachteil der freien Reichsstädte dienten, so vor allem in der „Goldenen Bulle“ von 1356.

Der Kaiser mit den pfiffigen Gesichtszügen war keine heroische Rittergestalt. Man mokierte sich über sein oft kleinlich berechnendes Wesen und nannte ihn „Pfaffenkönig“ wegen seiner herausgestellten Frömmigkeit. „Er übervorteilte dabei, er überlistete, täuschte, sprach doppelzüngig, er betrog, stiftete Schaden, erregte Zwietracht, wiegelte auf“, urteilt Karls Biograph Eckhard Müller-Mertens. Aus Florenz berichtete man: „Er zog seines Weges nicht wie ein Kaiser, sondern wie ein Kaufmann, der zur nächsten Warenmesse eilt.“

Nach seiner Kaiserkrönung in Rom 1355 schlug Karl, der auch König von Böhmen war, eine Politik ein, die fast ausschließlich der Vergrößerung seiner dynastischen Hausmacht diente. Aus insgesamt vier Ehen schlug er Kapital als Erbe reicher Landschaften in Schlesien und der Oberpfalz. Als sein Sohn Sigmund 1372 mit der Tochter des Königs von Polen und Ungarn verheiratet wurde, richtete sich sein Interesse hauptsächlich auf den Erwerb dieser Länder. „Kronensammler“, spottete die Öffentlichkeit und wunderte sich, daß der Monarch für die Belange des Reiches offenbar wenig Anteilnahme zeigte.

Hinzu kam Karls einseitige Bevorzugung Böhmens. Er war 1316 in Prag geboren worden und erhob diese Stadt zu seiner ständigen Residenz, verschaffte ihr den Rang eines Erzbistums, rief hier die erste Universität nördlich der Alpen ins Leben und machte mit der Gründung einer Neustadt und dem Bau des Veitsdoms Prag zu einer der größten Metropolen Europas. Böhmen war zwar integraler Bestandteil des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, doch im Land grassierte bereits ein antideutscher Frühnationalismus vor allem der tschechischen Unterschicht, der schließlich in der gewalttätigen Hussitenbewegung kulminieren sollte. Deshalb wirkten die großzügigen Bauten und Privilegien des Kaisers in Böhmen (Burg Karlstein, Stadt Karlsbad, Karlsbrücke über der Moldau) und vor allem seine besondere Förderung der tschechischen Sprache auch auf viele Deutsche, vorrangig die Bewohner der Städte im Westen und Süden des Reiches, wie eine Provokation.

Zum Unglück für den Kaiser fiel seine Lebens- und Regierungszeit in eine Ära der Krisen und Umbrüche in Europa. Eine Pestepidemie ungekannten Ausmaßes dezimierte die Bevölkerung. Viele Menschen waren Naturkatastrophen und einer temporären Klimaveränderung, der „Kleinen Eiszeit“, ausgesetzt. Auch seiner Dynastie, für die der Kaiser so großes Engagement zeigte, war wenig Glück beschieden, sie starb schon 1437 im Mannesstamm aus.

In Deutschland eher abwertend betrachtet, gilt Karl IV. bei vielen Brandenburgern nach wie vor als gütiger Landesvater. Und so sieht man Denkmale für ihn nicht nur im dankbaren Tschechien – auch in der Stadt Tangermünde erhebt sich am Elbe-Ufer ein großes, erst kürzlich restauriertes Bronzestandbild des zwiespältigen Herrschers.